Politics | Eiertreter*in

Flurbereinigung

116 Bürgermeister in Südtirol sind genau 116 zu viel. Wir müssen reden.
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Wappen
Foto: Goggel Totsch

AUAAA!!! So eine Gemeindewahl tut verdammt weh. Wegen des Ergebnisses? Nein, das kümmert keine Sau. Es ist zwar sehr schmerzhaft, dass ich mit meiner Prognose recht behalten habe, aber ich meine eigentlich die akute Sehnenschneideentzündung, die mich seit dem Auszählungsmarathon plagt. Kommt vom Mausrad: Rauf, runter, klick, runter ... auf gemeindewahlen.bz.it.

116

116 Gemeinden sind eine Zumutung für so einen zarten Mittelfinger. Der tut jetzt so weh, dass ich es nicht einmal mehr schaffe, ihn im erigierten Zustand der Mutterpartei für ihr Abschneiden im Luftkurort entgegen zu strecken. Ehrlich: Warum zum Geier braucht dieses Land so viele Rathäuser?
 
Altrei 314 Wahlberechtigte, Kuens 324, von Waidbruck mit seinen 62 Männlein und 59 Weiblein, die sich an der Wahl beteiligt haben, will ich gar nicht sprechen. Die Piefke haben ihre „Gebietsreform“ mit Gemeindefusionen und Eingemeindungen schon in den 70ern des letzten Jahrhunderts durchgezogen. Bis zur Wiedervereinigung wurden die 24.199 Gemeinden auf 8.506 eingedampft - heute haben sie in der Piefkei 10.795 der kleinsten Verwaltungseinheit. Warum ist hier so was nicht möglich - wo wir doch immer so bewundernd nach Norden schauen (solange die aus dem Norden nicht hierher kommen, um mit 40 km/h über unsere Passstraßen zu gurken). Kuens zum Beispiel, mit 1,66 km² Südtirols flächenmäßig kleinste Gemeinde, müsstest du nur mehr auf dem Papier streichen. Zwar haben die Kuenser mit gemeinde.kuens.bz.it noch eine eigene Homepage, aber ihre Ämter im Rathaus vom benachbarten Riffian. Ämter ist gut: Sollten sie mal beim Riffianer Bürgermeister zu Besuch sein, achten sie auf den Schreibtisch im Eck gegenüber seiner Bürotür. Von da managed für die nächsten fünf Jahre der alte und neue BM Manfred Raffl die Kuenser Amtsgeschäfte. Ich meine, das ist doch total ungerecht: Im Lockdown, als man sich innerhalb der Gemeindegrenzen nur per pedes bewegen durfte, hätten die Sarner die halbe Hufeisentour machen können. Ein durchtrainierter Kuenser ist beim Hoch- und Runterlaufen von der Staatstraße zur Kirche nicht mal warm geworden.

Ein Blick auf den GeoBrowser3 der Provinz drängt dir Fusionen geradezu auf. Mölten-Vöran-Hafling oder Salurn-Kurtinig-Magreid-Neumarkt. (Warum bei der zukünftigen Großgemeinde „Walschland“ Kurtatsch fehlt? Weil der Schiefer Oswald ein Amt braucht. Punkt!) Kastelruth und Seis, ein Herz und eine Seele, warum nicht auch noch die Völser ins Boot holen? Hat jemand eine rationale Erklärung, warum Prettau, die nördlichste Gemeinde Italiens, nicht zu den Teldra gehört? Warum sind Laurein mit 338, respektive Proveis mit 257 Einwohnern nicht Teil von Ulten? (Hätte man beide schon vor dem Bau der Landesstraße 86 an die Trientnerfetzer im Nonstal verscherbeln sollen).
In Zeiten von Politikverdrossenheit, wo in 28 Gemeinden nur die Mutterpartei antrat und in über 40 Gemeinden nur ein Bürgermeisterkandidat angekreuzt werden konnte, weil sich diesen Job niemand mehr antun will, muss der Drang zur Rationalisierung doch zwingend sein? Nix mehr mit Interessenkonflikt, wenn der Tennispartner des Schwagers des Cousins des BM um eine Baugenehmigung auf dem Nachbargrundstück des Bürgermeisters anfragt. Der BM wohnt dann 20 Kilometer von dir weg und muss erst im Melderegister nachschauen wer du überhaupt bist. Dann ist Ende-Gelände bei der Verband-elung zwischen Dorfkaisertum und Tourismus, Musikkapelle und Volkstänzer. Da gibt es dann die Hoteliere in Luchta, die Handwerker in Sond, dazu die Feuerwehr in Fochina, die Musi aus Lappoch und an die ganz hinten im Toule muss auch irgendwie gedacht werden.

