Culture | Neuerscheinung

– my birds, my words,

Alexandra Fössinger hat vor kurzem ihren Gedichtband "Contrapasso" vorgelegt. Warum sie in englischer Sprache schreibt und in welcher Sprache sie träumt? Ein Gespräch.
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Foto: Chephalo Press

salto.bz: Sie schreiben Ihre Gedichte in englischer Sprache. Was sind die Gründe dafür?

Alexandra Fössinger: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn es gibt keine allzu naheliegenden Gründe. Ich habe erst recht spät angefangen, Englisch zu lernen, zumindest ernsthaft, nämlich mit Anfang zwanzig. Ich hatte Englisch nie als Schulfach, und obwohl ich früh viel gereist bin, habe ich nie in einem anglophonen Land gelebt. Am zutreffendsten ist es sicher, zu sagen: Ich schreibe meine Gedichte auf Englisch, weil sie auf Englisch „zu mir kommen“. Hintergründe hat das mehrere. Ich lese viel auf Englisch, ich hatte lange eine Beziehung mit jemandem, dessen Muttersprache Englisch war, vor allem aber ermöglicht mir der Gebrauch einer Sprache, zu der ich zwar eine Affinität habe, die mir aber – im Gegensatz zu meiner Muttersprache – nicht im Blut sitzt, die Distanz, die ich zum Schreiben brauche: Nur dieser minimale, aber wichtige Abstand befähigt mich dazu, die Dinge präzise zu beobachten und in der Folge klar – das heißt für mich auch, frei von Pathos – zu formulieren. In der Muttersprache bin ich, was die Lyrik angeht, zu nah dran, da überwältigen mich die Ereignisse. Prosa hingegen geht auf Deutsch entschieden leichter
 


Sie kommen aus Südtirol und wohnen derzeit in Norddeutschland. Sie sind dem englischen Sprachraum also schon sehr nahe. Haben sie Großbritannien als Wohnsitz bereits in Betracht gezogen?

Das habe ich durchaus, ich wäre vor ein paar Jahren fast nach Schottland gezogen, hielt bereits Ausschau nach Wohnmöglichkeiten. An der Ausführung meiner Pläne hinderten mich schließlich meine persönlichen Umstände. Dann kamen Brexit, die Pandemie und die sich politisch immer weiter verschlimmernde Lage in Großbritannien. Momentan schließe ich es aus all den genannten Gründen aus, eine Zeitlang in Großbritannien zu leben, aber wenn es nur um die Sprache und das Land an sich – Landschaft und Kultur – ginge, würde ich es immer noch liebend gern. Außerdem ist es natürlich um einiges leichter, am literarischen Leben eines Landes teilzuhaben, in dem man auch tatsächlich lebt.

Ihr Interesse gilt Zwischenräumen, Zeitverschiebungen, Dinge, die übersehen werden oder Ungesagtes. Ist Lyrik ein geeigneter Schlüssel für diese Themenfelder?

Ja, das glaube ich. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass das im Bereich der Sprache fast nur die Lyrik leisten kann. Oder zumindest unmittelbarer als Prosa oder Drama es tun. Lyrik verlangt formal nach Verknappung, das zieht nach sich, dass mehr ungesagt bleibt als in den anderen Gattungen – im Drama wird das Ungesagte aufgeführt, in der Lyrik muss es der Leser ergänzen. Lyrik ist stärker verklausuliert. Ein gelungenes Gedicht lebt von dem, was es benennt, im selben Maß wie von dem, was es lediglich andeutet. Dieses geschickte Verschweigen ist genau in jenen Zwischenräumen angesiedelt, die mich so faszinieren. 
 

Südtirol ist für mich Durchreise, Abreise, nie wirkliches Ankommen, und ich kann all diesen Heimat-, Berg- und Sehnsuchtstopoi nichts abgewinnen.


Der Titel des Gedichtbandes "Contrapasso" ist der italienischen Sprache entnommen. Wie fügt er sich in die englischsprachige Lyrik ein?

Der Begriff Contrapasso ist Dantes Göttlicher Komödie entlehnt, und bleibt im Englischen tatsächlich unübersetzt. Nun, genaugenommen gibt es das Prinzip des Contrapasso – die Vergeltung einer Schuld durch eine der Tat ähnliche oder entgegengesetzte Strafe – bereits im Mittelalter und bei Thomas von Aquin; doch da mein Gedichtband eine symbolische Reise durch Inferno und anschließend Purgatorio darstellt, schulde ich den Titel ganz klar Dante. Meine englischsprachigen Gedichte tragen auch allein deshalb bisweilen italienische und deutsche Titel oder beinhalten deutsche und italienische Passagen, weil mir diese beiden Sprachen und Kulturkreise natürlich sehr nahe sind und sich immer wieder in mein Englisch einschleichen.

In "Oltrarno" und "Annunciazione di San Bartolomeo a Monte Oliveto" machen sie einen literarischen Salto in die Toskana. Ist die Sehnsucht nach der Toskana größer als nach Südtirol?

