Society | Interview

„Jeder bewegt sich in Filterblasen“

Manuela Lechner vom Netzwerk Eltern-Medienfit erklärt, wann von einer problematischen Mediennutzung die Rede sein kann. Medienkompetenz betreffe die ganze Gesellschaft.
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Foto: Bruno Gomiero on Unsplash
Manuela Lechner vom Forum Prävention koordiniert das Netzwerk Eltern-Medienfit. Das Forum Prävention hat gemeinsam mit der Familienagentur und 16 Partnern dieses Netzwerk gebildet, um ein niederschwelliges, vernetztes und zweisprachiges Angebot zur Stärkung in der digitalen Erziehung zu entwickeln.
 
 
salto.bz: Frau Lechner, welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen?
 
Manuela Lechner: Nach der ersten Welle in der Corona-Pandemie hatten wir beim Forum Prävention einen Zuwachs an Erstberatungen. Viele Eltern waren besorgt, weil das Mediennutzungsverhalten ihrer Kinder und Jugendlichen gestiegen war. Oft arbeiteten sie im Homeoffice und mussten ihre Kinder irgendwie beschäftigen, weil alle Betreuungsmöglichkeiten weggefallen sind. Waren Treffen wieder erlaubt, hat sich das Mediennutzungsverhalten teilweise wieder reduziert und normalisiert, da die Jugendlichen sich gerne persönlich treffen. Bei denjenigen, die eine problematische Mediennutzung entwickelten, waren bereits vorher Schwierigkeiten im sozialen oder schulischen Umfeld vorhanden. Nicht die Medien an und für sich führen zum Problem, sondern Schwierigkeiten im Umfeld. Diese bringen Kinder und Jugendliche dazu, ihr Leben mehr ins Digitale zu verlagern.
 
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hängt die Gefahr einer problematischen Mediennutzung also von der Suchtanfälligkeit einer Person ab.
 
Jein. Wenn jemand einen problematischen Konsum entwickelt, liegen mehrere Dinge im Argen. Die Prozentzahl der Kinder und Jugendlichen, die ein problematisches Mediennutzungsverhalten entwickeln, ist laut Studien in den westlichen Ländern aber gering.
Dadurch wissen sie nicht, wie sie ihre Kinder und Jugendlichen in der digitalen Welt begleiten sollen.
Wie können Eltern ein problematische Mediennutzung erkennen?
 
Laut Statistiken steigt die Nutzung von digitalen Medien in der Pubertät, zwischen dem Alter von ungefähr zwölf bis siebzehn Jahren. Die Jungs spielen dann meistens mehr, die Mädchen sind eher in den sozialen Medien unterwegs. In dieser Zeit erhalten die Jugendlichen oft auch ihr erstes Gerät und Eltern geraten in Sorge, ob das Nutzungsverhalten ihrer Kinder normal ist. Hier beruhigen wir die Eltern, da es normal ist, dass in diesem Alter digitale Medien einen größeren Raum einnehmen. Eltern sollen den Blick auf das gesamte Lebensumfeld der Kinder richten: Wie läuft es sonst in ihrem Leben? Gehen sie noch raus? Treffen sie Freunde? Wie läuft es in der Schule? Wird die Nacht zum Tag, da sie durchzocken oder gibt es ausreichend Zeit für Schlaf? Es hilft, mit ihnen in Kontakt und im Gespräch zu bleiben, sich dafür zu interessieren, was die Kinder in der digitalen Welt machen, und diese ein Stück weit gemeinsam zu entdecken.
 
Wie können problematische Mediennutzer:innen unterstützt werden?
 
Es gibt verschiedene Beratungseinrichtungen. Die Familienberatungsstellen können ein erster Ansprechpartner sein, das Forum Prävention bietet Erstberatungen an und Young Hands und La Strada arbeiten mit Kindern und Jugendlichen. Gemeinsam schaut man sich an, was die betroffene Person jetzt braucht und welches Grundproblem dahinterliegt. Anschließend plant man die weiteren Schritte.
 
Mit welchen Sorgen treten Eltern an das Netzwerk Eltern-Medienfit heran?
 
Die Sorgen sind sehr vielfältig. Häufig fragen sich Eltern, ob ihr Kind zu viel Zeit am Smartphone verbringt oder zu viel am Computer spielt. Als es vor einigen Jahren den Hype um das Spiel Fortnite gab, war das für viele Eltern eine neue Welt. Der Inhalt der Anfrage hängt andererseits aber auch immer davon ab, welcher unserer Netzwerkpartner kontaktiert wird, die Postpolizei etwa beschäftigt sich mehr mit dem Thema der Internetkriminalität.
 
Gibt es Probleme, die weit verbreitet sind?
 
Die große Aufgabe, vor der wir als Gesellschaft stehen und die nicht nur Kinder und Jugendliche betrifft, ist ein kompetenter Umgang mit Medien. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wo es jede und jeden sowie die Zusammenarbeit mit den Bildungseinrichtungen braucht.
Die Inhalte sind ausgesucht, gefiltert und auf mich zugeschnitten.
Wo fehlt es unserer Gesellschaft an Medienkompetenz?
 
