Economy | Energieabhängigkeit

Wenn Russland den Gashahn zudreht…?

Sollte sich der Russland-Ukraine Konflikt weiter verschärfen, könnte es zu Engpässen bei der Gasversorgung in Europa kommen.
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Foto: Pixabay

Eine der wichtigen Gas-Pipelines, über die russisches Gas in die EU-Länder geliefert wird, durchquert die Ukraine. Wenn sich die gegenwärtige Krise zwischen Russland und der Ukraine weiter verschärft, könnte es zu einer Unterbrechung der Gaslieferungen kommen, befürchten manche Experten und Politiker. Konflikte zwischen Russland und der Ukraine bezüglich der Gaslieferungen gab es im Jahr 2005. Als die Ukraine sich weigerte die neuen Gaspreis- und Transit-Bedingungen zu akzeptieren, stellte Russland 2006 die Gaslieferungen ein. Es kam auch zu vorübergehenden Gas-Lieferausfällen in diverse EU-Länder. In den nachfolgenden Jahren kam es wiederholt zu Konflikten und zu kurzfristigen Unterbrechungen der Gaslieferungen, das letzte Mal im Jahr 2009.  Im gegenwärtigen Russland-Ukraine Konflikt könnte Moskau beschließen die Drosselung oder den totalen Stopp der Gasexporte durch die Russland-Ukraine-Europa-Pipeline als politisches Druckmittel einzusetzen.

Seit Jahren strebt die EU eine größere strategische Unabhängigkeit bei den Gasimporten an mit dem Ziel eine Diversifizierung der Gas-Importländer und Gasimport-Routen zu erreichen und so eine Verbesserung der Versorgungs-Sicherheit zu gewährleisten. Auch die Konnektivität der Gasleitungen innerhalb der EU-Länder wurde stark ausgebaut. Während die EU-Länder im Jahre 2005 nur aus einigen wenigen Ländern Gas importierten,  stieg die Anzahl der Gasimportländer inzwischen auf über 20 an. Der Hauptgrund dafür ist die steigende Menge von importiertem Flüssiggas (LNG)* aus Katar, aus Nigeria aus den USA und aus diversen anderen Ländern.  Die USA begannen erst 2016 mit den Flüssiggasexporten, doch bereits seit Dezember 2021 sind sie noch vor Katar der weltweit größte Flüssiggasexporteur**.

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Wie abhängig sind die EU-Länder von russischem Gas?

Mit weit über 40% der Gasimporte ist Russland immer noch das wichtigste Gasimportland für die EU-Länder. Besonders Finnland, die baltischen Länder und die osteuropäischen EU-Länder sind sehr stark von russischem Gas abhängig. Aber auch Österreich bezieht an die 60% seiner Gasimporte aus Russland, in Deutschland macht der Anteil von russischem Gas mehr als 50% und in Italien mehr als 40% aus. Mengenmäßig importiert Deutschland am meisten Gas aus Russland, gefolgt von Italien, Österreich, Frankreich und den Niederlanden.

In den vergangenen Jahren hat die Anzahl Länder, aus denen die EU-Länder ihr Gas beziehen, zugenommen. Vor allem Flüssiggas (LNG) spielt eine immer größere Rolle. Es ist zwar in den meisten Fällen teurer als Pipeline-Gas, dafür bietet es mehr Flexibilität. Während die Preise für Pipeline-Gas in längerfristigen Verträgen festgelegt werden, wird Flüssiggas am freien Spotmarkt auf den sogenannten Gasbörsen verkauft und die Preisgestaltung wird im Wesentlichen von Angebot und Nachfrage bestimmt.

Im ersten Halbjahr 2021 machten die Gasimporte der EU-Länder aus Russland fast 47% aus. An zweiter Stelle rangiert Norwegen mit 20,5% vor Algerien (11,6%), den USA (6,3%) und Katar (4,3%).  Das meiste Gas aus Russland wird über Pipelines geliefert, doch inzwischen werden auch über 10% der gesamtem Gasimporte aus Russland als Flüssiggas exportiert. In Zukunft wird der Anteil an Flüssiggas weiter steigen, da einerseits Länder wie die USA, aber auch Katar und Australien ihre Flüssiggasexporte erhöhen werden und auch die traditionellen Pipeline-Gas-Exporteure, wie Algerien, Norwegen und Russland mehr Flüssiggas liefern werden.  Parallel dazu werden in der EU immer mehr Gas-Terminals für Flüssiggas errichtet. 

