Society | Texte aus der Schreibwerkstatt

Verrückte Zellen

Schreiben, um zu gesunden. Im Februar 2006 startete die erste Schreibwerkstatt für KrebspatientInnen und Angehörige in Bruneck. Schreibtherapeutisch und psychologisch begleitet. Das Buch "Verrückte Zellen" erschien vor zwei Jahren. Texte von Frauen, die ihrer Krankheit Briefe schrieben, ihrer Wut Ausdruck verliehen. Frauen, die mutig waren und es immer noch sind. Denn das Schreiben begleitet sie seit dem und macht ihr Leben reicher. Nun dürfen wir ihre Texte peu a peu veröffentlichen.

Nachher

Ein Tumor – elegant und fein im Wortausdruck, Mamakarzinom – das medizinische Fachwort, Brustkrebs – das alltägliche, aggressive, übermächtige Wort unserer Umgangssprache, für eine heimtückische, oft auch tödlich endende Krankheit.
Diese Diagnose hat mein Leben grundlegend verändert.

Die erste Wucht dieser Feststellung hat aus mir eine leidende, hilflose, duldende, und machtlose Frau gemacht. Eine eigenartige Finsternis breitete sich in mir aus, die mich zu verschlucken drohte. Doch nach relativ kurzer Zeit konnte ich dieses kummervolle Jammertal durchschreiten und mit einer inneren Kraft den Kampf zur Gesundung aufnehmen.

„Ich kämpfe! – Ich nehme den Kampf auf!“, das war mein Vorsatz. Doch eigenartige Fragen beschäftigten mich und bald wurde mir einiges klar: „Gegen was kämpfe ich eigentlich? Gegen mich selber? Bin ich mein eigener Feind? Und welcher Feind ist das, der sein Gesicht nicht zeigt, sich schamvoll verborgen hält, und dennoch so aggressiv und zerstörend in mir wächst?“

"Warum?"
„Eine einzelne Zelle hat sich entschieden bösartig zu werden, und will sich meines Körpers bemächtigen, ihn von innen her überwuchern!“
"Warum?"
„Und die Medizin (sprich Chemotherapie) soll nun meine einzige, gute Freundin werden? Eine sehr aggressive noch dazu, die meine Schleimhäute zerfrisst, meinen Magen rebellisch reagieren lässt, meine Haare zerrupft bis hin zur Glatze. Und trotzdem soll ich sie für längere Zeit als meine gute Freundin anerkennen?“

Fragen, tausend Fragen ohne Antwort.

Christines Worte kommen mir in den Sinn: „So frag doch einfach wozu?“
„Ja, dann also, – wozu?“
„Damit du etwas veränderst!“ spricht eine leise, kaum hörbare innere Stimme, „vielleicht an deinem Lebensstil, an deiner Lebensauffassung, an deinem Funktionieren-müssen, an deinem Perfekt-sein-wollen, damit  – du Mensch – erkennst, dass Krankheit auch eine positive Kehrseite hat, und du in ihr einen Sinn findest, trotz Leid und Schmerzen, Furcht und Sorge!“

Aha! Das könnte die passende Antwort sein.
Ein verändertes Denken über Leben und Tod, über Gesundheit und Heilung, über Annahme und Versöhnung mit der Krankheit – das sind gewiss gute Grundlagen um meine Lebenseinstellung neu auszurichten.
Ein neues Verständnis für mich selbst ist erforderlich und fruchtbringend, denn Angst, Furcht, Selbstmitleid und Gejammer hindern und behindern den gesamten Gesundungsprozess an Körper, Geist und Seele.

Heute, nach einigem Abstand, kann ich fast geläutert auf diesen dunklen Lebensabschnitt hinschauen und innerlich „ja“ sagen. „Danke, dass du ein Weilchen da warst, Vieles habe ich verändert bzw. es hat mich verändert“.
Das Erkennen von verkrusteten Denkstrukturen, Werteverschiebungen, Einsichten, Klärungen, neue Erfahrungen wurden mir zuteil.

Lebensfreude, innerer Frieden und Stärke, Gelassenheit und Heiterkeit begleiten mich, eine neue Kreativität und eine wertvolle Lebensbejahung führen mich.
Tief in meinem Herzen wohnt Selbstachtung; so kann ich mich selber liebevoll umarmen und leise zu mir sagen:
„Alles, ja, alles in meinem Leben ist gut so wie es war und ist!“

(L)

Anmerkung der AutorInnen: *Damit die Texte einfacher zu lesen sind, haben wir uns entschieden, entweder die männliche oder die weibliche Form zu verwenden: Wenn die männliche Form verwendet wird, ist immer auch die weibliche gemeint – ebenso können bei weiblichen Bezeichnungen auch Männer gemeint sein.