Stop! Ich weiß, wie ich es den Edelwaisen schmackhaft machen kann: Wenn ihr die Gemeinden zusammenschließt, enthauptet ihr mit einem Schlag alle Dorflisten! Bis sich der schwerfällige Südtiroler oppositionell neu aufgestellt hat, vergehen mindestens zwei Legislaturen und wenn ihr es geschickt anstellt, hetzt ihr die einzelnen Bürgerlisten gegeneinander auf. Die fetzen sich dann, ob man sich in Zukunft „Staudenvinschger Bürgerliste“ oder „Bürgerliste Staudenvinschgau“ nennt - ihr könnt derweil durchregieren.

33

Als erste Orientierung könnt ihr euch bei der Heiligen römisch-katholischen Kirche Südtiroler Nation mit ihren Seelsorgeeinheiten umsehen: „Seelsorgeeinheit Wipptal“ mit den Pfarreien Sterzing, Telfes, Ried, Jaufental, Gossensaß, Pflersch, Brenner, Mareit, Ridnaun, Ratschings, Wiesen, Außerpfitsch, Innerpfitsch, Trens, Stilfes, Mauls. Da hat sich offensichtlich jemand Gedanken gemacht, wie er mit seinen dahinsterbenden Human Rescources noch haushalten kann. (Ich sehe den Tag kommen, an dem der Muser himself um 6:30 Uhr in Reschen mit dem Frühmessen anfängt und um 20:55 Uhr in Vierschach den Tabernakel zusperrt). Die „Planung Seelsorgeeinheiten -NEU- von Westen nach Osten“ des Seelsorgeamts der Diözese Bozen-Brixen listet 33 Einheiten auf.
33? Ach was! Mit 203.616 Ja-Stimmen haben sich 79,10% der Südtiroler für eine Verkleinerung des Parlaments in der Walsch ausgesprochen. Es dürfte ein Leichtes sein, die 116 Gemeinden auf die sieben Bezirksgemeinschaften einzudampfen. Acht! Die Grödner kannst du schwerlich verwaltungstechnisch von den geliebten Brüdern und Schwestern jenseits des Jochs trennen. Wer hat dieses Unding ersonnen, die Badioten den Pusterern zuzuschlagen und die Kredner in eine Zwangsehe mit Salten-Schlern zu knechten? Wäre eh das Beste, wenn man aus Ladinien einen Zwergstaat machen würde. Und dann konsequent weiterdenken, mit Grenzkontrollen am Furkelpass, Onach, Würzjoch, und natürlich Waidbruck.
Damit ist das Stichwort gefallen: Waidbruck. 191 Einwohner (laut Astat-Volkszählung am 31.12.2019) brauchen also einen Gemeinderat, samt Bürgermeister, Sekretär, Bauamt und allem Pipapo? Absurder wird es nur noch, wenn man bedenkt, dass der Dorfteil Unterried, nördlich des Grödnerbaches verwaltungstechnisch zu Lajen gehört (betreibt Lajen immer noch diesen Bürgerschalter in Waidbruck?) und Altweg auf der orografisch rechten Seite des Eisacks zu Barbian. Gut, sowas kann man toppen, schließlich dürfen die Ulricher in Überwasser für den Colli stimmen und die Kinder aus Schernag über die Brücke in Nals zur Schule gehen, während ihre Eltern mülltechnisch zu Tisens gehören. Ich schweife ab.
Eigentlich möchte ich Waidbruck nicht missen. Schon allein für den Unterhaltungswert ihrer Feuerwehrposse - ob und wann die Abschlussrechnung 2019 vom Gemeinderat genehmigt wird, der neue Kommandant bestätigt... Waidbruck sollte man den Status eines Königreichs zuerkennen - dann ziehen wir eine zinnenbewehrte Burgmauer drumherum und setzen ein Dach drauf: Fertig ist das Narrenhaus.