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Über welche Pipelines wird russisches Gas in die EU geliefert?

Die Gas-Pipeline durch die Ukraine (Ukraine Transit) wurde schon in den 1960iger Jahren zu Sowjetzeiten errichtet, die Liefermengen durch diese Pipeline nehmen ständig ab, auch weil an der in die Jahre gekommene Pipeline häufig Wartungsmaßnahmen vorgenommen werden müssen. Über die Jamal-Pipeline, die 1994 in Betrieb ging, wird Gas aus Russland über Belarus (Transit Belarus) nach Polen und weiter nach Deutschland und in die übrigen EU-Länder transportiert. 2011 wurde die Nordstream 1 Pipeline in Betrieb genommen, welche russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland liefert, von dort wird das Gas weiter in das europäische Gasnetz eingespeist. Die Nordstream 2 Pipeline*** verläuft parallel zur Nordstream 1 Pipeline und ist seit Dezember 2021 betriebsbereit, doch das Zertifizierungsverfahren der EU ist noch ausständig.

Im Jänner 2020 hat die russische Gazprom mit den Gaslieferungen  über die Gaspipeline TurkStream (Turkish Transit) begonnen, die Gas aus Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei und auch in das EU-Land Bulgarien liefert.

Laut Schätzungen von Statista wurden im 3. Quartal 2021 etwa 40% vom russischen Gas über die Nordstream 1-Pipeline nach Europa geliefert, 27% über die Ukraine Transit-Pipeline, 24% über die Belarus-Trans-Pipeline und 9% über die TurkStream-Pipeline.

Der mehrheitlich im Staatsbesitz befindliche Konzern Gazprom hat das Monopol für den Gaspipelineexport. Gazprom ist das weltweit größte Gasförderunternehmen und der weltweit größte Gasexporteur. Gazprom kontrolliert die Gaswirtschaft Russlands weitgehendst, neben Gazprom gibt es in Russland nur noch einige kleine Gasförderunternehmen.

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Optionen der EU, wenn Russland die Gaslieferungen aussetzen würde

Fakt ist, dass der Marktanteil von importiertem russischem Gas in die EU immer noch bei weit über 40% liegt. Doch es geht nicht nur um den Marktanteil, sondern auch um die Marktmacht. Vor 10 Jahren war Russlands Marktanteil ähnlich groß wie 2021, aber seine Marktmacht gegenüber Europa war größer. Die EU ist heute bei der Gasversorgung viel besser aufgestellt, als sie es noch vor zehn Jahren war. Viele neue Flüssiggasexporteure liefern Gas in die EU-Länder, und die notwendige Infrastruktur für Flüssiggas ist zu einem bedeutenden Teil bereits vorhanden und wird weiter ausgebaut.

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Im Falle eines teilweisen Ausfalls von russischen Gaslieferungen, könnte ein Teil durch Mehrlieferungen von anderen Gasexporteuren kompensiert werden, dabei kämen vor allem Flüssiggasexportländer wie Katar und die USA infrage. „Flüssiggas sei zwar auf dem Weltmarkt genügend vorhanden, doch gäbe es in Europas Häfen zu wenig Terminal-Kapazitäten und ein Totalausfall von russischem Gas könnte nicht zur Gänze kompensiert werden, so Andreas Goldthau von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Laut dem US-Nachrichtensender CNN gibt es bereits Gespräche mit Ländern und Unternehmen auf der ganzen Welt, die Flüssiggas produzieren, um die Kontinuität der Gas-Versorgung in Europa zu gewährleisten und eventuelle Preisschocks infolge einer Gasknappheit abzumildern, sollte es zu verminderten Gaslieferungen aus Russland kommen.

