Vom Versuch, “normal” zu sein
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Vom Versuch “normal” zu sein, ein geklautes und leicht abgeändertes Zitat: Der israelische Staatsgründer sagte 1948, Israel ist erst dann normal, wenn es wie ein Nationalstaat agiert (und das tut es, in Gaza und im Westjordanland) und seine Gesellschaft den europäischen und nordamerikanischen ähnelt, in denen es “alles gibt”: Prostituierte, Zuhälter, Polizistinnen, Richterinnen, Staatsanwältinnen, Bäuerinnen, Handwerkerinnen, Soldatinnen, Forschende, Philosophinnen und sie unterhalten sich allesamt auf Hebräisch, von der Wiege bis zur Bahre.
Die einstige Ritualsprache am Sabbath ist zu einer National- und Staatssprache geworden.
Von der Wiege bis zur Bahre in der eigenen Sprache sprechen und kommunizieren ist für die meisten Minderheiten in Europa eine Illusion - Beispiel Radio und TV. Siehe Frankreich, die Rechtsregierung kappt spürbar die Förderung der Minderheitenradios. -
Rai Ladina
Siehe auch die Ladiner:innen in den beiden autonomen Provinzen Bozen und Trient, sie kommen im Radio (jährlich insgesamt 356 Stunden, also eine Stunde täglich) und im TV (123 Stunden jährlich) eigentlich nur in “Minutenlängen” vor, dadurch wird der Aktionsradius von Rai-Ladina (ST und TN, in den ladinischen Gemeinden in der Provinz Belluno nicht), eingeschränkt, die Berichterstattung aus den ladinischen Tälern wird zur Ethno-Nische.
Rai Südtirol
Rai Südtirol ist im Vergleich daazu ein Mainstream-Sender, Radio (16 Stunden täglich), überschaubare vier Stunden täglich im TV, es wird fast alles angeboten, Mainstream eben.
Mit der zweiten Ausgabe der Tagesschau um 10 nach 10, um 22.10 Uhr, stieg die Tagesreichweite im Fernsehen auf 180.000 Zuschauer. Heute bietet Rai Südtirol 750 Stunden Fernsehen und 5400 Stunden Radio jährlich Nachrichten, Kultur und Unterhaltung aus Südtirol – und nicht nur - für Südtirol. Von der Wiege bis zur Bahre, um Gurion zu zitieren.
Bis 2013 finanzierte die italienische Regierung die deutschen und ladinischen Programme der Rai, seit 2013 das Land über die sogenannte Konvention (20 Millionen Euro).Blick zurückEs ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass sich aus der faschistischen Radiostation Radio Bolzano 1928 der öffentlich-rechtliche Rundfunk Rai Ladinia und Rai Südtirol entwickelte.
Südtirol wird von der Rai seit 1945 im Hörfunk in deutscher Sprache bedient, wenige Monate später wird im Radio auch Ladinisch gesprochen.
Die erste Ausgabe der Tagesschau, damals noch Sender Bozen der Rai, wird am 7. Februar 1966 von Rom aus gesendet. Seitdem hat sich viel verändert: Umstellung auf Farbe, Umzug von Rom nach Bozen, neue Sendungen wie die zweite TS-Ausgabe „10 nach 10“.
Die Rai am Mazziniplatz in Bozen ist ein dreisprachiges “Medienhaus”: für die deutschsprachigen Südtiroler:innen, für die Italiener:innen und für die ladinische Sprachgruppe in Südtirol und im Trentino.
Der Ausbau der Autonomie brachte und bringt neue Möglichkeiten und Spielräume für den Sender Bozen, der sich schon bald zu einem der bedeutendsten Kulturträger Südtirols entwickelte.
Die italienischen Programme, vorab die italienischen regionalen Fernsehnachrichten, starten mit dem dritten Rai-Kanal im Jahr 1979.
Das ladinische Fernsehen läuft in den achtziger Jahren an; ab 1998 bedient die Rai die ladinischen Zuschauer auch täglich mit Nachrichten im Fernsehen.Rai Bz - Spiegelbild Südtiroler Geschichte1928 sendet Radio Bolzano (EIAR) als erste Radiostation Italiens faschistische Propaganda und dient dem Regime auch als Assimilierungsinstrument,
1943 übernimmt die Wehrmacht Nazi-Deutschlands den Sender Radio Bolzano und macht daraus den Sender Bozen,
1945, nach der Befreiung, geben die Alliierten dem Radio Bolzano den Auftrag, deutsche Sendungen auszustrahlen,
Aus EIAR wird Rai, die ab 1946 acht Stunden in Südtirol auf deutsch sendet (großzügig im Vergleich zu Minderheiten anderswo in Europa), der Sende-Inhalt damals war brauchtumslastig mit viel Tradition, eben eine Ethno-Nische,
1955 krempeln kreative Köpfe den Sender um, Fritz Scrinzi erfand die live-Sendung “Auf dem Dorfplatz” über Alltagsleben und Alltagssorgen, Versuch, aus der Nische zu kommen,
Seit 1960 werden die deutschen Sendungen kontinuierlich ausgebaut, trotzdem gibt es Südtiroler Bedenken gegenüber der “walschen Rai”. Italienische Chefs stehen deutschen und ladinischen KollegInnen vor,
