Politics | Interview

“Impfpflicht? Es gibt andere Probleme”

Stefano Barbacetto, im Vorstand der Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft des Cgil/ Agb, befürwortet die Impfpflicht für das Schulpersonal und fordert mehr Ressourcen
Lehrer
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Salto.bz: Herr Barbacetto, ab dem 15. Dezember greift die Impfpflicht für das Schul- und Lehrpersonal, deren Interessen Sie für die CGIL vertreten. Was bedeutet diese Impfpflicht für die Schule in Südtirol?

Stefano Barbacetto: Gute Frage… Die Impfpflicht geht aus der momentanen Situation hervor. Natürlich gab es eine diesbezügliche Debatte und nicht alle können sich in dieser Maßnahme finden, aber die Gewerkschaft stellt sich nicht gegen eine Maßnahme, die auf einer klaren Gesetzeslage basiert und somit auch einige Probleme beseitigt.

Die wären?

Der Gebrauch des Green Pass, der einige Widersprüche enthält.

Wie meinen Sie das?

Der Greenpass wurde dazu verwendet, die Menschen - ohne Impfpflicht - zum Impfen zu bewegen. Ohne eine Impfpflicht darf das Recht auf Arbeit für Ungeimpfte aber nicht eingeschränkt werden, weil Tests und Impfung mit Blick auf die Gesundheit gesetzlich gleichgesetzt waren. Deshalb hat sich unsere Gewerkschaft - solange es keine Impfpflicht gab - auch immer für kostenfreie Testangebote für die Arbeitskräfte ausgesprochen. Wir haben aber entschieden, dass wir uns nicht gegen eine Impfpflicht auflehnen würden, falls die Regierung endlich die Verantwortung für eine klare Gesetzeslage übernehmen würde. Auch deshalb nicht, weil das Recht auf Gesundheit nicht nur ein Recht des Einzelnen ist, sondern ein kollektives Recht.

 

Die Impfpflicht, die nun eingeführt wurde, bleibt jedoch lückenhaft, da sie nur für Lehrpersonen und einige weitere festgelegte Kategorien greift.

Natürlich. Schul- und Lehrpersonal, Ordnungskräfte und Sanitätspersonal sind jene Kategorien, die den größten Risiken ausgesetzt sind. Es bleiben einige Zweifel, da es für das Publikum mit dem wir uns beschäftigen - die Studierenden - keine Impfpflicht gibt. Das ist aber verständlich, da die Impfung vor allem für die Jüngsten unter ihnen erst seit Kurzem möglich ist noch genauer beobachtet werden muss. Aber zurück zu den Lehrpersonen: Wer sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen kann, wird von der Impfpflicht ausgenommen, alle anderen werden gegebenenfalls suspendiert - nicht gekündigt. Das heißt, wenn sich eine Person zu einem späteren Zeitpunkt impfen lassen möchte oder der medizinische Notstand vorbei ist, hat sie die Möglichkeit, an die Schule zurückkommen.

In der Zwischenzeit muss jedoch mit einigen Suspendierungen gerechnet werden. Welche Folgen erwarten sie sich für den Bildungsbereich?

Es wird sicherlich einen gewissen Prozentsatz geben, der sich nicht impfen lassen möchte und infolgedessen suspendiert wird. Ich denke aber, dass der Prozentsatz geringer sein wird als erwartet.

Warum?

Weil der Großteil der Lehrpersonen sich an der Impfkampagne beteiligt hat. Und weil wir hoffen, dass das Impfangebot vonseiten der Provinz so schnell wie möglich ausgeweitet wird, um die ausstehenden Impfungen innerhalb der vorgegebenen Frist zu ermöglichen.

 

Es gibt kritische Aspekte dieser Situation, die wir in ihren Prinzipien aber nicht verurteilen können.

 

Nichtsdestotrotz wird die Schule vor einigen Schwierigkeiten stehen, die auch zu Ausfällen führen könnten. Kinder und Jugendliche werden also wiederum die Folgen der Pandemie zu spüren bekommen.

