Culture | Fotokunst

Der Tunnelblick

Der Fotokünstler Gregor Sailer hat sich in den BBT gewagt. Im Interview spricht er über Geräusche im Berg und ein Damoklesschwert, das über dem Tunnel schwebt. Seine Fotos sind noch bis November in der Franzensfeste ausgestellt.
Franzensfeste fortezza
Foto: Seehauserfoto
  • SALTO: Herr Sailer, Sie wagen mit Ihrer Kamera einen Tunnelblick – was haben Sie dabei gesehen und gelernt?

    Gregor Sailer: Für mich ist der Blick in einen Tunnel oder Bergwerk nicht total neu. Ich hab mich immer wieder im unterirdischen Raum bewegt. Was beim BBT wahnsinnig spannend ist, ist die Dimension. Man sieht, was der Mensch zu schaffen in der Lage ist, eineinhalb Kilometer unter Tage. Man hat dort sehr besondere Emotionen. Einerseits herrscht dort eine Stille, die es einem erlaubt, die Geräusche des Berges wahrzunehmen. Der Berg selber arbeitet immer. 

     

    „Die Sprengungen verursachen ein Grundvibrieren.“

     

    Ist das unheimlich?

    Es mutet surreal an. Andererseits hat man extreme Lautstärke, wenn die Maschinen in Betrieb sind oder Sprengungen durchgeführt werden. Dann gehen Druckluftwellen durch den Tunnel, was selbst dann unangenehm ist, wenn man in einem Auto sitzt. Die Maschinen und die Sprengungen verursachen auch ein Grundvibrieren. Das ist für meine Art der Fotografie eine Herausforderung. Ich fotografiere analog auf Film mit Langzeitbelichtung und da muss man schon aufpassen, dass das Foto dann auch scharf wird. 

  • Zur Person

    Gregor Sailer stammt aus Schwaz in Tirol und ist Fotograf und Designer. Der 45-jährige interessiert sich für das Unterirdische, hat selbst unter Tage gearbeitet und im Ruhrgebiet studiert. Seine Foto-Ausstellung „Brücken durch die Zeit: Architektur des Unsichtbaren“ läuft noch bis November in der Franzensfeste. In der Ausstellung wagt Sailer einen „Tunnelblick“ in den Brenner Basis Tunnel.

  • Ist Ihnen dort bewusst geworden wie invasiv der Mensch ist?

    Man fühlt sich in einem Tunnel dieses Ausmaßes sehr sehr klein. Wenn man weiß, man hat eineinhalb Kilometer Berg über sich. Das bringt einen wieder auf den Boden. Das ist eine Erfahrung die ich aus allen meinen Projekten mitnehme, egal ob am Nordpol, in der Wüste oder unter Tage. Der Mensch bekommt gezeigt, wie klein er wirklich ist.

    Der BBT ist doch aber ein riesiges Projekt – vom Menschen gemacht?

    Und das versuche ich gegenüberzustellen. Einerseits diese enorme Leistung, die der Mensch da vollbringt und andererseits ist er doch so klein. In diesem Spannungsfeld zu arbeiten – das treibt mich an.

  • Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit und Ihre Ausstellung?

    Denkprozesse anzustoßen. Mit meinen Fotografien möchte ich eine Plattform schaffen, die einen Diskurs nach sich zieht. Ich möchte die Leute dazu bringen darüber nachzudenken, was passiert denn eigentlich? Ich weiß zwar grob irgendwas, aber was passiert denn tatsächlich? Wie schaut es denn da aus? Wenn dieser Denkprozess startet, dann habe ich schon gewonnen.

     

    „Über dem BBT schwebt das gleiche Damoklesschwert wie über der Franzensfeste.“

     

    Die Franzensfeste hat ja ihren Zweck als Bollwerk nie erfüllen müssen, beim Brenner Basis Tunnel hoffen wir, dass er seinen Zweck dann irgendwann erfüllt. Der BBT möchte ja Länder und Regionen miteinander verbinden. Spielt das in Ihrer Arbeit eine Rolle?

    Absolut. Länder verbinden, Grenzen auflösen. Das ist grundsätzlich etwas Positives. Dennoch: über dem BBT schwebt das gleiche Damoklesschwert wie über der Franzensfeste. Wir kennen ja die Problematik. Wenn die Zulaufstrecken auf der deutschen Seite nicht gebaut werden, dann stellt sich natürlich die Sinnfrage…

    …ob der BBT schon veraltet ist, bevor er in Betrieb geht?

    …oder er kann gar nicht voll anlaufen, wenn eben diese Zulaufstrecken fehlen. Für Deutschland scheinen momentan Investitionen in Infrastruktur Richtung Osten sinnvoller. Die Grundidee des BBT war sicher sinnvoll, denn auf der Straße sind wir bereits überm Limit. Noch eine Spur und noch eine Spur wäre ja auch keine Lösung.

    Was sollen die Besucher dann als Denkanstoß mitnehmen?

    Es gibt immer zwei Ebenen. Sie können die Bilder formal-ästhetisch lesen. Man kann rein über die visuelle Darstellung in eine Atmosphäre unter Tage eintauchen. Und dann gibt es die Ebene des Narrativs, das uns dazu bringt über die Sinnfrage nachzudenken. Diese riesigen Dimensionen, die hohen Kosten, eventuelle Nachwirkungen und die Konsequenzen dieses Tuns. Ist es den Preis wert und hat es einen Nutzen, der diesem Preis entspricht. Ich bin ein politischer Mensch, ich stelle diese Fragen aber als Künstler und darum von einem neutralen Standpunkt aus.

     

    „Wenn der BBT fertig ist, ist er die längste unterirdische Bahnverbindung der Welt.“

     

    Was fasziniert Sie am BBT?

    Es ist ein Projekt zufälligerweise direkt vor unserer Haustür und wenn der BBT fertig ist, ist er die längste unterirdische Bahnverbindung der Welt. Meine Fotos ermöglichen es den Menschen, darüber nachzudenken und zwar unabhängig davon, was Medien schreiben oder verschiedene politische Lager, Kritiker und Befürworter behaupten oder nicht behaupten oder widerlegen. Der BBT wird so erzählt, das es nicht in eine Richtung lenkt, und jeder seine eigene Meinung finden kann.