Environment | Klimakatastrophe

Heute brennt die Welt

Was tun mit dieser Zukunft? Das Leben genießen und das Überleben hinauszögern. Meine ersten Erfahrungen aus dem Leben in der Klimakatastrophe.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Palmen
Foto: Georg Zeller

Vor ein paar Wochen bin ich viel mit dem Bus gefahren. Mit diesen Überlandbussen, die gebraucht aus einem wohlhabenden Land importiert werden. Von einer Stadt in die andere fuhr der Fahrer, als hinge sein Leben davon ab einfach immer der Schnellste zu sein. Hand an der Hupe überholte er auf unübersichtlichen Schnellstraßenabschnitten nicht nur Großtransporter sondern auch die zahlreichen eh schon flotten schwarzen Mercedes-Limousinen. Schaute er in den Rückspiegel, gaben sich die anderen mitreisenden Männer gelassen. Schaute er nicht, so sahen auch sie wie ich auf die Straße, um einzuschätzen wie groß die heranrasenden Gefahren auf der Gegenspur waren.
Er bremste auf offener Strecke. Die Vordertür öffnete sich per Automatik. Eine Dame mit Einkaufstaschen stieg ein und mit ihr ein Schwall heißer Luft.
8.30 Uhr morgens, 36°.
Einige Stunden und einige Grenzstationen später war der Bus etwas älter. Die Klimaanlage kämpfte hier vergeblich mit der Tageshitze. Kläglich bot sie den wenigen Reisenden eine Idee von Frische. Ich schwitzte vor Panik. Stelle mir so die Zukunft vor. Wir sitzen in einer Behausung aus Blech in der es so heiß ist, dass keine Klimaanlage wirklich etwas dagegen ausrichten kann. Um sie zu betreiben röhren Motoren, die die letzten auf der Erde verfügbaren Reste schmutzigen Diesels verbrennen. Sie spucken schwarzen Rauch, sich bewusst, dass sie damit die Temperatur draußen weiter in die Höhe treiben.
Bei jedem Halt des Busses kaufte ich Wasser in großen Flaschen aus Plastik. Man nahm sie aus lauwarmen Kühltruhen am Straßenrand deren Glastüren vergeblich mit einen Stück Karton beklebt waren um sie vor der direkten Sonne zu schützen.

Eine alte Stadt am Meer. Abends um halb elf schwitze ich noch alleine vom Atmen. Der Weg in die Stadt führt über eine enge Brücke mit zwei Spuren, eine für die Fußgänger in die Stadt, eine für jene aus ihr heraus. Käsehäutige Männer balancieren Bierbecher aus Plastik auf dem Kopf. Darin Eiswürfel und wenn das Bier über den Rand schwappt Jauchzen ob der Erfrischung der bereits ausgiebig angeheiterten Gedanken. Überall wird Musik gespielt, so laut, dass sich Schlager, Balkanrock, Live-Tango zu einem Teppich verweben. Ein Loch in der Stadtmauer führt zu einer Bar mit Blick aufs Meer. Hier kostet das Bier wie andernorts ein Kleid. Um durch das Loch zu gelangen scheint es obligatorisch zu sein, ein Selfie zu machen, nachdem es die anderen hundert Menschen vor dir auch gemacht haben. Zur Musik mischt sich nun Geschrei. Der einzige Weg sich zu verständigen ist, die anderen zu übertönen. Ein schwieriges Unterfangen, das alle 40 Sekunden vom tiefen Landeanflug eines Billigflugzeugs unterbunden wird. Zur Krönung schließlich noch ein Feuerwerk. Oben in der Stadt ist es ruhiger, die alten Touristen schaffen es nicht die Treppen herauf, die jungen interessiert es nicht. Hier sitzen Frauen unter leuchtenden Betttüchern, die von Fenster zu Fenster gespannt sind. Ein junger Hund. Ein Bastard wohl. Ich muss zugeben, dass ich kaum einen Dackel von einem Schäferhund unterscheiden kann. Im dreieckigen Schatten einer Backsteinmauer versucht er sich an einer alten gebrechlichen Hündin, die sich müde und ohne Überzeugungskraft widersetzt.