306

Apropos Feuerwehr. Ganz tief drinnen haben die Antholzner keine Gemeinsamkeiten mit denen in Rasen. Die Taistner können nicht mit den Welsbergern und aus Ober- Mitter- und Niederolang gehörten drei Gemeinden … na … fünf, Gassl und Geiselsberg sollte man nicht vergessen. Und genau da kommen wieder die FFler ins Spiel. Laut dem Landesverband der Freiwilligen Feuerwehren Südtirols hat dieser Flecken Erde 306 Wehren. Bei 544.439 Einwohnern also einen Feuerwehrhäuptling auf 1779 Seelen. (Perfekter Schnitt, denn ab 2.000 Einwohner kostet so ein BM gleich 1.000 Euro mehr im Monat). Und nicht zu vergessen: Eine Feuerwehrhalle. Es dämmert ihnen? Wir ersetzen die ersten Bürger der Gemeinde durch die Mandr*innen, der Feuerwehrtempel wird das neue Rathaus und Dienstfahrzeuge hätten wir gleich dazu: Im Langis wird der Schoder eh immer von der Feuerwehr von der Straße gespritzt - da können sie dann ihre neuen Schläuche ausführen. Im Recyclinghof kann an die mittwöchliche Wertstoffsammlung gleich die Spritzenübung angehängt werden - wenn sie den angezündeten Sperrmüll löschen.
Okay, in Kaltern hätten sie dann acht Bürgermeister und der Malser-Weg gar deren zehn, aber hey, haben nicht 46,8% der Malser bei der Bürgermeisterwahl ungültig gewählt, weil ihnen ein Kandidat irgendwie zu wenig war? Der Gemeindenverband wird durch die Feuerwehrschule in Vilpian ersetzt und den Oberlöscher Wolfram Gapp setzen wir auf die Poltrona der „Heiseren Stimme aus Vahrn“. Dem Bürokratismus ein Schnippchen schlagen, wenn die vierteljährliche Zuweisung an die Mandr nicht durch den Gemeinderat muss und das Gemeindeblatt persönlich ausgeteilt wird - weil man kennt sich ja vom Glender und dem Lottern für den Glückstopf.
Mir würde da noch so viel einfallen, muss aber vorsichtig sein; darf mir über die Ehrenamtlichen nicht zu sehr das Maul zerreißen, sonst wünscht mir der Feuerwehrmensch aus Mölten auf Gesichtsbuch.com wieder: „I wünsch in autor das amol sein haus brennt und koanr fe die freiwilligen Vereine sich Zeit nimmt dorthin zu fohrn..!“.

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Letzter Versuch - auch weil mein Mittelfinger chronisch werden würde, müsste ich auf der Wahlen-Site durch 306 Zeilen scrollen: Ersatzlos streichen! Südtirol ist eh ein Dorf, jeder mit jedem über drei Ecken verwandt oder verschwägert. Wir sind einwohnermäßig ein Stadtteil von München und die Geschicke bestimmt sowieso der Bauernbund.
Dann müssen sie in der Boazner Brennerstraße auch nicht alle fünf Jahre ihre WhatsApp-Gruppe generalsanieren. Da wo die ganzen SVP-Bürgermeister mit den Politikkasper aus dem Landtag und Rom kommunikationstechnisch kurzgeschlossen sind. Da soll ja fleißig das Händeklatschen-Emoji oder ein „Bravo Tommy“ gepostet werden, wenn der, dessen Name ich niemals nenne, im Landtag wieder einmal einen Schas über seine Hudern erzählt.
Alle fünf Jahre schrammt die Sekretärin in der Parteizentrale beim Eintippen von 101 Telefonnummern haarscharf an einer Sehnenschneideentzündung vorbei. Allein der armen Haut zuliebe sollten wir das ändern. AUTSCH!

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Martin Daniel Tue, 09/29/2020 - 17:43

In Italien geht die Gesetzgebung schon länger dahin, Zusammenschlüsse von Gemeinden zu fördern und die Einrichtung neuer unter 10.000 Einwohnern zu unterbinden. Diverse Gesetze sehen ordentliche finanzielle Anreize für Fusionen vor ("A decorrere dal 2018, dunque, ai comuni risultanti da fusione o da fusione per incorporazione spetta un contributo pari al 60% dei trasferimenti erariali attribuiti per l'anno 2010, nel limite massimo di 2 milioni del contributo per ciascun beneficiario"). Ob es in Südtirol je zu Zusammenschlüssen unter Aufgabe der Eigenständigkeit von Mikrogemeinden kommen wird, ist ob des vorherrschenden Kirchturmdenken stark zu bezweifeln. Immerhin werden immer mehr Dienste wie jene von Gemeindepolizei oder -Sekretär für zwei oder mehrere Gemeinden gemeinsam erbracht.

Tue, 09/29/2020 - 17:43 Permalink