Natale annullato, Gaza
Foto: TgR Bolzano
Society | Kommentar

Unglaubwürdige Betbrüder

Die Reaktionen auf den Pro-Palästina-Protest im Bozner Dom sind ein Armutszeugnis für Südtirols Kirche. Man predigt Frieden und winkt mit den Handschellen.
  • Es ist nicht verwunderlich, dass Südtirols rechte Regierungsparteien strammstehen. Der neue Vizelandeshauptmann in spe Marco Galateo fantasiert von „Hamas“ und der „Unterstützung der Terroristen“, der Südtiroler Forza-Italia-Chef Matteo Gazzini von einem „schwerwiegenden Vorfall“ und der Putinverehrer Alessandro Bertoldi von einer „gewalttätigen Unterbrechung“ und „Antisemitismus“.
    Die Sponti-Aktion am Weihnachtstag im Bozner Dom ist der willkommene Anlass für die Brüder Italiens, einen „terroristischen Angriff" auf das "christliche Abendland" zu konstruieren.
    Dabei ist im Bozner Dom in Wirklichkeit weit weniger passiert, als man seit 40 Jahren bei den sogenannten „Jugendmessen“ sehen und hören kann. 
    Als Bischof Ivo Muser mit seiner Weihnachtspredigt beginnen will, gehen zwei Männer und zwei Frauen nach vorne und enthüllen ein Transparent, auf dem  “A Gaza c’è un genocidio. Il Natale è annullato. Für ein freies Palästina” steht. Sie verteilen noch ein paar Flugblätter und dann verschwindet das Quartett wieder. Die gesamte Aktion dauert keine drei Minuten.
    Doch jetzt scheint das Abendland in Gefahr. Die neue Südtiroler Rechtskoalition fordert ernsthaft einen besseren Polizeischutz für Südtirols Gotteshäuser. Man fordert den Eingriff der Staatsanwaltschaft und bemüht das Strafgesetzbuch. 
    Doch das Beunruhigende ist die Tatsache, dass auch die Südtiroler Amtskirche in diesen Chor miteinstimmt. Während Bischof Ivo Muser relativ gelassen bliebt, spricht Domdekan Bernhard Holzer von einer „Respektlosigkeit“ und von „einem Strafbestand, zu dem die Polizei ermittelt“. Und dann sagt der Verwahrer des Bozner Domes auch noch einen Satz, der einen mehr als nachdenklich stimmen muss. „Der Bischof hat überaus besonnen reagiert und auch unter den Gläubigen blieb die Lage ruhig. Nicht auszudenken, was passieren hätte können, wäre es zu einer Reaktion gekommen“.
    Ist das die Kirche von heute? Da enthüllt jemand ein Spruchband, das auf eine unleugbare Tatsache hinweist. An einem Fest des Friedens erinnert man daran, dass täglich hunderte unschuldige Menschen in einem Krieg gegen ein Volk (und nicht nur gegen die Hamas) sterben. Und ein Mann der Kirche hat ernsthaft Angst, dass seine Kirchengemeinde gewaltsam gegen die Überbringer dieser Botschaft vorgehen könnten.

     

    Ist das die Kirche von heute? Anstatt diese Provokation als Anstoß einer interkulturellen Diskussion aufzufassen, winkt die Kirche mit den Handschellen.

     

  • Protestaktion am Weihnachtstag: Anstatt die offene Diskussionskultur zu fördern, ruft man nach Repression und nach Bestrafung. Foto: Upi
  • Anstatt diese Provokation als Anstoß zu einer interkulturellen Diskussion aufzufassen, anstatt den Aktivisten eine Einladung auszusprechen, ihre Beweggründe zu erläutern, anstatt die sonst so gern verkaufte Botschaft des verlorenen Sohnes zu bemühen, den man immer und überall willkommen heißen will, winkt die Kirche mit den Handschellen.
    Ich freue mich bereits jetzt auf den Prozess, bei dem der Domdekan nachweisen wird müssen, dass die vier Protestanten eine „religiöse Feier unterbrochen oder gestört“ haben. Mich hat schon als Kind immer beeindruckt, dass Polizei in Uniform eine Kirche nicht betreten darf, und jetzt ist es ausgerechnet die Kirche, die nach dem Arm des Gesetzes schreit.
    Es ist ein Armutszeugnis für die Südtiroler Betbrüder und -schwestern. Anstatt die offene Diskussionskultur zu fördern, ruft man nach Repression und nach Bestrafung alle jener, die der Verabreichung des eigenen Weihnachtsbratens im Wege stehen.