Drei Cantici für ein Halleluja
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Franz von Assisis „Cantico delle Creature“ ist unter religiösen Texten so etwas, wie ein richtig guter Popsong und gleichzeitig der älteste erhaltene Text auf Italienisch, zu dem uns der Autor bekannt ist. Auch nicht religiöse Personen hätten damit einen Zugang finden dürfen und bei einem solch persönlichen Thema wie der Gretchenfrage können die Haltungen vielförmig ausfallen. Da gebe es dann auch keinen so großen Unterschied zwischen Profi- und Hobbyschreibern mehr, meint Matthias Vieider bei der Anmoderation von Schreibern und Schreiberinnen: Gregor Biberacher (im Titelbild am Mikrofon), Laura Giovannini und Davide Goldner hatten sich statt für das Bergsteigerlied von Karl Felderer oder einem Liebesgedicht Oswald von Wolkensteins („Frölich zärtlich lieplich und klärlich, lustlich stille leise“) für den Gesang von Bruder Sonne entschieden.
Zuvor vermittelte Eeva Aichner noch Grundwissen zu dem um 1225 in Umbrischer Vulgärsprache verfassten Text, den es umzuschreiben galt. Bemerkenswert ist etwa, dass dieser wohl im Gegensatz zu den anderen beiden Texten durchaus im 21. Jahrhundert angekommen ist und etwa für den Umweltschutz gern bemüht wird und auch musikalisch sowohl im schmissigen „Laudato sii“ aus dem Religionsunterricht, wie auch in einer Technofassung lange noch nicht verstummt ist.
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Den Anfang machte, nachdem es noch einmal den Originalwortlaut in modernem Italienisch von Band zu hören gab, der jüngste Teilnehmer der Runde, Davide Goldner. Trotz vorab gestandener Nervosität sollte Goldners „Cantico della Ragione“ holperfrei und souverän vorgetragen werden. In der vom Ausgangswerk am weitesten entfernten Umschreibung brach der Autor nicht nur mit Gott, sondern gewissermaßen auch mit dem hymnischen, lobpreisenden Charakter des Originals, an dessen Stelle die Ambivalenz der Vernunft trat. Mit beiden Seiten der Medaille spielend zitierte der junge Autor, der etwa den militärischen Nutzen vor der zivilen Nutzbarmachung von Atomenergie und Internet unterstrich. Im Spiel mit den beiden Seiten, der erhebenden Kraft der menschlichen Zivilisation und deren tiefsten Abgründen, zitierte Goldner Gesetzestexte: von den Jim Crow Laws über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Mein Kampf und die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung.
Als nächste betrat die Leiferser Lehrerin Laura Giovannini die Bühne, die ihre Gedichte bei der Literaturgruppe Lettera 7 präsentiert. Ihr göttliches Moment kommt als „Tu“ zur Sprache, in dem sie eine „Intelligenza d’amore“ ausmacht. Ihre Version des Cantico war von Motiven der Natur und der Rückbesinnung gekennzeichnet. Mutter Erde sei nicht nur zu danken, sondern habe sich „coccolate“ verdient. Von Zartheit war auch ihr Text gekennzeichnet, wenngleich auch ein negatives Menschenbild Einzug hält, das beim Franz ausgespart ist, der für seine Zeit bemerkenswert, ohne moralischen Zeigefinger auskam. Giovannini ging da schon etwas härter mit den Menschen ins Gericht und mahnte zur Demut und zur Umkehr.
Gregor Biberacher war der dritte, dessen Text über die Open Call ausgewählt wurde. Der aus Freiburg nach Bozen gekommene Poet, der neben der Bühnen- und Slam-Poesie auch schon Clownerie und Germanistik praktizierte, trug als einziger im Stehen, quasi im Slam-Modus vor und rhythmisierte seine Sprache. „Gott ist die Musik und die Musik, das ist Gott.“ Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Texten schrieb Biberacher seinen Text nicht in italienischer, sondern in deutscher Sprache. Dennoch übernahm auch er aus dem Italienischen Versatzstücke: So wurde die Sonne zu „fratello Sonne“ und der Mond zu „sorella Mond“ sowie immer wieder musikalische Spielanweisungen wie ein „largo maestoso“, aber auch ein „allegro scherzando“, mit welchem der Wind ein letztes Mal durch die müden Haare seiner Mutter streift, mit der der Autor eine Wertschätzung für den „Spielmann Gottes“, wie Franz von Assisi auch genannt wird, teilte.
Die Schwerpunktsetzungen fielen bei allen dreien verschieden aus und am Ende ist es wenig verwunderlich, dass man sich bei einer Sache einig ist. Ohne Glauben, so glaubt man, geht es nicht. Der eine glaubt eben an Gott oder ein großzuschreibendes „Du“, an eine Musik oder Bühne, an die Vernunft oder das Geld. Wichtig ist oft weniger das „Was“ eines Glaubens, sondern ob er dem Menschen Trost spenden kann.