1957-1963, in der Zeit der Attentate, mussten die deutschsprachigen Redakteure (so die Erzählung der Betroffenen) italienische Nachrichten auf deutsch übersetzen, die dann wiederum ins italienisch zurückübersetzt wurden. Diese hin- und her übersetzten Nachrichten kamen zur Kontrolle ins Innenministerium,
1960 wird dem Sender Bozen ein eigenes Hörfunknetz für die deutschen Sendungen zur Verfügung gestellt,
1966 wird Tagesschau des Sender Bozen erstmals ausgestrahlt, europaweit die erste regionale TV-Sendung. Lange mit Schwerpunkten aus Hof und Feld, dann politischer, journalistischer
1974 wird Franz von Walther Koordinator des Senders Bozen der Rai (“Figur” im 2. Autonomiestatut), “Herausgeber” der nicht journalistischen Programme, initiiert hochwertige TV- und Radio-Angebote, von Geschichte, über Kultur und Alltag. Von Walther kämpft für mehr Sendungen und für die Sender-Autonomie,
1977, wohl auch infolge des 2. Autonomiestatuts wird die deutschsprachige Redaktion selbständig/autonom, H.J Kucera erster deutscher CR. Laut dem Historiker H. Heiss stieß die Landesautonomie die Moderne an, es kam zu ersten Konflikten zwischen dem Sender Bozen der Rai mit der SVP und der Landesregierung, aber auch mit den Vorgesetzten in Rom,
1982 arbeitet der Sender Bozen die jüngste Südtiroler Vergangenheit auf, nicht nur die Annexion und den Faschismus zwischen 1918 und 1943, sondern auch die Südtiroler NS-Kumpanei von 1943 bis 1945, wenn aus Opfern Täter werden (Verdienst Gerd Staffler),
1989 folgt ein eigenes TV-Netz für den Sender Bozen,
1992 holt Chefredakteur Hugo Seyr die Tagesschau von Rom nach Bozen
1999 startet Chefredakteur Markus Perwanger mit zweiten Tagesschau-Ausgabe “10nach10”,
Die 2005 von C. Franceschini produzierte Attentats-Serie “Bombenjahre” mündet fast in eine Staatsaffäre.Zitate zum Thema von der Wiege bis zur Bahre“Ich glaube, dass wir Südtiroler nicht nur auf eine Stunde TV am Tag Anspruch, sondern hingegen das Recht haben auf eine gleiche Stundenzahl von Sendungen ... wie es sie heute für die italienische Volksgruppe gibt ... Bis dies nicht erfolgt ist, kann von einer Gleichberechtigung nicht die Rede sein”, sagte 1966 Landeshauptmann Silvius Magnago.
“Mit der Einführung der deutschsprachigen TV-Sendestunde wollte die Rai die Südtiroler zum Anschauen des anschließend folgenden italienischen TV-Programms anregen”, zitiert 1966 der spätere Koordinator Franz von Walther eine Aussage aus dem Kreis von Rai-Planern für Südtirol.
“Unser Anspruch ist es, die Südtiroler Gesellschaft zu zeigen (und zu erreichen), wie und wo sie heute ist. Inklusive aller Veränderungen, die sich seit den ersten Jahren dieses Senders eingestellt haben,” Koordinator Zeno von Braitenberg über den vollzogenen Wandel von Rai-Südtirol als Ethno-Nische zum Mainstream-Sender.
Modelle anderswoAnderswo wurde der Gurion-Sager von der Wiege bis zur Bahre im Radio und TV Realität:
So sendet Radio RTR für 60.000 Rätoromanen 24 Stunden auf Rätoromanisch (siehe: Ein Porträt von RTR) und ist deshalb am Puls von Graubünden, Das Angebot von RTR ist auch digital, regional und lokal auf den Social-Media-Kanälen. Sie das audiovisuelle Angebot in der App «Play RTR».
Für die 350.000 italienischsprachigen Tessiner:innen bietet die SRG/SRF mit ihrem italienischen Ableger RSIdrei Radio-Kanäle an, die 24 Stunden senden sowie zwei TV-Kanäle.
Gleich zweimal 24 Stunden sendet der deutschsprachige Belgische Rundfunk für die 80.000 Angehörigen der Deutschsprachige Gemeinschaft in Ost-Belgien auf zwei Frequenzen, BRF1 und BRF2, hinzu kommt ein umfangreiches Angebot auf den sozialen Medien.
Radio Euskadi im autonomen Baskenland mit seinen mehr als zwei Millionen Einwohner:innen bietet ein Rundumprogramm auf spanisch und baskisch an, mit fünf TV-Kanälen und sechs Radiostationen.
Catalunya Radio versorgt mit seinen Programmen die knapp acht Millionen Bürger:innen der autonomen Region Katalonien, die katalanischsprachige autonome Region Valencia und die katalanischsprachigen Balearen. Catalunya Radio wird das “nationale Radio Kataloniens” bezeichnet.
Empfehlenswerte Literatur: “Schwarzweiß in Farbe – 50 Jahre deutsches Fernsehen” von Gottfried Solderer (Raetia/Rai Eri) und “Fernsehen für Südtirol – le trasmissioni televisive per le minoranze lingustiche della sede Rai die Bolzano” von Valentino Piccinelli (Rai Libri).
Und siehe auch: Minderheitenradios in Spanien und Italien, die Rolle von freien Radios, für ethnische Minderheiten in Österreich und Europa, Syndicat National des Radios Libres, Radio Televisione Svizzera, Radio Cymru.Aus dem Skript zum Vortrag, der vom Autor im Rahmen des XXXIV. Volksgruppenkongress in Klagenfurt gehalten wurde.