Arts | Schamanismus

Hallo, Mr. Tamburinmann

Eine Ausstellung, die an Konjunktiven, aber auch an Exponaten nicht geizt, will derzeit im Trientner Muse in die komplexe Welt(en) des Schamanismus einführen. Ein Besuch.
Sciamanismo, Muse Trento
Foto: SALTO
  • Ausgehend von einem reichen Fundus an schamanischen Kostümen und rituellen Gegenständen (insbesondere zahlreiche Tamburine), die aus einer Sammlung mit Schwerpunkten in Mittelasien, speziell in Sibirien und der Mongolei stammen, zeichnet die Ausstellung „Sciamani - Comunicare con l’invisibile“ ein umfangreiches, wenngleich in seinen Konturen weich gezeichnetes Bild. Stifter des Löwenanteils der Exponate sind Sergio Poggianella und die unter seinem Namen geführte Stiftung, deren ausgewiesene Mission es ist, schamanische Gegenstände nicht nur als rituelle und religiöse Gegenstände begreifbar zu machen, sondern auch als Kunstobjekte. Kuratiert haben die Schau Gabriele Lorenzoni und Massimiliano Nicola Mollona

  • Horse Sticks: Tiere und die Rhythmen der Natur sind ein wichtiger Aspekt schamanischer Rituale. Damit ist es nicht weiter verwunderlich, dass die sogenannten Pferdestöcke zu den weiterverbreitetsten Werkzeugen des Schamanen zählen. Foto: SALTO

    Hierzu sollen die Stücke aus den letzten 150 Jahren auch in den Dialog mit zeitgenössischer Kunst gesetzt werden, was im altehrwürdigen Palazzo delle Albere auf der zweiten Ausstellungsebene geschieht. Zuerst wird man über einen Zeitstrahl, beginnend Mitte des 13. Jahrhunderts, global an das Thema herangeführt, bevor Aussagen zu einzelnen Teilbereichen getroffen werden: Die Rolle der Schamaninnen, die Funktion des Schamanen in der (Stammes-)Gemeinschaft, Trance, Musik, Schattenseiten und die Vorstellungen von Ober- und Unter-Welten jenseits unserer physischen Realität. 

  • Für den Schamanismus, einen Überbegriff für unabhängig voneinander auf mehreren Kontinenten aufgetretenen Traditionen, gibt es keinen auf eine Jahreszahl festzumachenden Ausgangspunkt, genau wie die Etymologie, gleich einer schamanischen Weissagung, deutungsoffen bleibt. In vielen der möglichen Herleitungen wird aber wohl zum Teil „Wissen“ stecken. Als Hüter eines Wissens, das für andere verborgen bleibt, oder - aus schamanischer Sicht - als Brücke zu den Geistern der Natur und der Verstorbenen, dreht sich auch der Schamanismus eines bestimmten Ortes um diesen Zwischenmann - oder diese Zwischenfrau - mit dem Tamburin und ist damit individuell geprägt. Ein Beispiel: Scheitert ein Schamane oder eine Schamanin, den Körper oder die Seele einer erkrankten Person zu „heilen“, so kann dies entweder ein Scheitern oder böse Absicht gewesen sein. Im Umgang mit unsichtbaren Kräften ist eben vieles auch Interpretationssache.

    Poggianella, der Sammler, der dies mit einer reichen Auswahl an Exponaten verdeutlichen kann, hat in der Ausstellung einen Videoraum für sich, der ausführlicher in den Werdegang dieses keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden Ausstellungs-Zykluses, gewährt. Während einige Objekte, hauptsächlich besagte Tamburine, nach dem Tod zerstört werden sollten, kauft der Sammler und Anthropologe Objekte auf, um sie zu konservieren. In einem zweiten Schritt werden die Objekte auch an Ausstellungen verliehen und waren etwa schon nebst Werken von Wassily Kandinsky ausgestellt, der auf die Themen Schamanismus und Animismus (die Zuschreibung einer Seele an unbelebte Dinge) gern Bezug nahm. 

  • Schattenseiten: Als (Für-)Sprecher der Toten wird der Schamane mit finsteren Mächten in Verbindung gebracht, entweder als deren Widersacher oder Verbündeter. Foto: SALTO

     

    Für Sergio Poggianella ist diese Gegenüberstellung schamanischer Kultgegenstände, die für ihn gleichzeitig Kunstobjekte sind, die für ein paar tausend Euro versichert wurden, mit Kunstwerken des westlichen Kanons, deren Wert im Millionenbereich geschätzt wird, ein spannender und nützlicher.

     

  • Schamanismus ist nicht nur ein anthropologisch-historisches Phänomen, sondern auch ein kunsthistorisches. Form und Funktion der Instrumente, Gegenstände und Kostüme stehen dabei, wie bei den sogenannten „horse sticks“ in engem Austausch. Solche Stäbe mit Pferdekopf und Schellen an der Spitze wurden, den Rhythmus von Pferdegalopp imitierend bewegt, zu einigen schamanischen Ritualen gibt es auch Videos, die den Gebrauch eines Objekts anschaulich machen. Mit Ausprägungen, Entdeckung, Verbot und Wiederentdeckung einer Tradition, die auch schon identitätsstiftend und für nationalistische Zwecke als nützlich erkannt wurde, gibt es viele Geschichtsfenster die, kurz - und eher auf Kipp - aufgemacht werden. Auch in der Region und in Oberitalien gibt es Zeugnisse möglicher schamanischer Handlungen, die deutlich früher stattfanden, als jene fortdauernden Traditionen, die wir aus Zentralasien nähergebracht bekommen.