Ohne Zweifel. Wir sind mitten in einer Pandemie und das ist eine der negativen Folgen davon. Eine andere wird der Status der neuen Supplenzkräfte sein. Sie sind in einer noch prekäreren Situation als “normale” Supplenzkräfte, weil ihre Anstellung kein Enddatum vorgibt. Es hängt allein von der Entscheidung der nicht geimpften Lehrperson ab, ob sie ihren Job weitermachen dürfen oder nicht. Das sind kritische Aspekte einer Situation, die wir in ihren Prinzipien aber nicht verurteilen können: Es geht darum, den bestmöglichen Schutz für ein sensibles Umfeld zu schaffen. Der Staat hat die Möglichkeit so eine Maßnahme umzusetzen und wir stellen uns da nicht dagegen.

Gleichzeitig scheinen Einschränkungen im Bildungsbereich früher zu greifen als in anderen Sektoren. Während man in der Wirtschaft noch mit dem Greenpass arbeitet, ist für die Schule bereits eine Impfpflicht vorgesehen.

Da es sich um einen öffentlichen Dienst handelt, sind diese Dinge teilweise akzeptabel. Was nicht akzeptabel ist, ist, dass die Schule dazu verdonnert wird, alles mit denselben Ressourcen zu bewältigen.

Man denkt daran, pensionierte Lehrpersonen und Studierende an die Schule zu holen, um die entstehenden Engpässe zu kompensieren. Kann das funktionieren?

Ich glaube, dass es eine gute temporäre Lösung sein kann. In vielen Fächern haben wir aber Wartelisten mit Lehrern, die eventuell zur Verfügung stehen. Das heißt, dass sich die Maßnahme - Pensionierte und Studierende an die Schule zu holen - sich auf einige wenige Notwendigkeiten konzentrieren wird.

Es scheint beinahe so, als würde Ihnen die Situation an den Schulen mit Blick auf die kommenden Monate keine allzu großen Sorgen bereiten. Ist das so?

Es gibt andere Probleme. Unsere Gewerkschaft hat für den 10. Dezember einen Streik angesetzt, der die fehlende Bereitschaft, in die Schule zu investieren, anprangert. Um die Probleme dieser schwierigen Zeit zu bewältigen, müssten mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Ich möchte darauf hinweisen, dass in der Provinz Bozen - im Gegensatz zu anderen Regionen - kein zusätzliches Schulpersonal angestellt wurde. In anderen Regionen wurden bereits Personen eingestellt, Klassen wurden verkleinert… Zudem ist auch das Problem der Lohnanpassungen noch nicht gelöst. Mit Blick auf diese Themen ist die Impfthematik beinahe als Zerstreuung zu betrachten.

 

Es ist sinnvoll, eventuelle Schulschließungen und Quarantäneverordnungen für einzelne Klassen frühzeitig vorzubeugen.

 

Sie waren bis vor Kurzem selbst als Lehrperson tätig. Wie haben Ihre Kollegen die Nachricht der Impfpflicht aufgenommen? 

Einige haben sich aus der Gewerkschaft zurückgezogen. Dabei handelt es sich sowohl um Impfbefürworter, die uns für die Forderung der kostenfreien Tests verurteilt haben, als auch um Impfgegner, die uns vorwerfen, ihre Freiheit nicht zu respektieren. Im Moment geht es aber um eine geringe Anzahl an Personen. Wir hoffen, dass es auch so bleibt. Auch deshalb, weil hier auch der menschliche Aspekt beachtet werden muss: Die mediale Impfkampagne war mit vielen Widersprüchen gespickt. Wenn eine Person daraus ihre Schlüsse zieht und entscheidet, dass sie ihr Vertrauen verloren hat oder aber, dass sie in die Impfung vertraut, dann sind das individuelle Entscheidungen, die es zu respektieren gilt. Wir wollen uns als Gewerkschaft aber nicht gegen eine Impfpflicht stellen, die der Staat auf der Grundlage wissenschaftlicher Informationen trifft und die auch in der Macht des Staates liegt. Wir setzen uns an anderen Fronten ein.

Insgesamt also eine sinnvolle Maßnahme?

Ich glaube, dass die Zahl der Schulschließungen und Quarantäneverordnungen an den Schulen in den Medien zu wenig Aufmerksamkeit erhält und somit unterschätzt wird. Deshalb ist es sinnvoll, hier früh einzugreifen und zu handeln. Es geht hier nicht darum, Personen anzuprangern oder zu bestrafen, sondern in einer medizinisch kritischen Situation den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten.