Culture | Salto Weekend

Klare Unklarheit

Das Fotoforum zeigt gegenwärtig fotografische Kunst von Viviane Sassen. Vor wenigen Tagen wurde eröffnet, bis zum 3. Dezember bleibt ihre Ausstellung "Stanze" zugänglich.
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Foto: fotoforum

Ausschweifende Gestalten, bizarre Anordnungen, kräftige Farben – markante Gegensätze von Licht und Schatten. Die Fotoarbeiten der Niederländerin Viviane Sassen hängen zwar statisch im weißlichen Raum der Bozner Galerie für Fotografie, kommen mit ihren Farben und Formen allerdings sehr kontrastreich und energiegeladen daher. Sie scheinen dadurch in Bewegung. Die im Entstehungsprozess durch individuelle Spontanität und Kreativität geprägten Bilder offenbaren immer wieder unklare oder collagenartig aufbereitete Motive, die ihrerseits durch eine undefinierbare Ästhetik überzeugen. Ein Markenzeichen? Sassen fiel bereits in jungen Jahren damit auf, dass ihre Fotos – durchaus für bekannte Modekonzerne – einen kompromisslosen und kunstvollen Blick auf die Modewelt werfen. Eine Retrospektive ihrer knapp zwei Jahrzehnte andauernden Modearbeit zeigte sie 2012, in der Ausstellung In and Out of Fashion.


Die studierte Modedesignerin und Fotografin wurde 1972 in Amsterdam geboren. Obwohl eigentlich in den Niederlanden aufgewachsen, lebte sie zwischenzeitlich – im Alter von zwei bis fünf Jahren – in Kenia, da ihr Vater an einem örtlichen Krankenhaus arbeitete. Ihr Umgang mit kräftigen Farben und dem besonderen Licht- und Schattenspiel führt sie mitunter auf ihre Kindheitserlebnisse in Afrika zurück –  sie sind in der Tat in vielen Bildern spürbar. Eilig und aus einem innersten Gefühl heraus, lässt Sassen mit Fotografie Kunstwerke entstehen, die sie gerne als „Wörter oder Sätze bezeichnet“, mit denen sie „verschiedene Geschichten oder Gedichte schreiben kann.“ Die Wände der Galerie bilden für Sassens Überblicksschau in Bozen demnach ein in sich geschlossenes visuelles Gedicht, in welchem sich die Künstlerin Strophe für Strophe erzählt, Worte zu Sequenzen werden lässt, die einem eigenen Rhythmus folgen. Und sie zeigt, dass die „Bedeutung eines Bildes“ sich ändern kann, „wenn man es in einen anderen Kontext stellt.“
 

Ich liebe die Flexibilität der Fotografie...


Sassens vor wenigen Tagen eröffnete Ausstellung Stanze ist zwar nur eine Rückschau in Bruchstücken, aber mit allemal punktuell gut gesetzten Einblicken in ihr reiches Schaffenswerk. Zu sehen sind Arbeiten aus ihren Projekten Flamboya, Parasomnia, Pikin Slee, Umbra und Of Mud and Lotus. „Ich liebe die Flexibilität der Fotografie“ sagt sie und unterstreicht: „Es fasziniert mich, wie man ein Bild aus seinem ursprünglichen Kontext herausnehmen und es in etwas anderes verwandeln kann, um es dann wieder an einen anderen Ort zu bringen.“ Sassens Fotos sind zudem stets drauf bedacht, gewohnte Wahrnehmungen zu stören – egal, ob sie sorgfältig konstruiert, dekonstruiert oder zufällige Szenen darstellt, ob es sich um Fiktionen oder um dokumentarische Szenen aus dem Leben handelt. Der Zauber liegt im Unklaren, im Schattenlicht, das für ihre Arbeit so charakteristisch ist. Dadurch entsteht ein „Spiel der Nebeneinanderstellungen und Assoziationen“, die durchaus an Werke surrealistischer Vorreiter*innen der 1920er Jahre erinnern. 
 


Mit ihren Fotoarbeiten der Serie Umbra wurde Sassen für ihre im Prestel-Verlag erschienen Publikation mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2016 ausgezeichnet. Gemeinsam mit der befreundeten Dichterin Maria Barnas untersuchte sie die vielfältigen Rollen des Schattens. Ein glattes Meisterwerk.
Ob poetisch, extravagant, erotisch oder surreal: die fotografischen Bilderzählungen von Viviane Sassen sind in ihrer unklaren Klarheit: Alles in einem.