Culture | Salto Afternoon

Stiamo scomparendo

In Italien gibt es Minderheitensprachen die schon bald nicht mehr gesprochen werden. Die Redakteure von "CTLR-Magazine" haben dazu recherchiert und ein Buch gemacht.
due punti
Foto: Foto: Salto.bz

In der vor kurzem eröffneten Buchhandlung due punti in Trient wurde das mit zahlreichen stimmungsvollen Fotos gestaltete Reisebuch Stiamo scomparendo – Viaggio nell`Italia in minoranza präsentiert. Es beinhaltet neben den eindrucksvollen Fotostrecken, lesenswerte Reportagen zu verschwindenden Minderheitensprachen in Italien. Passend zum Präsentationsort im Trentino erfolgte die Begrüßung auf Bersntolerisch, auch wenn diese ebenfalls vom Aussterben bedrohte Minderheitensprache im Buch nicht vertreten ist.

Für die Minderheitensprachen-Sammlung waren Redakteure vom CTLR-Magazine aus Bergamo auf Spurensuche gegangen, in Trient erzählten einige von ihnen zu ihren Eindrücken bei der jeweiligen Minderheit, etwa Viola Bonaldi, die einen aktuellen Befund zur Sprache der Walser in Norditalien lieferte: „Man erzählte mir, dass nur mehr die älteren Leute die Sprache sprechen und dass es das Walserdeutsch als Sprache wohl nicht mehr lange geben wird. Es werden zwar Initiativen zur Erforschung der Sprache gemacht, vor allem aber auf der wissenschaftlichen und linguistischen Ebene.“

Wesentlich besser scheint es dem sogenannten Tabarchino zu ergehen, einer ligurischen Minderheitensprache die auf der kleinen Insel San Pietro, nahe dem sardischen Festland, gesprochen wird. „Die Bewohner der Insel freuen sich darüber, dass sich vor allem junge Sprecher und Sprecherinnen der Insel dieser alten Sprache annehmen“, erzählte Mirco Roncoroni, „es gibt beispielsweise Sprachlabors an den Schulen und so besteht gegenwärtig auch keine Angst, dass die Sprache verschwindet, denn sie wird von den Bewohnern als wesentliches Verständigung- und Identitätsmerkmal der Kultur betrachtet.“

„In den vergangenen 500 Jahren haben wir rund die Hälfte an variantenreichen Sprachen weltweit verloren“ erinnerte Nicola Feninno zu Beginn des Abends und verwies auf die jüngsten Erhebungen der UNESCO wonach die Menschheit in naher Zukunft „wiederum die Hälfte der aktuell gesprochenen Sprachen verlieren wird.“

Im Buch suchte Nicola Feninno nach Okzitanischen Sprachresten, Franco Arminio besuchte die letzten Sprecher des Grico in Süditalien, Valerio Millefoglie einige Orte wo das dem Albanisch nahestehende Arbëreshë gesprochen wird.

Ein gelb gekennzeichneter Sonderteil im Buch beschäftigt sich mit dem Thema Sprache, Verschwinden und Minderheit aus einem Blickwinkel, der für Minderheitenliteratur als eine Art Paroxismus angesehen werden kann. „Wir wollten einen etwas anderen Zugang zum Thema einbringen“, erklärte Alessandro Monaci und erzählte von einem Vorfall im Zuge der Recherche zu seinem Text: „Wir haben eine Person für eine längere Zeit in einen Raum gestellt, in welchem es kein Echo gibt. Die Testperson machte eine - wie sie sagte - unangenehme Erfahrung, die ich unter anderem im gelben Teil des Buches beschreibe.“

Das Buch Stiamo scomparendo macht ein facettenreiches und vielsprachiges Italien sichtbar. Es ist sozusagen ein bibliophiles Statement gegen die Politik der Lega, den populistischen Einheitsbrei einsilbiger Schreier. So meinte der CTLR-Chefredakteur Nicola Feninno in diesem Zusammenhang: „Ich denke, es ist kein Zufall, dass dieses Buch in Bergamo und Umgebung entstanden ist.“ 

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Martin B. Wed, 10/31/2018 - 22:35

Man braucht nur zu schauen wie schnell innerhalb 1-2 Generationen Südtirol-bajuwarische Dialektwörter nicht mehr verstanden werden, wie Pfoat, Pfinsta, usw.
Radio und TV im hochsprachlichen National/Länder-Einerlei sind sicher die ersten Katalysatoren dieser Entwicklung, der Todesstoss kam dann mit dem Internet und der Adoption von Englisch als wichtigster Zweitsprache.

Wed, 10/31/2018 - 22:35 Permalink