Society | Heucheltourismus

So gesund!

Wer in sein will, geht raus in die Natur des Heiligen Landes Südtirol. Da ist es gesund, natürlich und unverfälscht. Oder nicht?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Latschen am Berg (Unsplash)
Foto: Frei: Unsplash

So gesund!

“Lass uns rausgehen”, sagen die Südtiroler an jedem Sonntag. “Das Wetter ist so schön, da muss man doch etwas draußen machen. Die große Freiheit lockt. Von natürlichem Serotonin und Dopamin ist die Rede, die beim stundenlangen Gelatsche durch die Berge ausgeschüttet werden. Die Hobbysommerfrischler schwärmen von frischer Luft, dem Duft von Nadeln, frei von Verschmutzung und so gesund. Genau. Einmal pro Woche für ein paar Stunden in die frische Luft hoch. Stundenlange Anfahrten, verstopfte Straßen und Luftverpestung heben das natürlich nicht wieder auf.

Immer mit dabei bei The Great Outdoors: Kameras. Selfie mit Baum. Selfie vor Berg. Selfie, während ein Braunbär von hinten über einen herfällt (in dem Fall obliegt es den Begleitern, sicherzustellen, dass die Bilder auf Facebook eingestellt werden). Selfie mit Wienerschnitzel auf der Schutzhütte. Selfie von der Toilettenschüssel danach. Urig, zünftig, deftig essen und mit viel Bier runterspülen. Danach ein paar Schnäpse und schon geht’s leicht torkelnd weiter. Das wird natürlich nicht gezeigt. Das Bildersharing ist natürlich genauso wichtig, um die Facebook-Nachbarn möglichst neidisch zu machen wie sich selbst davon zu überzeugen, dass man A) etwas für die Gesundheit geleistet hat und B) ein großes Abenteuer erlebt. 

Was natürlich Blödsinn ist. Denn derlei Abenteuer in der alpinen Wildnis sind genauso zufällig wie eine Löwensafari im Krüger-Nationalpark. Alles ist eingeteilt, vorgeplant, und an kleinen Mautpunkten hält irgendwie immer irgendwer die Patschehand auf. Parkplatz, Eintritt, Anschauen. Straßen führen bis zur Talstation von Liftanlagen. Gondeln pferchen Menschen auf kleinstem Raum ein und bringen übergewichtige Touristen mit Flip-Flops bis auf 2.500 Meter Meereshöhe. Sie ahnen es: Selfie. Dann essen. Wenn dann einer besoffen über seine ungelenken Füße stolpert und 200 Meter den Berg hinunterkullert gibt es ein paar freundliche Worte der Bergrettung, ein stilles Gebet und eine mittelgroße Zeitungsnachricht in der “Dolomiten”. Allzu groß aufbauschen darf man das nicht, ist ja wie jedes Wochenende ein Einzelfall. Und es könnte sonst dem Tourismus schaden.

Wildtiere mag man bei den Veranstaltern der alpinen Safariillusionen nicht so sehr. Auch da gilt: Was ein ungutes Image abwerfen und Flip-Flop-bewehrte Touristen mit dicken Bäuchen und Brieftaschen abschrecken könnte, wie etwa Bären oder Wölfe, hat man gefälligst abzuknallen. Da gilt das Motto der Bergertscheggl “Schießen, schaufeln, schweigen.” Auch Kühe sind auf Almen nicht mehr so beliebt wie früher, haben sie doch für schlechte Schlagzeilen gesorgt, als mehrmals Touristen ein Muttertier mit ihren Hunden belästigten und dann zu Recht auf die Hörner genommen wurden. Was Einnahmen kosten könnte, wird zum Provinzfeind erklärt und muss weg.

Seitdem setzt die Alpinindustrie lieber auf Kohlekühe: Cash-Cows. Dazu wird alles gebaut, was irgendwie von irgendwem, egal wie dämlich, zur Steigerung der eigenen Lust reichen könnte. Alpinbobfahren, Seilbahnen, Skilifte, Kinderspielplätze und Luxuschalets gehören auch von jeher in eine Naturlandschaft, in der Bauern und Touristiker am besten wissen, was sich Dohle und Murmeltier wünschen. Die Behauptung, ihnen liege die Kulturlandschaft und Natur auf den Almen am Herzen ist genauso gelogen wie die Behauptung, man würde nach der Pandemie auf sanften Tourismus setzen.

Kaum war alles wieder einigermaßen offen, schnellten die Nächtigungszahlen auf Über-Vor-Pandemie-Zeiten in die Höhe. 

Eine ehrliche Kampagne würde so lauten: “Wir gaukeln Euch unberührte Natur vor, Ihr lasst den Zaster hier. Danke”. So unberührt ist die Natur nämlich gar nicht mehr, das zeigen die zahlreichen Straßen, Parkplätze und Lifte, die genau zwei Ziele verfolgen: A) Den Zugang für möglichst viele Menschen ermöglichen, damit sie B) möglichst kräftig Südtiroler Speck aus niederländischen Schweinen und biodynamischen Blödsinnwein konsumieren, während hinterm Haus in der frischen Naturluft das Dieselaggregat schwarze Schwaden in die Luft pumpt und sich die nächste Karawane Autos bereits zur Talstation hochschiebt.

Atmen Sie mit mir ein: Ah, so gesund (und so authentisch)!