Politics | Interview

“Was soll man gegen Forza Italia haben?”

Der Politologe Günther Pallaver über die EU-Wahlen, eine skandalresistente SVP, weggeworfene Grüne Stimmen, “Vater” Salvini, “Saubermann” Köllensperger – und Österreich.
Günther Pallaver
Foto: Salto.bz

salto.bz: Herr Pallaver, die diesjährigen Europawahlen wurden im Vorfeld häufig als “Schicksalswahl”, als “Richtungswahl” bezeichnet. In welche Richtung schicken die Wähler die EU mit ihrem Votum?

Günther Pallaver: Man kann das Wahlergebnis positiv oder negativ definieren. Negativ, indem man sagt, die rechtspopulistischen Parteien haben ihr Ziel nicht erreicht. Die positive Formulierung lautet: Die pro-europäischen Kräfte haben sich konsolidiert.

Nun hat es innerhalb der pro-europäischen Kräfte bei diesen Wahlen eine Verschiebung gegeben: Die bislang größten Parteienfamilien im Europäischen Parlament, Konservative und Sozialdemokraten, haben Sitze verloren. Während vor allem Liberale und Grüne deutlich dazu gewonnen haben.

Das ist eine interessante Entwicklung, denn die bisherige Achse zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten ist als Mehrheitskoalition jetzt nicht mehr vorhanden. Es ist jetzt keine Zweierkoalition mehr möglich, sondern es wird eine Dreier- oder Viererkoalition geben, mit Einbeziehung der Grünen und der Liberalen oder vielleicht nur der Liberalen. Das wird sich im Laufe der nächsten Wochen herausstellen. Das Prinzip der Konkordanzdemokratie bleibt bestehen, aber das alte Modell der  Zweierkoalition ist vorerst Geschichte.

Salvini gibt der italienischen Bevölkerung Südtirols die Hoffnung, als Gruppe wieder etwas darzustellen.

Darf man also davon ausgehen, dass es zu einer Veränderung und Reformierung der Union kommt, wie sie EU-weit massiv gefordert und versprochen wird?

Alle fordern Veränderungen. Aber es gibt ein Problem. Zwischen den 28 Mitgliedsstaaten  – später werden es 27 sein – gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie die europäische Integration weiterentwickelt werden soll. Vereinfacht ausgedrückt: Die pro-europäischen Länder wollen auf dem Wege der Integration bleiben, die anti-europäischen Länder wollen diese zurücknehmen. Aber auch innerhalb der pro-europäischen Länder gibt es unterschiedliche Befindlichkeiten. Allein schon zwischen Frankreich und Deutschland bzw. dem französischen Präsidenten Macron und der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gibt es unterschiedliche Konzepte, wohin die Reise gehen soll.

Haben Sie eine Vorstellung, wohin?

Europa ist eine Geschichte der Kompromisse. Alle sind sich bewusst, dass es jetzt wieder einen Reformschub braucht. Und da werden sich die pro-europäischen Staaten zusammenraufen müssen. Nach meiner Meinung wird es zu einer bereits bestehenden, noch differenzierten Integration kommen, zu einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Das ist nichts Neues. Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten haben die Euro-Währung, nicht alle nehmen am Schengen-System teil, nicht alle nehmen die Möglichkeit einer verstärkten Kooperation wahr usw. Es wird also Staaten geben, die an einer weiteren Integration interessiert sind, und andere, die daran weniger interessiert sind, ohne deshalb den supranationalen Charakter der Union in Frage zu stellen.

Teilen Sie die Analyse, dass diese Europawahlen vielmehr von europäischen denn von nationalen Themen bestimmt worden sind?

Die Europäischen Wahlen wurden stets als “second-order elections” bezeichnet, als Wahlen zweiten Grades. Man nahm nicht teil, wählte eher beliebig, nahm sie nicht ernst. Auch war es üblich, dass bei den EU-Wahlen in erster Linie nationale Themen behandelt wurden.
Dieses Mal stand nach meiner Wahrnehmung erstmals Europa im Mittelpunkt. Das ist ein Quantensprung. Das erste Mal wird primär über europäische Themen diskutiert, natürlich vermischt mit vielen nationalen Themen. Aber im Gegensatz zu allen anderen EU-Wahlen war dieses Mal Europa im Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses. Das ist ein gutes Zeichen. Denn damit wird die europäische Identität gefördert.