Die Gasreserven in der EU sind zwar heuer schon ziemlich aufgebraucht, könnten aber zumindest einige Wochen den Bedarf decken, so berichten Politiker einiger EU-Staaten.   

Selbst in den größten Krisenzeiten des Kalten Krieges hat sich die Sowjetunion an die Gas-Lieferverträge mit Europa gehalten. Es wäre für Moskau keine einfache Entscheidung, Gaslieferungen in die EU zu drosseln oder gar zu stoppen, da die durch die COVID-Pandemie geschwächte russische Wirtschaft dringend die Devisen aus dem Gasverkauf braucht.

*In der Vergangenheit wurde Gas hauptsächlich über Gas-Pipelines transportiert, doch schon seit dem Millennium nimmt der Handel mit Flüssiggas (LNG) weltweit stetig zu. Gas wird im Exportland in einer Gas-Verflüssigungsanlage auf -164 °C abgekühlt und unter atmosphärischem Druck verflüssigt, so dass das ursprüngliche Volumen des Erdgases auf ein Sechshundertstel reduziert wird. Flüssiggas (LNG) wird in speziellen LNG-Tankern transportiert. Im Importland wird das Gas in speziell dafür errichteten Terminals wieder in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt, bevor es in die Verteiler-Pipelines eingespeist wird. Zwischen 2000 und 2020 stieg der weltweite Flüssiggasexport von 140,5 Milliarden Kubikmeter auf 487,9 Milliarden Kubikmeter, das ist ein Anstieg von fast 250%.  2020 machte Flüssiggas bereits einen Anteil von 39% des gesamten weltweiten Gashandels aus. In Europa betrug der Anteil von Flüssiggas an den gesamten Gasimporten im Jahr 2020 26.%, für die kommenden Jahre wird mit einem steigenden Anteil gerechnet.

**Als Folge der „Schiefergasrevolution“ stieg die Gasproduktion in den USA stark an und das Land entwickelte sich in wenigen Jahren zu einem der wichtigsten Player im globalen Gasmarkt. Die USA versuchten auch auf dem europäischen Markt seine Gasexporte zu steigern und sind somit ein Konkurrent Russlands.

*** Die Nordstream 2 Gaspipeline ist in den EU-Ländern umstritten. Manche EU-Länder, wie Polen und andere osteuropäische Staaten fürchten eine noch stärkere Abhängigkeit von russischem Gas, sowie eine Schwächung alternativer Pipelines und traditioneller Transitländer. Befürworter der Pipeline, allen voran Deutschland und auch Österreich argumentieren, dass die neue Pipeline die Energie-Versorgungssicherheit in Europa erhöhe und zudem für günstigere Gaspreise sorge, im Vergleich zum teureren LNG (Flüssiggas) aus den USA und aus anderen Flüssiggas-Exportländern. Die USA war aus geopolitischen, aber vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gegen den Bau der Nordstream 2 Pipeline, erst unter Präsident Biden wurde die Sanktionspolitik der USA gegen die Nordstream 2 Pipeline aufgehoben. Noch bis vor Kurzem wollten die Befürworter der Nordstream 2, wie Deutschland und Österreich eine Blockade der Pipeline aus möglichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland heraushalten, doch jetzt scheint es auch für Berlin und Wien kein Tabu mehr zu sein die Inbetriebnahme der Nordstream 2 zu blockieren.

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Peter Gasser Mon, 01/31/2022 - 10:34

Wichtig finde ich den letzten Satz.
Denn wir könnten uns auch “warm anziehen” und das aussitzen, bis Russland das Geld ausgeht. Wer sich einmal erpressen läßt, bleibt für immer erpressbar.
Und Putin wird wissen, dass verlorene Marktanteile, welche kompensiert werden, durch den einhergehenden Vertrauensverlust nicht mehr “zurückerobert” werden können.
Europa könnte in Zukunft auch Nordstream-1 stilllegen, nur Mal so als Verhandlungsargument...

Mon, 01/31/2022 - 10:34 Permalink