Kunst aus der Psychiatrie

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Er ist in Osttirol auf das Motorrad gestiegen und immer schneller gefahren. „Ich wollte mich so wieder finden und weg von den Stimmen“, sagt Johannes Steinhauser. Als er Richtung Pustertal mit dem Fahrzeug stürzte, brach er sich mehrere Zehen am linken Fuß und verletzte eine weitere Person. „Ich beschloss aus dem Krankenhaus in Bruneck abzuschieben, füllte die Formulare aus und bin mit dem Zug nach Meran gefahren. Weil ich den Anschluss verpasst habe, musste ich 100 Euro für das Taxi bezahlen“, erinner sich der junge Mann aus dem Vinschgau.
Zurück bei den Eltern zuhause sei die Überforderung auf allen Seiten groß gewesen und die Stimmen in seinem Kopf noch immer da. Heute erzählt Steinhauser, dass er es ohne Hilfe nicht geschafft hätte. „Ich habe nichts ausgelassen und mehrere Suizidversuche hinter mir“, sagt er und spricht offen über seinen Konsum von Alkohol, Cannabis und Tabak – er hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: „Ich möchte vor meinen eigenen Kindern nüchtern leben.“
„Die Kunst gibt mir in schwierigen Situationen Halt.“
Steinhauser, Jahgang 1998, beschloss nach der abgeschlossenen Tischlerlehre die Landesberufsschule für das Gastgewerbe Savoy zu besuchen. Als wegen der Corona-Pandemie der Schulunterricht nur noch über Computerbildschirmen abgehalten wurde, brach er die Ausbildung ab und half bei einer Würstelbude aus. Doch die Einschränkungen während der Pandemie, Existenzängste, Drogenkonsum und Halluzinationen erschwerten es ihm, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen.
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Mit diesen Schwierigkeiten ist der junge Künstler nicht alleine: Psychische Krankheiten betreffen auch in Südtirol immer mehr Menschen. Waren es im Jahr 2005 laut ASTAT noch 12.500 Personen, die an einer Depression leiden, so ist dieser Wert im Jahr 2013 auf 20.900 Personen angestiegen. Die Corona-Pandemie hat das verstärkt und die Folgen sind bis heute spürbar. Die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche hat das Südtiroler Institut für Allgemeinmedizin und Public Health in vier Online-Erhebungen untersucht. Laut den Ergebnissen zeigen vor allem Kinder, die sich durch globale Krisen stark belastet fühlen, Kinder von Alleinerziehenden oder mit Migrationshintergrund Anzeichen seelischer Belastung. Und für etwa 13 Prozent der Jugendlichen und 5 Prozent der Kinder spiele Corona noch immer eine relevante Rolle im Alltag.
„Ich will vermitteln, dass man nicht aufgeben und an sich arbeiten soll. Die Hilfe wird geboten.“
Auch bei Steinhauser hat sich durch die Corona-Pandemie die Situation zugespitzt. Nach einer schwierigen Kindheit und dem Motorradunfall war der Schritt in die Psychiatrie für den Betroffenen im Rückblick deshalb hilfreich. Dort erhielt er auch endlich eine Erklärung für die Stimmen im Kopf: Schizophrenie. Seitdem befindet sich Steinhauser in Therapie und kann mehr Lebensfreude empfinden. In der Psychiatrie hat er außerdem die Kunsttherapie kennengelernt. Sie sei nicht nur eine willkommene Abwechslung im Alltag einer geschlossenen Struktur, sondern auch eine neue Möglichkeit, sich auszudrücken.
Durch die Kunsttherapie findet Steinhauser wieder Hoffnung und gewinnt Selbstvertrauen. Nach dem Aufenthalt in dem psychiatrischen Reha-Zentrum Basaglia in Sinich fängt er an, in einem Meraner Fahrradgeschäft zu arbeiten und kommt so wieder in Kontakt mit anderen Menschen. Heute arbeitet er auf einem Bauernhof in Prad und nimmt keine Drogen mehr. „Die Kunst gibt mir in schwierigen Situationen Halt“, erklärt Steinhauser. Er arbeitet mit Akrylfarben, Lackspraydosen, Kreide, Bleistift oder Kuli. Auch die Natur wird miteingebunden: Regnet es, legt der Künstler ein Blatt Papier nach draußen und die Tropfen formen das Bild neu.
Im schaufenster* der BASIS Vinschgau Venosta wird am 8. August in der Fußgängerzone von Schlanders seine erste Ausstellung mit dem Titel „Das Leben danach“ gezeigt. „Ich will vermitteln, dass man nicht aufgeben und an sich arbeiten soll. Die Hilfe wird geboten“, erklärt Steinhauser. Sein offener Umgang mit psychischen Krankheiten bricht mit Tabus und beweist, dass Kunst mehr kann als nur gefallen.
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BASIS schaufenster* #23 „Das Leben danach“
in der Fußgängerzone von Schlanders (Hauptstraße 102)
Freitag 08.08, 18.00 Uhr mit musikalischer Umrahmung von den Stubm Punks
Öffnungszeiten
jeden Donnerstag
ore 9.00 - 12.00 + 15.00 - 17.00 Uhr
Samstag 09.08., Mittwoch 16.08. + 30.08.
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