Die Liste Köllensperger ist gekommen, um zu bleiben.

Gilt die Feststellung, dass Europa den Wahlkampf dominiert hat, auch für Italien? Sind die EU-Wahlen hier nicht viel eher als Referendum über den großen Wahlsieger, Lega-Chef Matteo Salvini, und dessen künftige Rolle in der italienischen Regierung ausgelegt worden?

Ich habe keine Analyse über die Themenfelder des Wahlkampfes. Auf der Grundlage teilnehmender Beobachtung würde ich sagen, dass es eine Mischung zwischen europäischen Themen und innenpolitischen Themen gab. Die Innenpolitik war in Italien schon sehr stark präsent, aber im Vergleich zu früheren Jahren hatte ich den Eindruck, dass diesmal weit mehr über Europa diskutiert wurde.

Italien habe sich mit der Wahl am Sonntag im Europäischen Parlament ins politische Abseits gewählt, meint der wiedergewählte SVP-Abgeordnete Herbert Dorfmann – weil die Lega als stärkste Partei mit 29 EU-Abgeordneten in der Opposition landen wird. Dorfmann sieht die Position Italiens in Europa in den kommenden Jahren “vehement geschwächt”. Teilen Sie diese Auffassung?

Naja, so entschieden würde ich das nicht sehen. Denn es hängt natürlich auch von der Größe der Fraktion ab, in der die Lega landen wird. Es könnte durchaus sein, dass es statt den zwei größeren Fraktionen, in denen sich die rechtspopulistischen Parteien bisher organisieren, eine gemeinsame Fraktion gibt. Die wäre relativ stark und hätte auch einen Anspruch darauf, etwa die Präsidentschaft von Ausschüssen und andere Funktionen zu übernehmen. Natürlich wird Italien mit den Lega-Vertretern nicht unter den Hauptplayern zu finden sein, wie dies in der Vergangenheit mit den Christdemokraten und Sozialdemokraten der Fall war. Aber Italien wird ja auch eines der 28 bzw. 27 Kommissionsmitglieder stellen. Und neben der Lega gibt es auch noch andere italienische Abgeordnete. Es ist also nicht so, dass sich Italien völlig im “Out” befindet. Die Aussage, dass es sich jetzt selbst aus dem Spiel nimmt, ist wohl etwas überspitzt formuliert.

Ohne öffentlichen gemeinsamen Diskurs über Europa gibt es keine europäische Identität.

Nach Südtirol: Was war die größte Überraschung für Sie bei diesen Europawahlen?

Die größte Überraschung war sicherlich die Wahlbeteiligung.

Die ist im Vergleich zu 2014 um über zehn Prozentpunkte auf 62,8 Prozent gestiegen.

Eine sehr positive Entwicklung.

Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Wir wissen, dass es ethnoregionalen Parteien bei europäischen Wahlen tendenziell besser gelingt als nationalen Parteien, ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Zum anderen hat die Polarisierung zwischen jenen, die mehr und jenen, die weniger Europa wollen, zusätzlich motiviert, zur Wahl zu gehen.
Und ohne irgendwelche südtirolspezifischen Daten zu kennen – in anderen Ländern konnte dies zum Teil nachgewiesen werden – habe ich den Eindruck, dass vor allem die Jugendlichen  besonders engagiert waren.

Hat es Sie auch überrascht, dass die SVP deutlich an Stimmen zugelegt hat? Zwar nur in Südtirol, hier aber immerhin über 21.000 Stimmen mehr.

