Society | Zuwanderung

Kein schöner Land

Südtirol verkauft sich weltweit als Land der Begegnung der Kulturen. Ein genauerer Blick offenbart aber welch Alltagsfaschismus auch bei uns längst Einzug gehalten hat.

Es ist eine ganz normale Tiroler Frau. Schätzungsweise zwischen 50 und 60 Jahre alt. Sie sitzt in der Bar an der Tankstelle, gleich hinter der österreichischen Grenze, am Brenner. Es ist Samstag Nachmittag. Wie üblich ziehen die Wolken über den Pass. „Wird das Wetter halten?“, frag ich sie, ziemlich unschuldig. Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Hoffentlich nicht“.
Jetzt bin ich wach und frage zurück. Warum? „Jo, wegen dem Gsindl da draußen“, ist ihre trockene Antwort. Das Gsindel da draußen war am vergangenen Samstag die Veranstaltung „Refugees Welcomee“ am Brenner. Freiwillige aus Nord- und Südtirol hatten auf den Brenner zum „Refugees Welcome Day“ geladen. Gekommen waren Musiker, Künstler und Literaten. Rund 150 Leute im Publikum und viel österreichische Polizei. Es war ein schöner, friedlicher Tag. Nur das Wetter hat am Ende nicht mitgespielt.
Meine Band hat sofort zugesagt, und so sind auch wir an diesem Nachmittag im offiziellen Programm am Brenner vorgesehen. Als ich der Frau erkläre, dass wir zu dem Gsindl gehören und gleich auftreten werden, zuckt sie nur kurz. Nein, so etwas gehe auf keinen Fall. Es soll ein Starkregen kommen, ein Gewitter oder sonst was, damit wir alle so schnell wie möglich wieder verschwinden.
Die Frau nippt an ihrem Bier. Und nuschelt nochmals „Gsindl“. Diskussion zwecklos. Deshalb sage ich ihr nur, sie soll doch nicht so böse sein, mit Menschen, die ein weit schwereres Schicksal haben, als am Brenner an einem Zipfer schlürfen zu müssen. Ihre Antwort: „Die Politik macht uns böse“.
Eben. Schuld sind immer die anderen.

Es ist eine ganz normale Südtiroler Frau. Maria O., zwischen 40 und 50 Jahre alt, mehrfache Mutter. Auf ihrem Profilfoto auf Facebook posiert sie mit Tochter im Dirndl. Ihr großes Hobby ist das Motorradfahren. In der Selbstdarstellung tritt sie für die Rechte der Frauen ein. Auch in der Diskussion um den Flüchtlingsstrom.
So postet sie schon vor geraumer Zeit auf Facebook:

„Wieso kommen fast nur hochgradig potente, junge und wie man oft genug liest, nur freche, schwanzgesteuerte Männer her ? Was ist das für welche Flüchtlingswelle? Frauen und Kinder haben kein Recht auf Flucht oder werden nur Männer verfolgt?“

Maria O. hat sich in den vergangenen Tagen auch in die Diskussion um den fiktiven Aufruf von Armin Mutschlechner zur Suche nach Partnerinnen für die Flüchtlinge eingemischt. Dabei greift sie Mutschlechner auf Facebook frontal an
Doch inzwischen geht das Ganze schon eine Ebene höher. Weil Salto-Redakteurin Lisa Maria Gasser über die menschenverachtenden Reaktionen auf die Mutschlechner-Aktion berichtet hat, gerät jetzt auch sie in der Fokus der normalen Südtiroler Steuerzahlerin.
Am Montagabend postet Maria O. in der Facebook-Gruppe „Südtiroler Diskussionsplattform zur aktuellen Flüchtlingsthematik“:

Geht´s noch untergriffiger und primitiver? Wohl kaum.

Zwei (Süd)-Tiroler Frauen. Ganz normal und durchschnittlich. Zweimal Alltagsfaschismus pur wie er in Südtirol, dem vielgepriesenen Land der Vielfalt und der Begegnung der Kulturen Anno 2016 blüht.
Kein schöner Land in dieser Zeit.