Am Morgen darauf, 8.15Uhr, 35,5°. Ich lese eine Zeitung in einer mir fremden Sprache: Heute brennt die Welt. Ich stelle mir so die Zukunft vor: Auf einem trockenen Feld Sibiriens kämpft ein alter Traktor mit der zementharten Erde. Ein wenig Staub weht durch die Luft. Der Motor ist heiß, obwohl gerade erst einzelne Sonnenstrahlen die dünne graue Wolkenschicht durchbrechen. Das glühende Auspuffrohr kommt mit einem verdorrten Grashalm in Kontakt. Es zischt. Gasexplosionen. Binnen Sekunden brennt es lichterloh. Auf der sommerlichen Ferieninsel Gran Canaria schlürft zeitgleich ein dicker Deutscher mit Sonnenallergie einen lauwarmen Allinclusivecocktail und raucht. Aus dem Aschenbecher stinkt es nach fast verglommenen Frühstückszigaretten. In einem müden Löschversuch nimmt er den Ascher und verbrennt sich dabei die fetten Finger. Der qualmende Inhalt fällt auf den Boden am warmen Pool und plötzlich brennt es überall. Schreiende Frauen in Bademänteln stürmen aus ihren Zimmern. In Sibirien flackert währenddessen der tiefschwarze Rauch kurz vor der Sonne vorbei und spendet Momente des Schattens. Ich denke an Berge. An Frische. An Quellen, deren Wasser kühl ins Tal sprudelt. Grüne, saftig dunkle Wälder. Ich sitze auf einer Holzbank unter einem Baum auf dem die Vögel zwitschern. Dank meiner ererbten Staatsangehörigkeit durfte ich hier wohnen bleiben. Unten in der Ebene Zeltstädte aus verblichenem Leinen so weit das Auge reicht. Wo einst Maisfelder und satte Wiesen lagen, jetzt nur Verdörrtes, schwarze Reste von Holz, zerrissene Erde. Magere Mütter mit verbrannter Haut tragen Kinder im Arm, die keine Kraft mehr zum Schreien haben, Väter versuchen das Hab und Gut der jungen Familie über den hohen, mit Stracheldraht verstärkten Zaun auf das diesseits liegende Gras zu werfen. Ein junger Mann hat es unter dem Zaun durch geschafft. Er nimmt mit der Hand einen Schluck aus dem Bach, da springt ihn ein Hund an, schlägt ohne Vorwarnung seine Zähne in dessen Arm. Es ist wohl ein Bastard...

Nachdem ich schweißüberströmt im Bus wieder erwache, oszillieren meine Gedanken. Was tun mit dieser Zukunft? Noch alles machen, was ich schon immer machen wollte. Oder versuchen die Welt zu retten. Ein Buch schreiben, die Strände Albaniens entdecken, nach Samarkand. Endlich in die große Stadt umziehen. Mein Erspartes würde wohl ein paar Monate reichen. Noch ein Kind machen. Wäre das verantwortungslos? Und wie käme ich an die albanischen Strände, mit dem Billigflieger?
Ich berate mich mit einem jungen Mann, der gerade erwachsen geworden ist. Er lebt im Bewusstsein, dass er aufgrund seiner schweren Krankheit statistisch gesehen nur zirka 30 Jahre alt werden wird. Deshalb will er erstmal die Schule gemütlich fertig machen, wo es ihm mit seinen Freunden gut gefällt und anschließend eine Arbeit finden, in der er sich wirklich zu Hause fühlt. Mehr erwartet er nicht. Das Leben genießen und das Überleben hinauszögern. Er sagt, er verhalte sich deshalb sehr verantwortungsbewusst. Im Gegensatz zu seinen Freunden raucht er nicht und trinkt wenig, schaut links und rechts bevor er die Straße überquert. Und freitags geht er demonstrieren. Als er zu einer Kreuzfahrt in den Fjorden eingeladen wurde hat er trotz mieser Umweltbilanz dennoch zugesagt.

Was tun also mit dieser Zukunft? Das Leben genießen und das Überleben hinauszögern. Das ist kein echter Plan, mehr ein Versuch nicht direkt zu verzweifeln.

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Salto User
Sepp.Bacher Thu, 08/29/2019 - 21:11

Sehr schöner Text, danke! Er ergänzt in angenehmer, ja fast ästhetischer Sprache, die Themen, die gerade sehr aktuell sind und auf diesem Portal politisch schon bis-ins-geht-nicht-mehr ausdiskutiert wurde und noch werden.

Thu, 08/29/2019 - 21:11 Permalink
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Günther Mayr Fri, 08/30/2019 - 12:00

was immer es heißen mag: das leben geniessen - ist es ein genuß?
oder einfach: leben!
ohne schwarz/weiss sieht man die farben besser!
alles gute!

Fri, 08/30/2019 - 12:00 Permalink
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gorgias Sun, 10/06/2019 - 12:22

Sie wollen nicht die Welt ein bisschen sauberer machen, sondern dass die Politik konsequent nach dem Konsens der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Klimapolitik gestalten.

Und übrigens ob ein Zimmer aufgeräumt ist oder nicht hat auf das Klima keinen Einfluss.

Sun, 10/06/2019 - 12:22 Permalink