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Verwebte Welten

Social Fabric bietet Menschen mit Fluchterfahrung einen Raum, um sich mit anderen zu vernetzen und langfristige Berufschancen in der Textilproduktion aufzubauen.
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Foto: social fabric

Das 130 Quadratmetergroße Nähatelier im Herzen von Zürich steht offen: Schweizerinnen und Schweizern, Zugezogenen, aber auch - und vor allem - Menschen mit Fluchterfahrung. Sie haben dank dem Non-Profit-Unternehmen Social Fabric dort die Möglichkeit, über gemeinsames Nähen mit einer Gemeinschaft vor Ort in Kontakt zu treten und die lokale Sprache zu erlernen. Gleichzeitig bieten Kurse, Lehrausbildungen und Arbeitsintegration einigen von ihnen eine langfristigere Perspektive.

 

Seit 2016 bietet das Nähatelier Menschen mit Fluchterfahrung einen sicheren Raum. Raum, um zu nähen, Menschen kennenzulernen und im Rahmen von Kursen Handwerk und Sprache zu erlernen. Dabei liegt Social Fabric vor allem der soziale Aspekt am Herzen: “Menschen mit Fluchterfahrung müssen oft etwas entsprechen oder erfüllen, eine große Motivation an den Tag legen oder schon Deutsch sprechen. Das können nicht alle immer gleich bringen”, erklärt Justine Portenier, die das sechsköpfige Unternehmen seit 2019 leitet. “Wir möchten ihnen hier die Möglichkeit bieten, ohne irgendwelche Erwartungen oder Verpflichtungen mit Menschen vor Ort in Kontakt zu treten, nähen zu lernen oder aber - sollten sie bereits nähen können - andere darin zu unterrichten”. Menschen mit Fluchterfahrung stehen die Kurse dabei kostenlos zur Verfügung, alle anderen können sich anmelden und über die Webseite Workshops und Kurse buchen.

 

Lernen, lehren und was dazwischen liegt

 

Wer noch kein Deutsch spricht, kann seine Sprachkenntnisse dabei beinahe nebenher verbessern: Der Umgang im Nähatelier findet auf Deutsch statt, immer wieder wird etwas zum Satzverständnis erklärt oder der nötige Wortschatz aufgebaut. Es sind aber nicht nur die Geflüchteten, die von den anderen Anwesenden lernen. Wie Portenier erklärt, sprechen viele der Freiwilligen selbst kein perfektes Deutsch: “Sie kommen vielleicht aus anderen europäischen Ländern oder sind erst vor Kurzem nach Zürich gezogen.” Dadurch pendelt sich ein gewisses Gleichgewicht ein: “man lernt zusammen und macht auch zusammen Fehler”.

 

Social Fabric setzt auch in anderen Aspekten auf das Aufbrechen klassischer Hierarchien, die Geflüchtete in die Empfängerrolle drängen: “Wir versuchen Menschen mit Fluchterfahrung darin zu bestärken, sich als Freiwillige zu engagieren und selbst einen Nähkurs abzuhalten”, so Portenier. So können die Geflüchteten neue Rollen ausprobieren und werden nicht automatisch in jene Empfängerrolle gedrängt, die sie im Deutschkurs oder anderen Integrationskursen annehmen müssen. “Das ist sehr empowerig. Und viele schätzen es auch, etwas an die Gemeinschaft zurückgeben zu können - vor allem dann, wenn ihre Arbeitserlaubnis noch ausständig ist”.

 

Langfristige Perspektiven

 

Auf diese Weise konnte Social Fabric bereits über 200 Geflüchtete begleiten. Einige von ihnen kommen spontan vorbei, andere werden über ihre SozialarbeiterIn oder die Arbeitsintegration weitergeleitet. Einzelnen wird dabei die Möglichkeit geboten, über die Arbeitsintegration selbst in der Textilproduktion des Unternehmens tätig zu werden oder aber eine Lehre zur Näherin zu absolvieren: “Wir versuchen jene Menschen in unserem Unternehmen aufzunehmen, die auch eine Chance haben, später in diesem Bereich in den Arbeitsmarkt einzusteigen”, erklärt Portenier. Deshalb sind im Fall einer Lehrstelle oder der Arbeitsintegration auch bestimmte Anforderungen zu erfüllen; ein gewisses Deutschniveau, Motivation oder Erfahrung zum Beispiel: “Wir stellen uns also die Frage, ob es für die Person langfristig sinnvoll ist, diese Stelle anzutreten und ob es deren Stabilität fördern kann”. 

 

Unterstützung im wirklichen Leben

 

Der Arbeitsplatz selbst bietet für die Geflüchteten einen Raum, wo es neben den Anforderungen der Produktion und Lehre auch Platz und Verständnis für die Probleme gibt, die viele Geflüchtete in ihrem Rucksack mitbringen. “Es gibt jemanden, der mit Briefen und Übersetzungen hilft, man ist füreinander da, unterstützt sich gegenseitig und baut eine Vertrauensbasis auf”, so Portenier.

Trotzdem ist das Atelier kein geschützter Raum, der von der Außenwelt abgeschnitten ist: “Wir sind ein Unternehmen und tragen uns finanziell zur Hälfte selbst. Es ist für uns also auch wichtig, auf dem Markt zu bestehen”, erklärt Portenier. Dafür setzt Social Fabric auf eine lokale Textilproduktion, die sich auf Stoffreste und “upcyclete” Materialien stützt. “Ein Selling-Point unserer Produkte ist sicher, dass die Menschen unsere positive Wirkung unterstützen möchten. Es ist aber auch wichtig, dass die Menschen wirklich etwas mit den Produkten anfangen können”, so Portenier.

 

Zusätzliche Unterstützung bekommt Social Fabric von der Stadt Zürich, privaten Stiftungen und anderen Einrichtungen, die das Projekt unterstützen möchten. So sind sie einerseits in die Privatwirtschaft integriert, können sich andererseits aber auch auf den sozialen Impacts des Unternehmens konzentrieren, ohne dass dieser durch Sorgen über die Wirtschaftlichkeit verdrängt wird. “Wir wollen zeigen, dass soziale Entrepreneurship ein wertvolles Zukunftsmodell darstellt”, so Portenier, das nicht nur von Stiftungsgeldern lebt. Es wäre schön wenn auch an anderen Orten ähnliche Initiativen aufgebaut würden - besonders in Südtirol, wo es eine Sensibilität dafür gibt, was es heißt, eine Sprache nicht zu sprechen”.