Diesen Erfolg der Volkspartei habe ich mir so nicht erwartet. Über 113.000 Stimmen in Südtirol, mehr als 140.000 im gesamten Wahlkreis Nord-Ost – und über 100.000 für Herbert Dorfmann. Er darf sich jetzt, wie Luis Durnwalder, “Mr. 100.000 Vorzugsstimmen” nennen.

Wie kommt die Volkspartei zu diesem Ergebnis?

Mich würde jedenfalls interessieren, wohin die Stimmen der Freiheitlichen und der Südtiroler Freiheit gegangen sind. Viele ihrer Wähler*innen sind sicherlich nicht zur Wahl gegangen, aber wo sind die restlichen gelandet?
Es gab ja im Vorfeld starke Polemiken wegen der Listenverbindung der SVP mit Forza Italia, auf deren Liste unter anderem Alessandra Mussolini kandidiert hat. Im Nachhinein muss man sagen: Das hat der Volkspartei nicht geschadet.

Plötzlich haben wir deutschsprachige Wähler*innen, die rechte italienische Parteien wählen.

Können Sie sich erklären, warum?

Dafür gibt es mehrere Gründe, unter anderem wegen der Visibilität des eigenen Logos, das alleine am Stimmzettel gefunden wurde. Aber ich glaube, etwas anderes ist wichtiger: Ich habe den Eindruck – nicht erst seit dieser Wahl, sondern schon vorher –, dass sich die Volkspartei nach rechts bewegt hat. Das wissen wir spätestens seit der Koalition mit der Lega. Der eindeutige, intern Polemik-lose Konsens, die Lega mit in die Landesregierung zu nehmen, wurde in den SVP-Gremien so gut wie einstimmig gut geheißen.  
Was sollte man also gegen Forza Italia haben, eine Partei, die lange nicht so rechts steht wie die Lega und mit der man sogar in derselben Fraktion im Europäischen Parlament sitzt? Insofern hatte Forza Italia für die Volkspartei kein Skandalpotential. Und offensichtlich auch nicht für die Wählerschaft der Volkspartei. Bestimmte Wählerschichten, die gegen eine solche Listenverbindung hätten allergisch sein können, spricht die SVP ja gar nicht mehr an. In der medialen Öffentlichkeit haben einige nach Skandal gerufen, aber das hat der SVP unter diesen Rahmenbedingungen offenbar nicht geschadet.

Wie kommentieren Sie das starke Abschneiden der Lega in Südtirol?

Die italienische Sprachgruppe hat massiv die Lega gewählt. Ich habe es noch nicht nachgerechnet, aber: Wenn die Lega bei den Landtagswahlen mit einem Resultat von 11 Prozent 40 Prozent der Italiener*innen vertritt, dann vertritt sie jetzt mit über 17 Prozent mehr als 40 Prozent – wir gehen schon Richtung 50 Prozent. Das Interessante dabei ist folgendes: Man sagt ja, dass viele in Italien die Lega wählen, weil sie ökonomische oder soziale Probleme haben, sich abgehängt fühlen – und in Matteo Salvini einen Hoffnungsträger sehen.
Bei uns ist dies allerdings nicht der Fall. Auch die letzten Untersuchungen sagen uns, dass die subjektive Zufriedenheit der italienischen Bevölkerung sogar höher ist als die Zufriedenheit der deutschsprachigen Südtiroler*innen.
Die individuelle Zufriedenheit der Italiener*innen in Südtirol mag unheimlich hoch sein, aber die Gruppenzufriedenheit ist relativ niedrig. Nach dem Motto: “Mir geht es gut, aber als Gruppe sind wir ‘sfigati’.”

Ja soll sie denn bis Sizilien hinunterschwappen, die Grüne Welle, damit man die Vier-Prozent-Hürde schafft? Das ist unrealistisch!

Salvini als “Erlöser” vom “disagio”?

Salvini hat die Fähigkeit, ein Narrativ zu konstruieren, das ihn als Retter, als Beschützer, als “Hero” hinstellt. Salvini gibt den Italiener*innen in Südtirol die Hoffnung, als Gruppe wieder etwas darzustellen. Er ist für mich, symbolisch betrachtet, die neue Vaterfigur für die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols. Und er saugt ja im rechtskonservativen Lager fast alles auf, wie etwa das völlig unbedeutende Wahlergebnis von CasaPound oder Forza Italia zeigt.