Wahrscheinlich. Südtirol ist für mich seit jeher ein Zwischenland, und wie viele Exilsüdtiroler hege ich eine Zuneigung für Südtirol, aber gleichzeitig eine mindestens so starke Abneigung gegen den Ort meiner Herkunft. Bei mir ist die Abneigung womöglich etwas stärker ausgeprägt, weil mich die Enge der Täler mehr abschreckt, als mich die Schönheit der Berge anzieht. Ich habe mich immer schon dem Meer verwandter gefühlt und mir für meinen Drang, zu fliehen, die Rechtfertigung zurechtgebastelt – die man als Südtirolerin scheinbar braucht, wenn man nicht eine Mordsehrfurcht vor der „Heimat“ hat –, dass die Alpen schließlich früher Meer waren, es mich ergo deswegen in den Süden treiben musste. Südtirol ist für mich Durchreise, Abreise, nie wirkliches Ankommen, und ich kann all diesen Heimat-, Berg- und Sehnsuchtstopoi nichts abgewinnen.
 

Ich träume oft in reinen Bildern, und ich habe schon mindestens einmal in allen Sprachen geträumt und nachgedacht, die ich beherrsche – egal, wie rudimentär.


"Traumgesicht" nennt sich ein anderes Gedicht in eigentlich englischer Sprache. Wie ist der deutsche Titel zu erklären?
 
Traumgesicht, ein Begriff, der eine Vision bezeichnet, ist ein Verweis auf einen Alptraum Dürers, den er im Jahr 1525 hatte und anschließend in Form eines Aquarells samt Beschreibung festhielt. Aufbewahrt ist das beeindruckende Blatt mit eben dem Titel Traumgesicht heute im Kunsthistorischen Museum in Wien. Ausgehend von einem ganz ähnlichen Traum habe ich in diesem Gedicht wahre und – von ihm – imaginierte Ereignisse aus dem Leben Dürers zum Anlass genommen, um mir Gedanken über die Subjektivität von Wahrnehmung, über das, was wir als unumstößliche Realität begreifen, und über die Verlässlichkeit von Erinnerungen zu machen.

In welcher Sprache träumen Sie?

Das wechselt je nach Lebensphase, Traumbegleiter, Ort, an dem der Traum angesiedelt ist. Ich träume oft in reinen Bildern, und ich habe schon mindestens einmal in allen Sprachen geträumt und nachgedacht, die ich beherrsche – egal, wie rudimentär. Vor einigen Jahren war ich ein paar Wochen lang in Ungarn unterwegs, und obwohl ich neben „köszönöm“ für „danke“ und ein paar Grußformeln nichts anderes in dieser schier unerlernbaren Sprache sagen konnte, saß ich mich wohl eines Nachts im Schlaf im Bett auf und beschimpfte eine ungarische Freundin, die mit mir im Zimmer war, minutenlang in akzentfreiem Ungarisch. Ziemlich faszinierend, was das menschliche Unbewusstsein so alles speichert.
 


Einmal kommen Sie auch auf Rilke und eben mehrmals auf Dante zu sprechen. In welchem Zusammenhang sind die beiden mit Ihrer Lyrik zu sehen?

Dante stand, wie gesagt, mit einigen seiner Motiven Pate für diese Gedichtsammlung, auch wenn das natürlich sehr hochgegriffen ist und vermessen klingen mag – es ist nicht vermessen gemeint. Rilke kam eher zufällig daher, als ein Dichter, der mich und den Menschen, dem diese Sammlung gewidmet ist, verband. Übrigens in den oft sehr schönen, wenngleich vom Original bedeutend abweichenden Übersetzungen ins Englische von Stephen Mitchell und Robert Bly. Stilistisch bin ich sicher eher von moderneren Lyrikern geprägt als von Rilke, obwohl ich seine Sprache natürlich als Jugendliche betörend schön fand.
 

Wenn ich es mir recht überlege: Vielleicht liegt es ja an ihm, an Yeats, dass ich Lyrik heute vorwiegend auf Englisch schreibe.


Welche/r Dichter*in hat Sie am meisten geprägt?  

Wahnsinnig viele, vor allem auch weibliche Lyrikerinnen wie Sappho, Sylvia Plath, Anna Achmatova, Marina Zwetajewa, Ingeborg Bachmann – aber mein allererster Dichter, der, der mich die Poesie entdecken ließ, dessen gesammelte Gedichte meine Bibel wurden, ohne die ich das Haus nicht verließ, war William Butler Yeats. Ich habe ihn als Sechzehnjährige zunächst noch auf Italienisch gelesen, mir später dann seine „Collected Poems“ in der Europa-Buchhandlung in Bozen bestellt und mir darüber dann tatsächlich nach und nach Englisch angeeignet. Wenn ich es mir recht überlege: Vielleicht liegt es ja an ihm, an Yeats, dass ich Lyrik heute vorwiegend auf Englisch schreibe.