Die Gegenwart in der Vergangenheit
Wir wollten im Prinzip eigentlich nur gute Musik hören, live gespielt und in angenehmen Setting. Da wir die Musik von Joachim Planer bereits kennen und schätzen, und wir auch den leicht experimentell angelegten Film „Supernova” bereits vor etwa einem Jahr in Meran gesehen hatten, war sein Auftritt im Stanglerhof in Völs am vergangenen Donnerstag, 27. April 2023, eigentlich ideal.
Die Filmemacherin und Cutterin Beatrice Segolini hatte für „Supernova” aus verwaistem, copyrightfreiem Filmmaterial aus der Mitte des vorherigen Jahrhunderts, einen siebenteilige Doku-artigen Film gemacht. Das zu inhaltlich unterschiedlichen Kapiteln gebündelte Filmmaterial bestand aus Mitschnitten von Tierversuchen, Werbespots für Beauty-Artikel, (konservative amerikanische) Erziehungsvideos, Aufnahmen von Fliegerangriffen, Atom-Tests und anderes mehr. Das Eigenartige dabei: Obwohl das Bildmaterial weit zurückliegt, war die Gegenwart immer auch anwesend, immer wieder drängte sich sie sich in den Vordergrund: Der Atompilz und die Soldaten ließen mit etwas Bedrückung an die Ukraine-Invasion Russlands denken, lustig wurde es hingegen, als ein Moderator aus dem Jahr 1961 ins 21. Jahrhundert, also ins Jetzt (!) schaute. Natürlich, er verfehlte das eine oder andere, aber er war im digitalen Bereich erstaunlich treffsicher: Wetter-App, Instagram, Zoom-Calls, WeTransfer, Home Working, den eigenen Printer... das alles hatte er irgendwie genau so vorausgesehen. Dabei taucht der Gedanke auf, wie vorhersehbar wir als Gesellschaft doch eigentlich sind?!
Und ein weiterer Gedanke verdichtet sich im Laufe des Films: Ein Bild, eine Filmsequenz, ist nie nur Abbild, sondern stets mit einer Botschaft aufgeladen. Ein Bild ist stets eine gezielte Interpretation, sprich, von vorne herein der Versuch einer Manipulation. Eine banale, bereits altbekannte Einsicht? Mag sein, aber zum einen vergisst man dies im Strudel des Altgas allzu gerne, zum anderen ist das Konzept des „Bildes” nicht nur auf das digitale Foto, den Frame oder eine Leinwand zu reduzieren, sondern auch darauf, wie wir uns selbst der Welt entgegenstellen.
Und Joachim Planer? Im Gegensatz zur Aufführung in Meran war er nicht so hart, die Techno-Anteile waren reduziert und der gesamte Soundtrack war mehr begleitend als kommentierend. Ob diese Zurückhaltung unseren Blick auf „Supernova” beeinflusst hat, oder ob wir den Film deswegen anders lesen, eben weil wir ihn bereits gesehen haben, wissen wir nicht.
Für uns war es ein gewinnbringender Abend, wir haben nicht nur unser Ziel erreicht und gute Musik gehört, sondern auch einige Bausteine unseres Weltbild ein klein wenig in Frage gestellt.
Nach der Performance war zu vernehmen, dass sowohl Segolini als auch Planer daran denken, „Supernova” ad acta zu legen. Das wäre schade, denn der Film lässt definitiv mehrere Durchgänge zu und die sich verändernde, sich entwickelnde Musik von Planer ist sowieso immer anders, weil sie eben live gespielt wird. Sollten Angebote eintrudeln „Supernova“ irgendwo aufzuführen, werden sie diese hoffentlich auch annehmen.
Links:
Homepage von Beatrice Segollini: https://dogstarfilm.com/
Infos zu „Supernova”: https://www.dogstardue.com/
Joachim Planer Spotify: https://open.spotify.com/intl-de/artist/2t6m0VGDi1lSCLVR2avJzl
YouTube-Kanal Stanglerhof „Live & Talk”: https://www.youtube.com/@agriturismostanglerhofbusc2189
Kulturprogramm Stanglerhof Völs: https://www.stanglerhof.bz.it/de/events