Er, Salvini – und nicht die Lega?

Es hat eine unheimlich starke Personalisierung stattgefunden – ein Trend, den Berlusconi eingeführt hat. Die Lega-Vertreter in der Südtiroler Landesregierung sind ja so gut wie unsichtbar, während Salvini eine totale Visibilität aufweist und alle anderen überstrahlt – da braucht man sich nur die Vorzugsstimmen anzuschauen.

Italienweit 2,3 Millionen, davon allein in Südtirol fast 17.000.

Das sind überdurchschnittlich viele, obwohl er hier gar nicht präsent war. Natürlich könnte man jetzt behaupten, die Lega ist eine neue Volkspartei, denn wenn sie fast 50 Prozent der Italiener*innen repräsentiert, erinnert das an die besten Zeiten der Democrazia Cristiana. Aber ich sage auch, ein Großteil der Stimmen fällt unter den “voto di scambio” .

Inwiefern?

Wenn man die italienische Parteienlandschaft seit Mitte der 1980er Jahre anschaut, hat die italienische Bevölkerung mit Blickfeld auf diesen “disagio” immer jene Parteien gewählt, von denen sie sich erhofft hat, dass man ihnen die nationale “Würde” zurückgibt, wobei damit natürlich vor allem Einfluss gemeint war. Und jedes Mal, wenn das nicht eingetreten ist, haben sie diese Parteien fallen lassen. “Voto di scambio” bedeutet also, ich gebe dir meine Stimme und als Gegenleistung garantierst du mir nationale Würde und Einfluss. Früher haben die Italiener*innen in Südtirol ihren Parteien noch relativ lange die Stange gehalten – denken wir etwa an den MSI und Alleanza Nazionale. Jetzt werden die Halbwertszeiten immer kürzer. 

Sebastian Kurz präsentiert sich als doppeltes Opfer. Ich bin überzeugt, dass er aus dieser Niederlage gewinnen wird.

Die Lega hat bei den Wahlen am Sonntag auch im deutschsprachigen Wählerbecken gefischt. Erfolgreich, wie der Stimmenzuwachs in vielen ländlichen Gemeinden zeigt. Ist das ein Beleg dafür, dass die SVP durch ihre Regierung mit der Lega auf Landesebene die Salvini-Partei zunehmend hoffähig und auch für deutschsprachige Wähler wählbar macht?

Wir wissen noch nicht, wie viel Prozente der Stimmen für die Lega von den deutschsprachigen Wähler*innen kommen. Aber diesen Trend haben wir bereits bei den Landtagswahlen gesehen, noch bevor die Koalition Lega-SVP zustande gekommen ist. Inwieweit und wie stark sich diese Entwicklung bei den Europawahlen fortgesetzt hat, werden wir noch analysieren müssen. Aber eine Kontinuität gibt es offensichtlich. Ich bin überzeugt, dass in diesen deutschen Lega-Stimmen beträchtliche Freiheitliche Stimmen stecken. Insgesamt eine interessante Entwicklung.

Weshalb?

In der Vergangenheit haben nur wenige deutschsprachiger Wähler*innen, wenn überhaupt, linke Parteien, etwa Kommunisten oder später den PD, gewählt. Aber es gab in der Vergangenheit so gut wie nie deutsche Stimmen für rechte nationale Parteien. Nun entdecken wir ein neues Phänomen: Plötzlich haben wir deutschsprachige Wähler*innen, die rechte italienische Parteien wählen.
Offensichtlich gibt es da einen gewissen ideologischen Gleichklang. Und das heißt auch, dass der ethnische Kitt in Bezug auf rechte italienische Parteien nicht mehr vorhanden ist.

Werfen wir einen Blick auf die anderen Parteien, die in Südtirol angetreten sind und ein relevantes Ergebnis erzielt haben. Beginnen wir mit den Grünen…

Bei den Grünen würde ich sagen: guter Kandidat, schlechter Partner.

