Politics | Innere Sicherheit

Feuerfrei (zur Nachtzeit)

Minnitis Sicherheitsgesetze "schießen" manchmal über das Ziel hinaus. Und sorgen für Widerspruch - auch innerhalb seiner eigenen Partei.
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Minniti
Foto: upi

Marco Minniti (PD) entspricht ziemlich genau dem Klischee eines effizienten Innenministers: smarter „Macher-Typ“, markante Sprüche und ein energisches Auftreten, das den verunsicherten Bürgern vermitteln soll: „Keine Bange, ich bin ja da!“. So eine Art südländische Schily-Version. Ganz anders als sein phlegmatischer Vorgänger Angelino Alfano, der in der Gentiloni-Regierung inzwischen das Außenministerium übernommen hat.

Das Thema, das auf Minnitis Agenda ganz oben steht, passt zu seinem Profil: innere Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere in besonders belasteten Gebieten, wie den städtischen Randbezirken. Dazu hat der Innenminister Gesetzesänderungen vorgelegt, die nicht nur bei der Opposition (und in der Öffentlichkeit), sondern auch bei Teilen seiner eigenen Partei auf Widerspruch stoßen.

Minnitis Sicherheitspaket

Erst kam im April das Gesetzesdekret „Dringende Maßnahmen zur Sicherheit der Städte“, das den Bürgermeistern mehr Kompetenzen zur Förderung der „urbanen Lebensqualität und des Anstands“ einräumt. Es sollen dabei nicht nur illegale Tätigkeiten, wie z. B. Drogenhandel, Begünstigung der Prostitution und Gewaltakte, konsequenter geahndet werden. Auch Alkoholkonsum, Bettelei und das „Besetzen öffentlicher Räume“ können an bestimmten Orten mit Geldstrafen (100 – 300 Euro) oder Aufenthaltsverboten (zwischen 6 Monaten und 2 Jahren) sanktioniert werden. Es gehe um Prävention und Eindämmung illegalen, aber auch ungebührlichen Verhaltens, das die Lebensqualität der Bürger und die ungestörte Nutzung städtischer Räume beeinträchtige, so der Innenminister.

Vor allem linke Oppositionsparteien, aber auch Kommentatoren wie der Journalist und Schriftsteller Roberto Saviano haben das Gesetz kritisiert. Die Lega hätte es nicht besser machen können, der Minister bediene populistische Stimmungen und schüre Ängste, um in der Wählergunst zu punkten. Unter dem Etikett „urbaner Anstand“ sollten die städtischen Räume von Armen und sozial Ausgegrenzten „bereinigt“ werden, so Saviano. Doch nicht diese müssten bekämpft werden, sondern die Ursachen, die zu Armut und sozialer Exklusion führen.

Die Grillini halten sich bedeckt, bei der parlamentarischen Abstimmung enthielten sie sich. Mit der Begründung, das Gesetz sei eine „leere Hülse“, es gebe keine Ressourcen für dessen Umsetzung, die Wirkung werde vermutlich Null sein. Womit sie sich indirekt der Kritik der Rechten (die mit nein stimmten) anschlossen, denen das Gesetz nicht zu hart, sondern zu „soft“ ist.

Sicherheit links und rechts

Das Problem, das Minniti mit seinem Sicherheitspaket bekämpfen will, ist real. Nicht nur in italienischen, sondern – mehr oder weniger – in allen europäischen Großstädten. Die Suche nach Lösungswegen ist notwendig. Problematisch ist allerdings die – in Italien sehr ausgeprägte - politische Instrumentalisierung des Themas, die von allen Seiten, links wie rechts, betrieben wird. Der Innenminister selbst betont gern, Sicherheit sei ein „linkes“ Thema, das man „den Rechten nicht überlassen dürfe“. Doch was heißt das? Der Schutz der Bürger und die Sicherheit in öffentlichen Räumen sind Grundaufgaben des Staates, die jede Regierung zu erfüllen hat, unabhängig von ihrer politischen Couleur. Die Unterschiede liegen eher beim „Wie“. Und hier tendiert der Innenminister dazu, bei Verhaltensweisen, die meist die Folge sozialer Probleme sind, vor allem die Strafkeule zu schwingen.

