Society | Nepal

Messners Spiegel

Zwei-Klassen-Aufmerksamkeit in Nepal: „Die eigentliche Katastrophe in Nepal trifft die Bevölkerung und nicht Bergsteiger aus aller Welt“, sagt Reinhold Messner.

Wie funktionieren die Mechanismen unserer Aufmerksamkeit und Betroffenheit? Was wäre, wenn vergangene Woche 800 europäische Touristen im Mittelmeer ertrunken wären? Und warum schauen wir nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal vor allem auf die Hubschrauber, die Bergsteiger aus aller Welt aus dem Basisflieger fliegen obwohl ungleich mehr Nepalesen umgekommen sind - oder nun massenweise im zerstörten Kathmandu-Tal auf der Suche nach Wasser und Essen herumirren und in Seitentälern von der Außenwelt abgeschnitten sind? Einer, der uns in diesen Tagen den Spiegel vorhält, ist Reinhold Messner. Am Montag hat der ehemalige Extrembergsteiger für Schlagzeilen gesorgt, als er von einer Zwei-Klassen-Rettung in Nepal sprach. Oder besser einer Zwei-Klassen-Aufmerksamkeit, wie er am Dienstag im Morgengespräch mit Gudrun Esser auf RAI Südtirol präzisierte.  „Die eigentliche Katastrophe trifft die Nepalesen und nicht Bergsteiger aus aller Welt, die bis zu 100.000 Euro zahlen, damit sie auf den höchsten Berg der Welt steigen“, sagt er.

Ein ganzer Berg, der in Seile, Leitern und Ketten gelegt werden muss, damit sich Menschen wie Edmund Hillary fühlen: Reinhold Messner ist für seine Kritik am Himalaya-Massentourismus bekannt. „Es ist nicht nötig, dass sich tausende Leute am Everest akkumulieren, nur weil er der höchste Berg der Welt ist“, wiederholt er sie nun nach dem Erdbeben. Vor den Konsequenzen einer solchen Naturkatastrophe habe er schon vor 20 Jahren gewarnt. „Wenn ich irgendwo ein Basislager mit fünf Leuten aufschlage, kann ich einen Platz wählen, wo mich keine Lawine trifft“, sagt er. „Wenn dagegen ein Basislager mit 1000 Menschen so groß wird wie eine kleine Stadt, muss es Tote geben.“

Bei aller Tragik hätten diese Expeditionsbergsteiger und ihre Reiseveranstalter deshalb auch eine Eigenverantwortung. Die Nepalesen dagegen seien gezwungen, dort zu leben und würden nun vor allem unsere Solidarität und Hilfe brauchen. Denn auch Reinhold Messner rechnet damit, dass die 4000 Opfer, von denen derzeit die Rede ist, nur die Spitze des Eisbergs sind. Noch wisse man nichts von den Toten in den unzähligen steilen und wilden Seitentälern, wo ganze Dörfer verschüttet sein können, warnt er.  Vor allem aber müsste nun dafür gesorgt werden, dass die Überlebenden erst einmal untergebracht werden sowie medizinisch und psychologisch betreut werden, um sie anschließend dabei zu unterstützen, ihre Häuser und Infrastrukturen wieder aufzubauen.

Lenken wir unsere Aufmerksamkeit also auf die wahre Tragödie, lautet der Appell. Nur Freunde wird sich Reinhold Messner damit nicht machen - auch nicht unter den zahlreichen Veranstaltern, die das Abenteuer Everest verkaufen. Doch das kratzt ihn bekanntlich wenig. Kommentare im Internet oder in anderen Medien schaue er sich mittlerweile überhaupt nicht mehr an, erklärte er auf RAI Südtirol. "Ich bin ein positiver Mensch und habe keine Zeit irgendwelche Leute zu sehen und zu hören, die nichts verstehen."