Und noch eine Minderheit
Europa hat viele Minderheiten, und vor allem welche, die gerne von sich reden lassen. Immer wieder müssen Nationalstaaten um den Verlust einer Region fürchten. Derzeit ist die Gefahr für das Vereinte Königreich am größten, aber auch andere Staaten sehen mit Besorgnis nach Schottland. Ein Ja zur Unabhängigkeit könnte einen Flächenbrand auslösen, der sich von Schottland über Nordirland bis auf Katalonien, den Veneto und auch Südtirol ausbreitet. Daneben gibt es aber auch Minderheiten, die etwas stiller sind. Zum Beispiel die 77.000 Deutschsprachigen, die seit 1945 auf belgischem Boden leben.
Die offizielle Bezeichnung dieser Minderheit ist Deutschsprachige Gemeinschaft. Gegen die Regierung in Brüssel hat sie nichts. Eine weit ausgebaute Autonomie, die ihr eine eigene kleine Regierung samt Parlament in der Hauptstadt der Deutschsprachigen Eupen zugesteht, verhindert jegliches Ressentiment gegen Belgien. Die Partei der Deutschsprachigen Belgier, die seit den 70er-Jahren einen deutschen Patriotismus an den Tag legte - ohne sich jedoch je von Belgien abspalten zu wollen - fuhr nach 2000 immer härtere Niederlagen ein, bis sie sich schließlich auflöste.
Die Deutschsprachige Gemeinschaft hat es allgemein nicht so mit der Rückbesinnung auf ihre deutschen Wurzeln. Die deutsche Sprache wird zwar noch gepflegt, aber identifizieren kann man sich eher mit den Belgiern oder Franzosen. Das merkt man bei Fußballspielen am Deutlichsten. Da hält man nicht zur Deutschen Mannschaft, sondern viel lieber zu ihren Gegnern, wie der Tagesspiegel berichtet:
Alain Brock fiele es – obwohl er Teil der deutschsprachigen Minderheit ist – nicht im Traum ein, mit der deutschen Mannschaft mitzufiebern. Im Gegenteil. (...) in der kleinen Stadt mit ihren 19 000 Einwohnern drücken sie beim Sport gern den Gegnern der Deutschen die Daumen. „Zum einen ist da die deutsche Arroganz, nicht nur im Fußball“, sagt Brock. „Diese Überheblichkeit gegenüber anderen Ländern. Das bekommen wir mit, weil wir deutsches Fernsehen schauen.“