Selbst spiegel-online verlor nach der verfehlten Staatspräsidentenwahlen in Athen fürs erste die journalistische Contenance: Die linke Syriza-Partei habe Neuwahlen erzwungen hieß es dort und das ist eindeutig falsch. Denn es war der amtierende konservative Ministerpräsident Samaras, der vor einigen Wochen beschlossen hatte, die Wahl des Staatspräsidenten um zwei Monate vorzuziehen, womit er sich um wertvolle Zeit brachte, um einen Kompromiss mit dem unabhängigen Mitte-Links-Lager auszuhandeln. Zweitens verfügte die Regierungskoalition so oder so nur über 153 Stimmen von 300, was ohnhehin nicht ausgereicht hätte, um die für die Staatspräsidentenwahl erforderliche Mehrheit von 180 Stimmen zusammenzubringen.
Die Panikmache gegen den Chef der Linksopposition Alexis Tsipras und die darauffolgenden Verluste an den europäischen Börsen hatten vor allem Deutschland und die Gläubigerbanken ausgelöst. Sie zittern, weil Syriza angekündigt hatte, im Falle eines Wahlsiegs die Schulden neu auszuhandeln und die von der Troika auferlegte Austeritätspolitik zu beenden. Doch mehr als die dadurch entstehenden Verluste fürchten die EU-Mächtigen in Brüssel, dass Griechenlands Beispiel in Südeuropa Schule machen könnte.
Griechenland hat bisher Hilfsgelder in der Höhe von 240 Milliarden Euro bekommen und im Gegenzug Reformen versprechen müssen, die nur zum Teil verwirklicht wurden. Die letzte Tranche der Troika-Hilfe von 2,8 Milliarden Euro steht noch aus, außerdem sollte der Internationale Währungsfonds bis April 2016 weitere 19 Milliarden an Krediten bereitstellen.
Griechenland seinerseits hat heuer 25 Milliarden Euro an Grundschulden und neun Milliarden Euro an Zinsen zurückgezahlt. Daran wird deutlich, dass die Hilfsgelder ja nicht geschenkt , sondern geliehen sind. Und weil es Banken und Finanzgruppen sind, die an den Schulden Griechenlands verdienen, fürchten sie den Wahlsieg der Linken besonders.
Die in Athen zu vernehmende und von den griechischen Fernsehsendern übertragene "Vox Populi" äußerte sich skeptisch zu Neuwahlen. Doch hiess es auch, dass wohl das griechische Volk und nicht die Höhen und Tiefen der Finanzmärkte über die Zukunft des Landes zu entscheiden hätten. Dass sie von deutschen Politikern dauernd gemaßregelt und bevormundet werden, geht den Griechen am meisten auf die Nerven.
Dabei ist es überhaupt nicht sicher, dass Tsipras die nächsten Parlamentswahlen am 25. Jänner gewinnt. Die Meinungsumfragen seien völlig unzuverlässig bestätigten Journalisten aus politisch verschiedenen Medien. Und selbst wenn Syriza die meisten Stimmen bekäme, so bedeutet das nicht, dass die derzeitige Linksopposition auch eine regierungsfähige Koalition zustandebringt.
Oppositionschef Tsipras betont immer wieder, dass er die Eurozone nicht verlassen will. Im Falle eines Wahlsiegs wolle er darauf hinarbeiten, dass die strengen Regeln der Sparpolitik umgeschrieben werden. Bei diesem Vorhaben könnte er viele Bündnisparner aus den anderen euroschwachen EU-Staaten bekommen.
Italien steht mit seiner Staatsverschuldung und dem andauerenden Nullwachstum mindestens ebenso schlecht da wie Griechenland. Auch Portugal steht vor dem Kollaps. Von Frankreich gar nicht zu reden, das permanent die EU-Spar-Kriterien verletzt, ohne öffentlich gerügt zu werden, wie beispielsweise Griechenland oder Italien. Und Grossbritannien, das weiterhin an seiner Pfund-Währung festhält und in der EU auf arrogante Weise die eigenen Interessen vertritt, zeigt, wie sehr in Brüssel mit zweierlei Maß gemessen wird.
Griechenland war für die von Lobbyisten bearbeiteten EU-Austeritätspolitiker ein Versuchskaninchen dafür, wie weit man die öffentliche Hand austrocknen kann, um die zusammengebrochenen Dienste (Sanität, Schule, Verkehr, Wasser, Strom) dann lukrativ zu privatisieren. Es zirkuliert so viel legales und illegal zusammengezocktes Geld auf den Finanzmärkten, dass eine regelrechte Gier nach privaten Investitionsmöglichkeiten ausgebrochen ist.
Selbstverständlich war Griechenland in der Vergangenheit das Negativ-Beispiel schlechthin für einen aufgeblähten Staatsapparat, an dem sich die 50 mächtigsten Familien des Landes bedienten. Und selbstverständlich gab es die absurdesten Fälle von Sozialfürsorge, wie etwa die Renten für unverheiratete Töchter von Staatsdienern, die jetzt abgeschafft wurden. Korruption, Vetternwirtschaft und Steuerhinterziehung blühten. Auch existierten mittlerweile abgeschaffte Gesetze, die besagten, dass alle Reeder von Steuern befreit sind. Kein Wunder, dass Griechenland permanent vor dem Bankrott stand.
Das war aber schon klar, als über jene europäischen Staaten diskutiert wurde, die Mitglieder der Eurozone werden sollten. Griechenland war mit seinem Staatsdefizit und seiner fehlenden Industrie definitiv nicht geeignet, in die von wirtschaftstarken Ländern Nordeuropas dominierte Eurozone aufgenommen zu werden. Auch mit Italien verschätzten sich die EU-Granden gewaltig, was sie nur hinter vorgehaltener Hand zuzugeben wagen.
All diese Fehler machten sich schon bald bemerkbar und mussten seitdem mit Milliardenkrediten ausgebügelt werden. Das kleine Griechenland kann - rein theoretisch - jederzeit vor dem finanziellen Ruin "gerettet " werden. Nicht aber Italien oder Frankreich, denn dafür fehlen der EZB, dem IMF und der EU die erforderlichen Tausenden von Milliarden.