Arts | Alte Sorten

Im Sinne des Binkels

Binkel, das ist jenes Getreide mit dem weichen B und dem festen Biss. In der Caldera in Algund widmeten BAU und Künstlerin Grace Gloria Denis dem Urgetreide einen Abend. Mit dabei ist auch der Bäcker Ivo De Pellegrin von „Forno“.
Aural Oral: Tracing Binkel, Grace Gloria Denis, BAU 2024
Foto: Franziska Unterholzner
  • „Er ist stur, wie ich“, kommentiert die Künstlerin Grace Gloria Denis ihren Versuch auch noch mit einem Dessert die Gäste für den Binkel und, vor allem, den Binkel für die Gäste zu erweichen. Was bei den beiden vorherigen Gängen in Mehlform kredenzt worden war, sollte für eine Art Binkel-Milchreis die Körner als Ganzes schmackhaft machen. Drei Stunden Garzeit waren für den harten Winterweizen, im englischen Raum als „club wheat“ bekannt, nicht ausreichend. Aber zurück zum Ursprung.

    Auch in unseren Breiten fand der Binkel, zumindest mehr als heute, bis vor etwa 100 Jahren Anbau und Verwendung, letztere oft in der Mischung mit anderen Mehlsorten. Mit „Aural Oral: Tracing Binkel“ markiert das den Abend kuratierende BAU – Institut für zeitgenössische Kunst und Ökologie – das Ende einer einjährigen Künstlerresidency. Höhepunkt war ein dreigängiger Binkel-Schmaus am vergangenen Donnerstag. Dabei sollten „orale“ Praktiken – das Essen, die Erzählung – ebenso eine Rolle spielen wie das Gehör und später noch weitere Sinne.

  • Aural Oral – Tracing Binkel: Zu Beginn des Binkel-Schmauses, um etwa 18 Uhr, war es noch hell im Glashaus. Links im Bild sind die Mini-Beete von Algunder Grundschülern und Schülerinnen zu sehen, in denen sie selbst Getreide anbauen können. Foto: Franziska Unterholzner

    „Das Ohr betreffend“ ist übrigens die treffendste Beschreibung des Wörtchens „aural“, das im Englischen trotz des Klanges nichts mit einer Aura zu tun hat. Im Abendverlauf flocht Grace Gloria Denis immer wieder Soundstücke ein, die durch Tischgespräche teils überlagert, eher am Wahrnehmungsrand abliefen. Dabei hörte man, neben dem Umschütten von Wasser von einer Klangschale in die andere, auch verschiedene Stationen im Leben eines Binkelkorns, welche die Künstlerin begleitet hatte: Von einem Zählgerät das 1000 Körner abzählt und wiegt (zur Bestimmung der Menge an Saatgut), über die Aussaat, bis hin zur Ernte und weiter in die Backstube. Entspannende Hintergrundmusik mit Textur, für die es immer eine Binkelquelle gibt. 

    Dort hat sich Bäcker Ivo De Pellegrin der Meraner Backstube „Forno“ dem Binkelmehl angenommen und einen ersten Gang geschaffen, der auf die Gäste wartet. Aufgrund des niedrigen Glutengehalts des Brotes wurden Kastenbrote gebacken, die in vielerlei Hinsicht an Pumpernickel erinnern, nur ohne (ganz) Vollkorn zu sein. Der Bäcker hat fürs Brot, zu dem eingelegtes Gemüse, Käse, Apfelchutney und Kürbiscreme gereicht werden, mit Vollkornmehl und mit ohne Schale gemahlenem Mehl experimentieren müssen. Das ist auch Teil des Erkenntnisgewinns, den die Künstlerin bei ihrer Abschlussaktion ausmachen kann: Mit dem Rückgang des Binkel-Anbaus, den nun wieder einige Bauern, von denen viele mit am Tisch sitzen, auf kleinen Feldern praktizieren, ist auch kulinarisches und landwirtschaftliches Wissen um den Binkel verloren gegangen.

  • Grace Gloria Denis und Ivo De Pellegrin: Die beiden Hauptakteure des Abends bei der Zubereitung des zweiten Ganges. Gegessen wurde hier nicht gleichzeitig sondern abwechselnd von kleinen Binkel-Pizzen, die etwa vegan mit Rucola und Olivenöl, oder klassisch als Margherita, oder aber auch mit gegrillten Kartoffeln oder Lauch schmecken sollten. Foto: Franziska Unterholzner

    Mit dem zweiten Teil des Abends soll es an die Haptik und weiter in die Vielsinnigkeit gehen: Nach einem kurzen Spiel, bei dem Gruppen um den Tisch verteilt sich ausmachen, mit welchem Sinn ein Bäcker an welcher Stelle des Wegs vom Korn zum Brot arbeitet. Im Freibereich vor dem Glashaus, wo zwei kleine Pizzaöfen schon angefeuert wurden, geht’s dann um Binkelmehl als Zusatz, zwischen 5 und 10 Prozent der Masse, da es das Weizenmehl für die Elastizität des Teiges brauche. Da die Hauptzutat eines jeden guten Teiges laut Ivo De Pellegrin Zeit ist, gibt es die Herstellung eines Vorteigs nur zu Anschauungszwecken und für ausreichenden Teig wurde vorab gesorgt. Mit einfachen, aber hochwertigen Grundzutaten konnte dann jede und jeder selbst eine – oder mehrere – der kleinen Binkel-Pizzen belegen. Die Zugabe von Binkel gibt dem Teig eine angenehme, sehr leichte nussige Note und eine etwas gröbere Haptik durch das Mehl am Pizzarand. Es heißt, der Binkel mache die Pizza bekömmlicher.

    Zurück im Inneren des Glashauses wird den Gästen noch ein Binkel-Milch-„Reis“ mit Zimt kredenzt, bei dem das Getreide den Reis ersetzen sollte. Zu den Tischgesprächen gesellt sich ein hartnäckiges Kauen rund um den Tisch. Wenngleich sich der Binkel zäh gibt, so hat er geschmacklich in der Süßspeise doch einen tollen, an Haferflocken erinnernden Geschmack. Zäh ist hingegen nicht der Austausch unter den verschiedenen, anwesenden Gästen. Besonders Bauern und Bäcker erfreuen sich ob ihres Wissens großer Beliebtheit und ein Austausch entsteht. Bei der Künstlerin aus Kalifornien, bremst etwas die Sprachbarriere, da Italienisch oder Deutsch in ihrem Sprachschatz nicht vorkommen. In ihre Gedanken- und Arbeitswege gibt eine Nische mit Büchern Auskunft, bei denen hauptsächlich das Brot gemeinsamer Nenner ist. In seiner Einfachheit ist es universell genug, um Kulturkreise zu verbinden und dennoch komplex genug, um etwa auch Erinnerungsträger oder kulturelles Gastgeschenk zu sein, wie im Falle einer palestinensischen Bäckerei in Toronto, Kanada, wo die Backtraditionen der zurückgelassenen Heimat lebendig gehalten werden.

    Dass es der englischsprachigen Künstlerin gelungen ist, uns den Binkel schmackhaft zu machen, hat auch damit zu tun, dass viele Hände mitgewirkt haben. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den Binkel als ursprüngliche, bekömmliche und nicht zu letzt schmackhafte Getreideart schätzen und ihn weiter anbauen möchten.