Die Grünen sehen das anders. Sie sind überzeugt, dass sie mit den Verdi Italiani und im weiteren Sinne den Europäischen Grünen im absolut richtigen Boot saßen. Warum sehen Sie das anders?

Bei diesen Wahlen hat es ein Phänomen gegeben, das es bei den letzten Wahlen in dieser Augenscheinlichkeit nicht gab. Nämlich die Frage der nützlichen Stimme, des “voto utile”.
Angesichts der Polarisierung zwischen pro-europäischen und anti-europäischen Kräften und vor allem angesichts dieser riesigen Welle, die sich mit dem Wahlsieg der Lega in Italien bestätigt hat, war es meiner Ansicht nach durchaus überlegenswert, dieser Welle etwas Erfolgversprechendes entgegenzusetzen. Wenn jemand aber Parteien die Stimme gibt, von denen man von vornherein weißt, dass sie keine Chance haben – in unserem Falle die Vier-Prozent-Hürde zu schaffen –, dann ist die Stimme weggeworfen. Und das war diesmal bei den Grünen der Fall.

Ich frage mich, was sich ändern wird mit der Lega in dieser Koalition in Südtirol. Nicht viel.

Ein Bündnis zwischen Team Köllensperger, Grünen – ein solches stand eine Zeit lang im Raum stand und scheiterte schließlich am Grünen Nein – und eventuell PD –, hätten Sie als aussichtsreich gesehen, ein weiteres EU-Mandat in Südtirol zu erzielen?

Man muss immer von der realen Situation ausgehen. In Anbetracht dieser rechtspopulistischen und neofaschistischen Welle, die es in Italien gibt, wäre es für mich sinnvoll gewesen, dass pro-europäische Kräfte einen Schulterschluss vornehmen. Auch in anderen Ländern mit Wahlhürden oder bei absoluten Mehrheitswahlsystemen schließen sich die Parteienfamilien zusammen. Das ist nicht leicht. Aber in einer solchen Situation, wie der aktuellen in Italien, Stimmen wegwerfen, ist grob fahrlässig.

Die Südtiroler Grünen haben ihre Hoffnung auf eine andere Welle gesetzt: die Grüne Welle, die ganz stark Deutschland, aber auch andere EU-Länder erfasst hat.

Auch bei den Landtagswahlen ist die Grüne Welle nicht bis Südtirol gekommen – ja soll sie denn bis Sizilien hinunterschwappen, die Grüne Welle, damit man die Vier-Prozent-Hürde schafft? Das ist unrealistisch!

In der SVP nimmt man das Ergebnis von Renate Holzeisen, die für das Team Köllensperger auf der Liste von +Europa angetreten ist, zum Anlass, um sich über das angeblich schlechte Abschneiden der Konkurrenz auszulassen – der neue Parteisekretär sieht das Team Köllensperger, das bei den Landtagswahlen 15,1 Prozent erzielt hat, angesichts der 11,2 Prozent für Holzeisen als “abgestürzt”. Hinkt dieser Vergleich?

Die Hoffnung der Volkspartei, dass das Wahlergebnis der Liste Köllensperger ein eindeutiger Hinweis sei, dass sich diese Bewegung im Abwärtstrend befindet, ist ein Trugschluss. Die Liste Köllensperger ist gekommen, um zu bleiben. Man muss natürlich auch immer die Rahmenbedingungen anschauen: Die Liste Köllensperger ist bei den Europawahlen nicht autonom angetreten, sondern auf der Liste +Europa. Der “voto utile” ist vielleicht auch hier zum Zug gekommen, denn laut Umfragen war es nicht sicher, ob +Europa die Vier-Prozent-Hürde schafft.

Knapp 24.000 Vorzugsstimmen hat Renate Holzeisen erhalten. Ein beachtliches Ergebnis?

