Culture | Salto Afternoon

Größerer Klangkörper

Das Projekt Südtirol Filarmonica blickt auf die Tätigkeit 2022 zurück und die des laufenden Jahres vor. Im Programm finden sich Berlioz, Wagner, Debussy und Stravinsky.
Zeno Kerschbaumer (Präsident) und Isabell Goller (Orchestermanagement) in Präsenz, sowie Michael Pichler (Künstlerische Leitung) in Live-Schalte aus Heidelberg übernahmen die neuerliche Vorstellung des Projekts und der für den 6. bis 8. Oktober geplanten Konzerte in Toblach, Bozen und Meran. Das diesjährige Credo für die Abende lautet, nachdem die Mottos der Vorjahre „Die Kraft des Debüts“ und „Die Kraft der Liebe“ waren, nun gleich schlicht „Die Kraft der Inspiration“.
Das 2020 offiziell ins Leben gerufene Orchester wurde erst mit Image-Videos, dann mit Zahlen präsentiert: Die „319 Musiker“, auf „4 Kontinenten“ tätig, verbindet „1 Heimat“, die „alle Gemeinden und Fraktionen“ vertreten sieht.
Um das Niveau der MusikerInnen (zu 43 Prozent weiblich, zu 57 Prozent männlich) zu unterstreichen, gab es in der Powerpoint Präsentation eine Slide mit durcheinander gewürfelten Orchesternamen, sowie die Erinnerung an die Aufnahme des Trompeters Bertold Stecher aus Mals bei den Berliner Philharmonikern, der im August als erster Südtiroler in deren Reihen Platz finden wird. Stecher war 2021 Teil der jährlich rotierenden Orchesterbesetzung, welche zu 26 Prozent aus festangestellten MusikerInnen und zu 74 Prozent aus FreiberuflerInnen besteht. „Ausgetauscht“ werden dabei von einem Jahr auf das nächste jeweils „rund 30 % der Besetzung“, so Goller.
 
Südtirol Filarmonica
Südtirol Filarmonica: Die Pressekonferenz im Waaghaus hatte durch die MusikerInnen sicher auch den einen oder anderen Zuseher auf fernen Kontinenten. | Foto: Privat
 
Dabei werden 16 bis 66-jährigen Profis und StudentInnen zusammengeführt und erhalten für die Woche (fünf Probetage und drei Konzerttage) eine einheitliche Gage. Größentechnisch ist der „aktive“ Teil des Orchesters auf 75 MusikerInnen angewachsen, nachdem 2021, 55 MusikerInnen die Bühne betraten und 2022, 66. Und ja, trotz Musik als „gemeinsame Sprache“ der Projektmitglieder, gab es auch eine Statistik zu deren Sprachgruppen-Zugehörigkeit, diese verteilt sich zu 66 Prozent auf deutsche MuttersprachlerInnen, zu 22 Prozent auf italienische, zu 8 Prozent auf ladinische und zu 4 Prozent auf die sogenannten „neuen Sprachen“ im Land. Auf die weiteste Anreise werden sich der Lananer Hornist Armin Terzer aus China, sowie die Maulser Flötistin Carolin Ralser aus Singapur vorbereiten. Insgesamt werden bis zum Zusammentreffen der Musiker bei den Proben vom 1. bis 5. Oktober in Toblach 67.081 Kilometer zurückgelegt werden, welche man mit der Aktion „Klingende Kilometer“ des Trägervereins ARTON zu einem Kilometer pro gespendetem Euro mitfinanzieren möchte. Am Ende wird ein errechneter CO₂-Ausstoß von 11,9 Tonnen entstehen, was - je nach Schätzwert - in etwa dem durchschnittlichen jährlichen CO₂-Fußabdruck einer Person in Europa entspricht und über CO₂-Zertifikate kompensiert werden soll. Dazu einen Beitrag für die Unterbringung und Verpflegung der Musiker zu leisten sind die jeweiligen Heimatgemeinden eingeladen.
 

Das Programm

 
Live aus Heidelberg zugeschaltet, erörterte Künstlerischer Leiter und Dirigent des Projektorchesters Michael Pichler die Programmauswahl. „Die Kraft der Inspiration“ sieht einen musikgeschichtlich chronologischen Abendverlauf vor, der bei Hector Berilozs Ouvertüre „Le carneval romain“ (1844) beginnt, gefolgt von zwei Stücken Richard Wagners, dem „Waldweben“ aus dem zweiten Akt des „Siegfried“, sowie „Siegfrieds Rheinfahrt“ aus der „Götterdämmerung“ (zusammen 1876 uraufgeführt). Es folgt Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faun“ (1894), sowie Igor Stravinskys „Feuervogel“ als Suite für Orchester in der 2. Fassung von 1919. Summa Summarum stehen damit 65 Minuten Klassik am Plan, welche einen Teil „des großen symphonischen Repertoires“ abdecken soll, nicht nur wegen der Qualität, sondern auch durch „die Menge der Musiker“, welche zur Verfügung stehen. Gerade im Finale des Feuervogels verortete Pichler noch einmal die Möglichkeit im „fulminanten Finale“, gerade für die Bläser noch einmal solistisch zu zeigen, „was Qualität heißt“.
 
