Selbermachen um autonom zu sein
Frau Baier, Sie werden im Rahmen der Toblacher Gespräche über die Kultur des Selbermachens und Nachhaltigkeit sprechen?
Ja, wobei ich mich auf die Kultur des Do it yourself in den neuen, urbanen Gemeinschaftsgärten und offenen Werkstätten beziehe. In den letzten Jahren beobachten wir hier eine sehr dynamische Entwicklung. Mit der medialen Resonanz auf den Prinzessinnengarten am Moritzplatz in Berlin entstanden in sehr vielen Städten in Deutschland solche mobilen Gemeinschaftsgärten, die sich als Plattformen für Stadtgestaltung, Nachbarschaftsbildung, Ernährungssouveränität verstehen. Im Bereich offene Werkstätten entsteht im selben Zeitraum auch ein neues Format, nämlich Werkstätten, in denen mit 3D-Drucker und Lasercutter, aber auch mit Nähmaschine und Hobelbank hantiert wird. Hier geht es insbesondere um Demokratisierung von Technik und Produktion. Die Tüftler_innen hier wollen keine Konsumenten mehr sein, sondern selber Produzenten. Beide Projekttypen haben zudem ein Faible fürs Wiederverwerten und Reparieren.
Warum will man denn wieder mehr selber machen?
Es geht den Beteiligten darum, dass sie die Dinge wieder mehr selbst in die Hand nehmen wollen, sowohl die persönlichen als auch die kommunalen, und sie wollen sich auch wieder besser auskennen, gerade mit den basalen Kulturtechniken wie Gärtnern, Kochen, Stricken, Bauen. Die Leute wollen zum Beispiel wissen, wo ihr Obst und Gemüse herkommt. Und beschließen: es selber anzubauen. Sie wollen ihren Staubsauger nicht mehr wegschmeißen, sondern reparieren. Und sie wollen das alles in einem gemeinsamen Raum mit anderen Menschen machen. Der Austausch ist wesentlich.
Die Münchner anstiftung listet 400 Gartenprojekte (Urbanes Gärtnern und interkulturelle Gärten) auf ihrer Homepage. Zu finden auch das Repair Café oder offene Werkstätten.
Urban Gardening und interkulturelle Gärten – wo ist da der Unterschied?
Interkulturelle Gärten waren in Deutschland die ersten urbanen Gemeinschaftsgärten. In ihnen geht es insbesondere um den interkulturellen Austausch und die Möglichkeit für Migrant_innen, in ihrem neuen Heimatland Wurzeln zu schlagen. In anderen urbanen Gärten steht vielleicht das Thema Stadtplanung mehr im Fokus oder der Umgang mit dem öffentlichen Raum. Aber die beiden Gartenformen weisen auch viele Ähnlichkeiten auf. Hier wie dort geht es zum Beispiel um den Erhalt der Biodiversität, um Habitate für Bienen, um Community. Außerdem wollen beide mit ihrer Umgebung kommunizieren, man will den Austausch, mit der Nachbarschaft, mit Stadtverwaltung und Politik. Man möchte etwas bewegen.
Die Tüftler_innen hier wollen keine Konsumenten mehr sein, sondern selber Produzenten. Beide Projekttypen haben zudem ein Faible fürs Wiederverwerten und Reparieren.
Ganz konkret, was soll bewegt werden?
Man will, dass die Städte grüner werden, man will über den Umgang mit dem öffentlichen Raum mitbestimmen, man will wieder Gemeingüter schaffen, man will eine neue Form von Nachbarschaft. Dann geht es in den Gärten natürlich auch um die Qualität der Ernährung. Es geht darum, den Kindern zu zeigen, wie Möhren wachsen und dass es auch lila Kartoffeln gibt.
Bei den Toblacher Gesprächen steht ja die Nachhaltigkeit im Zentrum. Heißt Selbermachen automatisch nachhaltig agieren?
Einen Automatismus gibt es nicht. Das kommt immer auf den jeweiligen Lebensstil an, meist sind selbstgemachte Sachen allerdings langlebiger als gekaufte. Selbermachen kann für Nachhaltigkeitsfragen sensibilisieren, weil man ein Gefühl für die benötigten Ressourcen und die aufgewandte Mühe bekommt. Mir geht es in meinem Vortrag aber um die Formen des Selbermachens, mit denen sich ein neues Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität verbindet. Entschleunigung ist in dem Zusammenhang auch ein Thema, Gärtnern und Handwerken braucht Zeit. Manche erden sich im Garten, manche lieber in der Werkstatt. Die Werkstätten sind dabei oft männlich dominiert, in den Gärten ist das Geschlechterverhältnis eher ausgeglichen.
Man will den Austausch, mit der Nachbarschaft, mit Stadtverwaltung und Politik. Man möchte etwas bewegen.
Was wird in den Werkstätten gemacht?
Das ist ganz unterschiedlich. Oft wird erst einmal an der Ausstattung gewerkelt. Zum Beispiel baut sich praktisch jedes FabLab zunächst selber einen 3-D-Drucker, manche bauen sich auch einen Lasercutter. Das sind Gemeinschaftsunternehmungen. Mit dem 3-D-Drucker können dann zum Beispiel fehlende Ersatzteile produziert werden, so dass man defekte Maschinen oder Ähnliches reparieren kann. Mit dem 3-D-Drucker wird aber auch viel herumgespielt, da kann man sich dann streiten, ob der ganze Plastikkram nicht eher ein Problem darstellt. Aber es gibt auch Geräte, die das Plastik dann wieder schreddern können. Typisch ist für diese Werkstätten jedenfalls die Teamarbeit und die Bereitschaft, andere teilhaben zu lassen, Bauanleitungen werden ins Netz gestellt und dürfen frei verwendet werden. Auch hier sind sich Gärten und Werkstätten wieder ähnlich: Untergründig geht es um eine neue Ökonomie, um neue soziale Beziehungen.
. Typisch ist für diese Werkstätten jedenfalls die Teamarbeit und die Bereitschaft, andere teilhaben zu lassen, Bauanleitungen werden ins Netz gestellt und dürfen frei verwendet werden.
Angesprochen sind in diesen Lernorten alle – Junge und Alte?
Ja, es geht um die Gesellschaft generell. In den Gärten sind oft Kinder dabei, die dann sehen, wann welches Gemüse geerntet werden kann. In den Reparaturcafés zeigen alte Leute jungen Leuten, wie man ein Radio repariert oder ein Fahrrad, im Gartenworkshop, wie man Obst einkocht. Wissen wird weitergegeben, generationsübergreifend. Das freut viele ältere Menschen, dass ihr Wissen plötzlich eine neue Wichtigkeit bekommt.
Nachhaltig selbermachen – ein Schritt zurück und einer nach vorne?
In gewisser Weise ja, es geht darum, Wissen zu reaktivieren, um es in neuen Kontexten anzuwenden.
Die Toblacher Gespräche starten am Freitag, 3. Oktober. Andrea Baier wird am Samstag Nachmittag, 4. Oktober, referieren. Ihr Thema: Die Kultur des Selbermachens und ihre Bedeutung für die Transformation zur Nachhaltigkeit.