Absolut. In diesem Sinne sehe ich Holzeisen als das weibliche Pendant von Köllensperger: die Sauberfrau und der Saubermann. Sie stellen die positive Spiegelung des negativen SVP-Images dar, das saubere Gesicht der SVP.
Das EU-Wahlergebnis für die Liste Köllensperger als eindeutigen Trend zurück zu deuten, das sehe ich absolut nicht so. Wir werden schon sehen, was bei den Gemeinderatswahlen passiert.

Forza Italia für die Volkspartei kein Skandalpotential.

In Österreich stand am Sonntag Sebastian Kurz als großer Wahlsieger da. Seine ÖVP hat um 7,5 Prozentpunkte zulegen können. Am Tag danach zog er als Verlierer von dannen. Das erfolgreiche Misstrauensvotum im Nationalrat hat Kurz’ Kanzlerschaft noch vor den Neuwahlen im September beendet. Wie geht es mit Österreich weiter?

Auf institutioneller Ebene wird der Bundespräsident im Laufe der Woche eine Übergangsregierung mit unabhängigen Fachleuten ernennen, ein Expertenkabinett. Weit interessanter ist die parteipolitische Dimension. Man muss es Sebastian Kurz lassen: Von der Vermittlung her hat er es beim Bruch mit der FPÖ unheimlich geschickt gemacht.
Er hat sich als Opfer präsentiert, auch wenn er als Koalitionspartner der FPÖ auch Täter ist, und er präsentiert sich nach dem Misstrauensvotum umso mehr als Opfer. Ein doppeltes Opfer also. Der Bundespräsident kommt ihm insofern entgegen, als dass er einen Appell an die Staatsräson gemacht hat – die Opposition hat trotzdem den Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung eingebracht. Ich bin überzeugt, dass Kurz aus dieser Niederlage gewinnen wird. Für die Wahlen im September hat er bereits beträchtliche Pluspunkte.

Mit wem wird er im Falle eines Wahlsieges Österreich regieren?

Es ist schwer denkbar, dass er mit der FPÖ noch einmal ein Regierungsbündnis eingehen wird. Aber die NEOS, die ja nicht für den Misstrauensantrag gestimmt haben, stehen bereits ante portas. Wenn es der ÖVP gelingt, ein Ergebnis einzufahren, das eine absolute Koalitionsmehrheit garantiert, ist eine Koalition mit den NEOS so gut wie fix.

In einer solchen Situation, wie der aktuellen in Italien, Stimmen wegwerfen, ist grob fahrlässig.

Wie groß ist der Schaden, mit dem die FPÖ aus den letzten Wochen hervorgeht?

Die FPÖ hat zwar 10 Prozentpunkte bei den EU-Wahlen verloren. Wählerstromanalysen haben allerdings gezeigt, dass die größten Verluste auf jene FPÖ-Wähler*innen zurückgehen, die nicht zur Wahl gegangen sind.

Viele bisherige FPÖ-Wähler sind also daheim geblieben anstatt eine andere Partei zu wählen?

Und es ist durchaus denkbar, dass ein Teil dieser Nicht-Wähler*innen zur FPÖ zurückkehrt. Es sind immerhin noch drei, vier Monate bis zu den Nationalratswahlen. Darum wird die FPÖ bei den nächsten Wahlen wahrscheinlich nicht so schlecht abschneiden wie viele hoffen.

Während Heinz-Christian Strache mit über 37.000 Vorzugsstimmen ins EU-Parlament einziehen wird?

Man wird sehen, ob er sein Mandat annimmt. In seiner Partei sind angesichts der Tatsache, dass er nach dem Ibiza-Skandal und seinem Rücktritt gleich wieder ein Mandat annimmt, einige nervös, wenn auch bei Weitem nicht alle. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass Strache das Mandat annimmt. Man sieht ja auch die Zustimmung, die er erhalten hat. In Österreich gibt es keine so ausgeprägte Tradition, Vorzugsstimmen zu vergeben. Er hingegen hat eine ganze Menge erhalten, unter anderem auch dank des Aufrufs der Identitären. “Jetzt erst recht!” – das war die erfolgreiche Devise.