Südtirol Filarmonica
Südtirol Filarmonica: Der junge Michael Pichler übernimmt auch heuer wieder die Doppelrolle als Dirigent.  | Foto: Südtirol Filarmonica
 
Eine mögliche „kleine Zugabe“ sei vorbereitet, Michael Pichler verriet nur so viel: Sie sei „ein melancholischer Blick in die Vergangenheit“, man blicke „gern noch einmal zurück und fühlt, dass  es vielleicht früher besser war“. Ist im diesjährigen Programm wiederum nicht Platz geschaffen worden für „hiesige“ Komponisten, wie im Auftaktjahr 2021 mit der „Ouvertüre in C-Moll“ des Malsers Johann Rufinatscha, so hat man noch auf eine weitere Aktion der Heimatverbundenheit hingewiesen: In Kammerorchester-Besetzung werden für Musik-SchülerInnen im Land exklusive Konzerte gespielt, da die Musikschulen im Land für viele OrchestermusikerInnen auch ein Ausgangspunkt waren. Nachdem es im Vorjahr an die Musikschule in Brixen ging, darf sich in diesem Jahr die Musikschule Klausen auf ein „interaktives Cello-Oktett“ freuen.
 
Isabel Goller
Isabel Goller: ​​​​​​​Für sie ging es gleich weiter nach Wien. Da sie in Bozen nicht konzertierend war, gestaltete sich die Reise ohne Harfe einfacher. ​​​​​​​| Foto: Privat
 
Harfenistin und Orchestermanagerin Isabel Goller haben wir nach der Pressekonferenz noch für einige Fragen abgefangen, bevor es für sie zurück in Richtung Wiener Staatsoper ging, wo derzeit ebenfalls Wagners Ring auf dem Programm steht.
 
Frau Goller, wie lange dauert es durch das Rotationsprinzip in der Probezeit, bis sich die MusikerInnen wieder gefunden haben?
 
Isabell Goller: Wir proben ja fünf Tage miteinander und dadurch, dass alle Profis sind reicht das. Man merkt auf jeden Fall einen Unterschied von Tag 1 zu Tag 5. Heuer beginnen wir einen halben Tag früher, mit der Ankunft der Streicher und Streicherproben.
 
In den Statements in welchen letztes Jahr das Orchestererlebnis von den MusikerInnen in einem Wort zusammengefasst wurde fand sich auch das Wort „anstrengend“ und heuer ist der oder die Jüngste 16 Jahre alt. Wie ist die Erfahrung für die jungen TeilnehmerInnen?
 
Ja, das Statement kam eben auch von einem jungen. Das ist für uns aber in dem Sinn ein Kompliment, da es ja auch heißt, sie waren gefordert und haben etwas gelernt, was für sie und auch für uns etwas Tolles ist.
 
Wie langfristig kann man planen? Die Kosten des Projekts dürften nicht gerade gering sein, auch wenn man von den Kilometern hört; Weiters gilt es für Verpflegung, Unterkunft und Gage zu sorgen. Mit drei Konzerten, bei welchen zahlendes Publikum dabei ist, wird sich das nicht decken lassen.
 
Wir planen tatsächlich schon parallel für 2024 weiter und sind, was unsere finanzielle Planung anbelangt auch sehr breit aufgestellt, durch verschiedene Aktionen, welche neben der öffentlichen Hand das Projekt mitfinanzieren, auch durch die Privatwirtschaft und Werbeseiten im Orchester-Katalog. Mit den Gemeinden kooperieren wir für die Aufenthaltskosten und haben weiters noch die „Klingenden Kilometer“. Dadurch haben wir Vertrauen, das auch langfristig finanzieren zu können.
 
In welchem Bereich bewegen sich die Kosten?
 
Das variiert von Jahr zu Jahr, wir sind aber jedenfalls im sechsstelligen Bereich.
 
Was schätzen Sie als Musikerin besonders am Orchester und der gemeinsamen Zeit?
 
Ich kann diese Frage nur aus meinen beiden Perspektiven beantworten, einmal als Musikerin und einmal als Mitbegründerin. Für mich ist das die emotionale Ebene, welche das Projekt für die Musiker und Musikerinnen hat. Man beobachtet auch, dass es anfangs beim Essen noch sehr den italienischen und den deutschen Tisch gibt und innerhalb der Woche wird das aufgelockert, weil man zusammen Musik macht und sich darüber näher kommt. Dass das Miteinander der Musiker dann im Alltag gelebt wird, ist das Schönste.
 
Die Frage habe ich im Vorjahr bereits Zeno Kerschbaumer gestellt, weil der Begriff „Heimat“ mitunter als problematisch gilt. Was bedeutet das Wort für Sie?
 
Heimat ist für mich ein Ort von dem ich herkomme und mit dem ich mich verbunden fühle. Ich kann den Begriff nicht mit Stolz verbinden, weil es nichts ist, für das ich was kann, aber ich fühle mich mit dem Ort und seinen Werten verbunden, vielleicht auch mit den Traditionen und der Sprache. Da sind wir in Südtirol etwas eigen, weil wir in dem Sinne eine Mischkultur sind.