Culture | Salto Afternoon

West-Ost und Ost-West-Blicke

Mit analoger Struktur zum ersten Teil der sich mit Schrift und Kultur Albaniens beschäftigt hat, blickt man im Espace - La Stanza nach China, in und außerhalb Südtirols.
Nella terra del dragone
Foto: Jasmin Soraruf
Yaoqiang Liang, gebürtig aus China, lebt seit elf Jahren in Südtirol und unterrichtet am Instituto Marcelline die Kinder chinesischer Eltern und interessierte Italiener:innen in chinesischer Sprache und Kultur. Sein Beitrag zur Ausstellung ist neben zwei händischen Gedicht-Kalligraphien eine Auswahl von Texten aus vier der fünf Schriftsystemen (fishu, kaishu, xingshu und caoshu, es fehlt der älteste, heute selten verwendete Schrifttyp zhuanshu), Gedichte und Sprichwörter, welche von Mimmo Cuccia grafisch umgesetzt wurden.
Jasmin Soraruf, Kind einer chinesischen Mutter und eines ladinischen Vaters, Schülerin am Liceo Classico in Bozen hat eine abstrakte Bildreihe zu den fünf Elementen in der traditionellen chinesischen Medizin und fünf einzelne Bilder mit Sprichwort- und Gedichtzitaten gestaltet.
Beim Besuch der von Adel Jabbar kuratierten Ausstellung begegnet man zuerst Liangs Beiträgen und wird in besonderer Weise finden, dass viel von dem, was an aus einem europäischen Verständnis heraus als Aphorismus zu bezeichnen ist, auch bei uns Einzug gehalten hat. China wirkt etwas näher wenn man, auf den ersten Blick für die meisten unleserlichen Arbeiten, Volksweisheiten wiederfindet: „Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.“; „Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben.“ (Konfuzius); drittens wird als eine von vier Mehrdeutigekeiten einer Kaishu-Schrift von Liang selbst das ur-italienische „Chi va piano va sano e va lontano“ angeführt.
Besonders interessant in Bezug auf Polysemie ist das Gedicht des koreanischen Dichters Kim Satgat aus dem 19. Jahrhundert: In der grafischen, nicht kaligraphischen Umsetzung erhält der Vierzeiler eine, auch optische rhythmische Dimension, setzt er sich doch aus lediglich zwei Zeichen zusammen, „shi“ (ja, Zustimmung, gerecht, korrekt) und „fei“ (nein, negativ, ungerecht, ungenau, falsch). Das Resultat sieht so aus.
 
 
Durch die Ausstellung zieht sich auch das, besonders zum Chinesischen Neujahr vielbemühte „Fu“, welches für Glück, Segen und gute Vorzeichen steht und vielfach anzutreffen ist. Da das Chinesische Wort für umgekehrt homophon (gleichklingend) mit dem Wort für ankommen ist, findet es sich an strategischen Plätzen in umgekehrter, auf den Kopf gestellter Form wieder. Das Glück kann kommen.
Hat man sich durch die zahlreichen von Liang ausgewählten Aphorismen und Gedichte gelesen und geschaut, kommt man im zweiten Raum mit Sorarufs Werken in Kontakt, als erstes mit „Sguardo“, einem Teilporträt, das das Alleinstellungsmerkmal der Ethnie ins Zentrum stellt, aber im chinesischen auch die Emotion hinter einem Blick meint. Vor rund zehn Jahren hat ein Forscherteam aus Glasgow und Freiburg übrigens festgestellt, dass es beim Lesen von Mimik große kulturelle Unterschiede gibt: lesen Europäer Emotion eher an der Mundpartie ab, so erfolgt diese nonverbale Kommunikation im asiatischen Raum fast ausschließlich über die Augen, den Blick eben.
 
 
Neben den für Erstlingswerke in der Malerei sehr hochwertigen Gemälden sind auch die fünf kleinformatig-quadratischen und abstrakten fünf Elemente - Erde, Metall, Holz, Feuer und Wasser - zu sehen, welche Sorafu bei der gestrigen Eröffnung ähnlich zur mittelalterlichen Vier-Säfte-Lehre sieht, welcher auch die vier Elemente unseres Kulturraums zugeschrieben werden.
Beachtet werden sollte auch Sorafus „Luna sul mare“, welche wiederum einen Gedichtausschnitt trägt: „Der Mond scheint strahlend vom Meer zurück / von weitem teilen wir gemeinsam diesen Moment“. Beachtenswert in zweifacher Hinsicht, zum einen da Distanzen in der Ausstellung immer wieder eine Rolle spielen, zum anderen da hier der Stil der jungen Künstlerin - nicht eindeutig chinesisch und nicht eindeutig europäisch - einen Ausflug in Richtung der romantischen Darstellungen des Mondes macht. Mit den roten Schriftzeichen überlagert ein reizvoller Ost-West-Kontrast.
„China in Alto Adige - Nella terra del dragone“ ist, auch durch die bemühten Schriftsysteme, eine besonders dichte Ausstellung geworden in der man gut auch zwei Stunden zubringen könnte, wenn man sich auf die begleitenden Texte einlässt. Die Ausstellung wird in den nächsten zwei Wochen zum interkulturellen Begegnungsraum, besonders interessant dürfte der Termin am nächsten Montag Abend werden, in welchem ein italienisch chinesisches Elternpaar von Spracherfahrungen zwischen Irland und Südtirol erzählt (Beginn 18 Uhr).