Ob es angemessen (und effektiv) ist, auf Drogensüchtige, Trinker, Bettler oder illegale Straßenverkäufer in erster Linie mit hohen Geldstrafen oder Aufenthaltsverboten zu reagieren, ist fraglich. In meinem Wohnort Hannover entflammt die öffentliche Diskussion, wie man an bestimmten Orten einer manchmal aggressiven Trinkerszene begegnet, immer wieder neu. Die Kommune setzt zwar einerseits auf verstärkte Polizeipräsenz, aber gleichzeitig auf vermehrten Einsatz von Streetworkern. Und bei Drogensucht auch auf die Einrichtung von „geschützten Räumen“ für die Abhängigen, um die öffentlichen Plätze zu entlasten.

Ab wie viel Uhr darf geschossen werden?

Dass Minniti beim Thema innere Sicherheit die Neigung hat, im wahrsten Sinne des Wortes über das Ziel hinauszuschießen, zeigt auch sein Anfang Mai vorgelegtes „Notwehr-Gesetz“. Der Gesetzesentwurf sah vor, dass Bürger auf Überfälle in ihrer Wohnung oder in ihren Geschäftsräumen „in der Nachtzeit“ auch mit Waffengebrauch reagieren dürfen, wenn Gefahr für die eigene Unversehrtheit oder die von Familienangehörigen vorliegt. Insbesondere die „Nachtzeit“ sorgte bei Kritikern und in den sozialen Netzwerken für bissige ironische Kommentare wie: „Darf ich auch in der Abenddämmerung schießen, oder erst ab Mitternacht?“, „Alle Diebe werden höflich gebeten, ihre Einbrüche erst nach Sonnenuntergang auszuführen!“ oder „Und was ist, wenn meine Uhr falsch geht? Gibt es mildernde Umstände?“ usw.

Tatsächlich enthält der Entwurf keine Einschränkung „nur“ auf die Nachtzeit, sondern nennt auch andere Umstände, bei denen eine solche Notwehrhandlung legitim sei. Der Text sei jedoch unklar und gebe Anlass zu Missverständnissen, meinten sogar PD-Vertreter, allen voran Parteichef Renzi. Also wurde der „Nachtzeit-Passus“ gestrichen - rechtzeitig vor der demnächst anstehenden Abstimmung im Senat.

Nicht beseitigt ist aber damit das eigentliche Problem eines Gesetzes, das dem einzelnen Bürger – wenn auch nur in bestimmten Fällen – das Recht auf den Gebrauch von Waffen zur eigenen Verteidigung einräumt und dafür eine „grundsätzliche Schuldfreiheit“ postuliert. Mit vielen anderen Juristen sieht Justizminister Orlando darin eine Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols. Und ein falsches Signal an die Bürger, denen suggeriert werde, mehr Sicherheit sei durch mehr Waffen in Privathand zu erreichen. „Man muss den Verbrechern die Waffen wegnehmen und nicht den Bürgern welche in die Hand geben“, so seine Zuspitzung.

Ist Sicherheit „ein Gefühl“?

Viele Kritiker stellen die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes grundsätzlich in Frage. Es gebe bereits ausreichend rechtliche Grundlagen, die den Gerichten ermöglichen, zu beurteilen, ob im Einzelfall eine (den Umständen angemessene) Notwehrhandlung vorliege. Dass die Funktion des Gesetzes eher eine politische als eine juristische ist, legen Äußerungen des Innenministers nahe: „Die Sicherheit besteht in einem Fühlen. Und das Fühlen ist von einem Gefühl nicht weit entfernt“ meint er. Mag sein. Sicherheitsgesetze sollten aber dazu dienen, tatsächliche Gefahren und Bedrohungen vorzubeugen oder abzuwehren. Sie auf die subjektiven Gefühle einiger Bürger auszurichten, kann nicht die Leitlinie politischen Handelns sein. Denn bekanntlich hat der Ausmaß der „gefühlten Unsicherheit“ nicht immer eine reale Grundlage. Aufgabe von Politik und Regierung ist es, zu versuchen, mit Fakten und sachlichen Argumenten aufzuklären. Und vor allem an der Beseitigung der Ursachen für die Problemlagen, die bei vielen (manchmal übersteigerte) Angst und Verunsicherung erzeugen, zu arbeiten.

Sicherlich ein schwierigerer und langfristigerer Weg, als mit einem „knalligen“ Gesetz auf die (gar bewaffnete) Notwehr der Bürger zu setzen – wegen der Gefühle (oder der Wählerstimmen).