Zeitgenössische Takte
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Der kleine Raum im Untergeschoss ist zum Bersten voll, als der junge Meraner Musiker die ersten Takte von Thad Andersons „Concertante“ setzt und die Luft hätte geschnitten werden können. Am bauchigen Schlagwerk werden rasch be- und entschleunigende Rhythmen mit einem elektronischen Element verziert. Im Hintergrund gibt uns ein Visualizer, der immer wieder Stil, Geometrien und Farben austauscht, geometrische Formen zu den Klängen, die mal rund, mal eckig gezeigt werden. Auf der Musikebene geht es eher darum, ein spannendes Störelement zu erzeugen. Man könnte sich vorstellen, dass diese, an Soundfehler, beziehungsweise „Glitches“ erinnernde Spur vom Band für die präzise Ausführung des Stücks nicht die einfachste Grundlage war.
Vor dem zweiten Stück von Anderson sollte es mit Nigel Westlakes „Fabian Theory“ einen Einschub mehrheitlich an der Marimba geben. Das Stück verwendet „Live Electronics“ vor allem, um dem Instrument einen gespenstischen Hall zu verpassen. Der Eingriff der Elektrik ins analoge Spiel ist beim ältesten Stück des Abends jedenfalls dezenter als im Vorgängerstück und mehrheitlich eher Akzent als eine Stimme für sich. Der Effekt lässt das Ende einer Phrase für einen Moment wie eine Frage im Raum stehen. Mit zunehmender Komplexität endet ein Stück, das spielerisch und leicht beginnt.
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Zurück bei Thad Anderson ist „Withhold“ ein wenig Antithese zum ersten Stück. Wo es dort um präzise zu Ende geführte Schläge geht, ist „Withhold“ auch ein wenig eine Koketterie mit den Erwartungen. Das Snaredrum-Solo mit Medienunterstützung sollte zudem ein Musterbeispiel für die polyrhythmischen Elemente des Abends sein, die für sich sprachen. Dennoch veranschaulicht der Hintergrund aus sich multiplizierenden und dividierenden Kreisen und Quadraten die komplexe Gleichzeitigkeit zweier verschiedener Rhythmen mit beiden Händen.
Für die letzten beiden Stücke des Abends, „Goroka“ und „Bedawi“, zeichnete James Larter die Autorschaft. Beide Schlagwerkstücke nutzen wieder ein ausgeweitetes Sortiment an Schlagwerk. Unterlegt werden beide Stücke mit Animationen, die surreal traumhaft in einen Dschungel mitnehmen, auf Details zoomen und wieder auf Distanz gehen. Die von Max Calanducci dargebotene Wiedergabesollte einiges an mentaler Flexibilität fordern. Wenn einer eine Reise tut, so muss er diese geistige Formbarkeit auch mitbringen. Die Reise führt nach Afrika. „Goroka“ nimmt als Stück Bezug auf verschiedene Trommelritualen, die in der titelgebenden Stadt in Papua-Neuguinea aufeinandertreffen. „Bedawi“ dagegen setzt visuell und auch klanglich auf eine Wüstenidentität und nicht zu leugnende Berbereinflüsse. An wechselnden Instrumenten und mit verschiedensten Schlägeln, die gegen Ende auch noch den Jazzbesen ins Spiel brachten, hielt der Musiker dennoch die Spannung hoch.
Auch wenn mir gerade diese exotisierenden Reisen sonst oft nicht liegen, so ist bis zum letzten Moment der Charakter des Stücks experimentell und abstrakt genug, so dass das Motiv nicht unbedingt stört. Am Ende eines kurzen, intensiven Konzerts setzt Calanducci seinen letzten Schlag einen Moment nachdem sich das Video verabschiedet. Ich hoffe auf ein Wiederhören.
Derweil darf man sich beim 50. Festival Zeitgenössischer Musik in Bozen, das etwa auf Halbweg ist, auf das nächste Konzert freuen, das am Sonntag, 18 Uhr im Bozner Konservatorium stattfinden wird. Das Piano-Duo Andrea Dindo und Andrea Rebaudengo wagt sich neben Stücken von John Adams, György Sándor Ligeti Ligeti und künstlerischem Leiter Hubert Stuppner auch an die Uraufführung von Eduard Demetz Stück „Memory is an animal“. Wir geben recht, die Erinnerung ist ein Hund, manchmal.