    Ob das nun „Schamanismus“ zu nennen ist und ob der Überbegriff auch hier greift, ist, wie so vieles an diesem Ausstellungsbesuch, Interpretationssache.

  • Difesa della Natura: Beuys ist Beuys und erhält daher für die Dokumentation und kontextuelle Einordnung seiner Aktionskunst einen Raum für sich. Wünschenswert wäre, dass auch die Werke weniger bekannter Künstler:innen zumindest ansatzweise erklärt werden. Foto: SALTO
  • Die Entdeckung des Unsichtbaren

    Im oberen Stock der Ausstellung - flächenmäßig gleich groß wie der untere, aber weniger dicht mit Exponaten besetzt - finden wir Werke von Künstler:innen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart versammelt, die in Verbindung zu schamanischen Werten, Traditionen oder Gedanken gesehen werden. Damit eröffnet sich abermals großer Interpretationsspielraum, auch weil man das Gefühl hat, erklärende und Bezüge explizit machende Texte hätten den Sprung ins obere Stockwerk nur selten geschafft. Dabei finden sich dann jene Werke, deren Bezugnahme auf den Schamanismus augenscheinlich ist, neben solchen, bei denen es um die Ecke zu denken gilt.

    Auch der Künstler spricht, mit seinen Mitteln, von Unsichtbarem oder zumindest häufig Übersehenem und vermag es, den Blick der Ausstellungsbesucher:innen zu lenken. So passt der plakative Beuys, der eingangs die „Difesa della Natura“fordert, ganz gut. Es ist auch eines der wenigen Kunstwerke auf der zweiten Ebene, das eine Erklärung erhält.

  • „Schamanische“ Kunst: Beim Werk von Claudia Costa fällt es nicht schwer, die Bezüge zum Schamanismus zu erkennen. Bei anderen Werken aus der multimedialen Schau hätte es Erklärungsbedarf gegeben. Foto: SALTO

     

     

    Bei Martina Abramovićs „Balkan Baroque“, stellvertretend durch ein Standbild der über viertägigen Performance, die ’97 in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, anwesend, müsste man sich dagegen einen thematischen Bezug selbst erstellen. Trauer um die Toten des Jugoslawienkrieges rückt ein Stück weit in den Hintergrund, das Bild der Künstlerin, die auf einem Berg mit blutigen Rinderknochen sitzt, die sie wascht, wird ohne zur Seite gestellte Information seinem ursprünglichen Kontext enthoben und mystifiziert.

     

     

  • Aber nicht nur Beuys und Abramović sind in der multimedialen Schau „schamanischer“ Künstler vertreten, wenngleich sie wohl die bekanntesten sind. Die multimediale Auswahl an Werken spielt dabei sicherlich auch mit der Undurchdringlichkeit bestimmter Rituale für Außenstehende, oft ist der Bezug aber auch einfach unklar. Wenn nun Suzanne Lacy in ihrer Performance nackt Hühnchen isst, dann kann man sich gern fragen, was das mit Schamanismus zu tun hat, die Ausstellung selbst biedert sich nicht an, es einem zu erklären. Am Ende will die Ausstellung das Phänomen weniger verständlich machen und damit die vielleicht erwartete, klassische Funktion einer Ausstellung erfüllen, sondern sie vor allem erfahrbar machen.

    So findet sich im obersten Stock neben Kunst aus dem 20. und 21. Jahrhundert auch ein „Dream Room“. Nahe am gebogenen Display und zwischen räumlich angeordneten Lautsprechern, beginnt dort in regelmäßigen Abständen eine „nur vage von der schamanischen Trance“ inspirierte Erfahrung. Wir gehen durch einen Wald spazieren, der plötzlich mit 100en unbeständigen Tierköpfen zum Leben erwacht. Die natürliche Tendenz unseres Gehirns in unbelebten Dingen Muster und am liebsten Gesichter zu erkennen - man spricht von Pareidolie - wird bis ins Extreme ausgereizt und die „außerkörperliche“ Erfahrung lässt einen mit einer gewissen schwerelosen Leichtigkeit zurück. Am Ende überwiegt das Gefühl, eine spannende, einen möglichen Ausgangspunkt bietende, Außenansicht auf ein komplexes und in seiner Gänze nicht zu erfassendes globales Phänomen erhalten zu haben und auf einer Reise - oder einem Trip - gewesen zu sein. 

  • Über Exponate aus der Sammlung Sergio Poggianellas hinaus werden (moderne) Kunstwerke von David Aaron Angeli, Buby Durini (mit Beuys) Alighieri Boetti, Chiara Camoni, Ramon Coelho, Claudia Costa, Jimmie Durham, Bracha Ettinger, Angelo Filomeno, Hamish Fulton, Allan Graham, Louis Henderson, Karrabing Filmcollective, Suzane Lacy, Mali Weil, Attilio Maranzano, Si On, Anna Perach, Ben Russell, María Sojob, Daniel Spoerri, Alexandra Sukhareva, sowie Alisa Telengut und Franco Vaccari gezeigt. Die Ausstellung „Sciamani - Comunicare con l'invisibile“ kann bis zum 30. Juni besucht werden.