Wir leben mittlerweile in einer digitalisierten Welt. Der Großteil der Bevölkerung nutzt ein Smartphone und bewegt sich im Internet auf den verschiedensten Kanälen. Das beschert uns viele kreative Möglichkeiten, aber auch Gefahren.
 
 
In sozialen Medien werden wir seltener mit anderen Meinungen konfrontiert als beim Aufschlagen einer Tageszeitung. Gefährdet das unsere Demokratie?
 
Es ist wichtig, sich über die Mechanismen von sozialen Medien und Suchmaschinen im Internet bewusst zu sein. Im Internet werden meine Nutzerdaten gesammelt und daraus wird ein Nutzerprofil erstellt. Aufgrund dessen sehe ich dann einen bestimmten Post und einen anderen eben nicht. Hier spricht man von sogenannten Filterblasen. Diese bergen natürlich die Gefahr, dass man den Eindruck erhält, dass es nur eine Meinung gibt oder alle dieselbe Meinung haben wie ich.
Außerdem müssen insbesondere Senior:innen, Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern in umfassenden Projekten sensibilisiert werden.
Wie kann man Menschen daran erinnern, dass die Realität vielschichtiger und komplexer ist als im Internet dargestellt?
 
Jeder von uns bewegt sich in Filterblasen. Auch im privaten Umfeld umgeben wir uns oft eher mit Menschen, die unserer Meinung sind und unsere Interessen teilen. Das ist auch in Ordnung. Diese Mechanismen in den digitalen Medien sind nicht grundsätzlich schlecht, aber wir sollten über sie Bescheid wissen. Wir sollten wissen, dass die Inhalte auf den verschiedensten Plattformen nicht zufällig sind und nicht einem Eins-zu-Eins-Abbild der Realität entsprechen. Die Inhalte sind ausgesucht, gefiltert und auf mich zugeschnitten. Dieses Bewusstsein hilft schon viel.
 
Wie kann die Südtiroler Bevölkerung in ihrer Medienkompetenz gestärkt werden?
 
Diese Frage stellen wir uns auch im Netzwerk, um über die Eltern hinaus andere Zielgruppen zu erreichen. Es braucht Ansätze auf mehreren Ebenen. Beispielsweise bietet die Volkshochschule über das Projekt DIGGY Hilfe in Bibliotheken an, um die technischen Fähigkeiten in der digitalen Welt zu stärken. Außerdem müssen insbesondere Senior:innen, Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern in umfassenden Projekten sensibilisiert werden. Dabei geht es nicht nur um den technischen Umgang, sondern auch um Datenschutz, Kommunikation im Netz, Fake News, Hate Speech und die Mechanismen im Internet. Die Angebote können von Informationskampagnen, Sensibilisierungsarbeit über Fortbildungskurse bis hin zu Angeboten, die die Kreativität im Umgang mit digitalen Medien fördern, reichen. Grundsätzlich braucht es eine Sensibilisierungs- und Unterstützungsarbeit auf mehreren Ebenen. In Lana und Umgebung führen wir beispielsweise momentan ein umfassendes Präventionsprojekt im Medienbereich durch, in das mehrere Player (Gemeinden, Sozialsprengel, Schulen, Jugendeinrichtungen) involviert sind und wo generationsübergreifend durch verschiedenste Initiativen die Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen, Eltern, Lehrpersonen und Großeltern gefördert wird.
 
Wieso wurde das Netzwerk Eltern-Medienfit gegründet?
 
Es gab den Bedarf vonseiten der Eltern. Sie fühlen sich häufig überfordert und brauchen in der digitalen Welt Unterstützung. Die Kinder und Jugendlichen sind ihnen voraus und sie haben das Gefühl, dass sie nicht mehr mitkommen. Dadurch wissen sie nicht, wie sie ihre Kinder und Jugendlichen in der digitalen Welt begleiten sollen. Auf Initiative der Familienagentur wurde 2018 deshalb das Netzwerk vom Forum Prävention gegründet. Wir wollen Eltern mit diesem Netzwerk in der digitalen Erziehung stärken. 
 
Wie will sich das Netzwerk Eltern-Medienfit weiterentwickeln?
 
Das Netzwerk wurde 2018 gegründet, um Eltern in der digitalen Erziehung zu unterstützen, die Angebote der verschiedenen Organisationen und Einrichtungen in Südtirol zu bündeln, sich regelmäßig auszutauschen und gemeinsame Initiativen umzusetzen. Eine Webseite wurde erstellt und 10 Tipps zur Stärkung in der digitalen Erziehung sowie dazugehörige Videos erarbeitet, die auf der Webseite abrufbar sind. Die Tipps wurden auch in Print-Form über die Kindergärten an die Eltern verteilt. Kürzlich haben wir im Auftrag der Familienagentur eine Erhebung durchgeführt, um herauszufinden, welche Player in Südtirol Medienkompetenz fördern und im Bereich der Prävention tätig sind. Die Ergebnisse wurden ausgewertet und auf Basis dessen wollen wir uns weiterentwickeln, um die Medienkompetenz in Südtirol zu stärken.