Culture | Alpilink

Audio-Landkarte der Südtiroler Dialekte

Im Projekt AlpiLinK arbeiten unibz und vier weitere italienische Universitäten an der Dokumentation von 18 Sprachvarietäten. Wer Dialekt spricht, kann sich beteiligen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Von links nach rechts: Gianmario Raimondi, Università della Val D’Aosta, Patrizia Cordin, Università di Trento, Stefan Rabanus, Università di Verona, Birgit Alber, Freie Universität Bozen, Livio Gaeta, Università di Torino.
Foto: unibz
  • Eine interaktive Karte mit Tausenden von Audiodateien, die von Bürger:innen in 18 Dialekten und Minderheitensprachen aufgenommen werden: so entsteht derzeit die größte digitale Datenbank, die jemals für die Erforschung, Dokumentation und das Studium von Dialekten und Sprachvarietäten mit Minderheitenstatus in den Regionen Norditaliens geschaffen wurde. Dieses Vorzeigeprojekt ist eines der wichtigsten Ergebnisse des Projekts AlpiLinK – Alpine Sprachen im Kontakt, das von den Universitäten Verona, Trient, Bozen, Turin und Aostatal entwickelt und vom Ministerium für Universität und Forschung als Forschungsprojekt von nationalem Interesse finanziert wird.

     Das Projekt, das bis 2025 läuft, soll einen wichtigen Beitrag zum Wissen über Dialekte leisten. Gleichzeitig bietet es die Möglichkeit, ein neues Modell der partizipativen Forschung zu erproben, das sowohl die Bevölkerung in den beteiligten Regionen, aber auch Schulen und lokale Behörden auf Basis des Crowdsourcing-Prinzips miteinbezieht. Alle Menschen, die einen Dialekt sprechen, können über die AlpiLinK-Website - alpilink.it - direkt zur Forschung beitragen, indem sie in wenigen Minuten einen speziellen Audio-Fragebogen ausfüllen. Darin geht es darum, im eigenen Dialekt eine vorgegebene Szene zu beschreiben und bestimmte Sätze oder Wörter zu übersetzen. An dieser Art Kartierung sind auch Schulen beteiligt, mit speziellen Fortbildungen für Lehrkräfte und Treffen in Oberschulen. Dabei werden die Schüler:innen darauf vorbereitet, vor allem ältere Menschen in ihrer Umgebung bei der Aufnahme von Audiodateien zu begleiten. Bisher haben 23 Schulen mit insgesamt 559 Schüler:innen und 79 Lehrkräften teilgenommen.

    Die Tiroler Dialekte und die ladinischen Varietäten; Lombardisch, Piemontesisch, Frankoprovenzalisch, Okzitanisch und Walserdeutsch; die Dialekte des Trentino und die germanischen Sprachinseln des Fersentalerischen und Zimbrischen im Trentino; die Dialekte des Veneto und die Sprachinseln des  Plodarischen, Tischelwangerischen und Sauranischen, Deutsch und Slowenisch aus dem Kanaltal und Resianisch: All diese  germanischen, romanischen und slawischen Sprachvarietäten werden in die Untersuchung einbezogen. Die ersten gesammelten Audiodateien sind bereits über die AlpiLinK-Website - alpilink.it - für jedermann zugänglich und werden in die interaktive geographische Karte des VinKo-Projekts integriert. Diese ist  online verfügbar und dokumentiert die Entwicklung, den Fortschritt und die Fortsetzung von AlpiLinK. Wer auf der Karte einen Ort auswählt, findet dann Audios mit den dort gesprochenen Dialekten.

    Bis zum 31. Dezember 2023 haben die beiden Projekte dank der Beiträge von 1.731 Personen aus dem Aostatal, Piemont, der Lombardei, Venetien, Trentino-Südtirol und Friaul-Julisch Venetien 201.000 Aufnahmen gesammelt. In Südtirol beteiligten sich 331 Personen, darunter fünf Schulen mit insgesamt 170 Schüler:innen, mit mehr als 24.000 Beiträgen, hauptsächlich auf Tirolerisch aber auch in den beiden ladinischen Varietäten Grödnerisch und Gadertalerisch.

    Entstanden ist eine stimmungsvolle Collage aus Klängen und Stimmen von Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten. Sie reicht von den am weitesten verbreiteten Dialekten, wie dem Venetischen, bis hin zu Minderheitensprachen, die nur noch von wenigen Menschen gesprochen werden, wie die Varietät der Zahre, die von 200 der derzeit rund 400 Einwohner der Gemeinde Sauris in der Provinz Udine gesprochen wird, oder das Fersentalerische, die Sprache einer germanischen Sprachinsel, die nur noch in den drei Trentiner Gemeinden Palai en Bersntol, Vlarotz und Garait verbreitet ist.  Ein beeindruckendes Korpus von Tondokumenten, das nicht nur zur Erforschung der Dialekte beiträgt, sondern den Forschenden auch wertvolle Informationen über die Entwicklung der gesprochenen Sprachen liefert. 

    An dem Projekt, das von Stefan Rabanus, Professor für Deutsche Linguistik an der Universität Verona, koordiniert wird, sind 26 Forschende der fünf Universitäten beteiligt. Neben der Sammlung von Daten und der Durchführung von Studien sensibilisiert das Forschungsteam auch in Seminaren, Workshops und öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Mehrsprachigkeit.

    „Die Möglichkeit, Sprachen durch den Vergleich von Audiodateien statt auf Basis von Transkriptionen zu untersuchen, eröffnet wichtige Perspektiven und hat uns bereits bedeutende Forschungsfortschritte ermöglicht“, erklärt Prof. Rabanus, der sich seit fast zwanzig Jahren mit Mehrsprachigkeit und den Minderheitensprachen in Norditalien beschäftigt. „Dieses Projekt ermöglicht es uns auch, Dialekte und lokale Sprachvarietäten als Teil unseres kulturellen Erbes aufzuwerten, indem wertvolle mündliche Quellen, die sonst verloren zu gehen drohen, gesammelt, bewahrt und für alle zugänglich gemacht werden". 

     Ein konkretes Beispiel

    Die große Menge an gesammeltem Material wird auch für Bildungs- und Informationszwecke aufbereitet und genutzt, um das Bewusstsein für Sprachvarietäten zu schärfen. Ein anschauliches Beispiel ist eine  kuriose und witzige "Landkarte", die Professor Rabanus erstellt hat, um die verschiedenen Ausdrucksweisen des Begriffs "Mädchen" in den Dialekten Venetiens und Trentino-Südtirols zu veranschaulichen.

    Sie reichen von der klassischen und weit verbreiteten tosa, die vor allem in den Dialekten rund um Padua, Treviso und Vicenza verwendet wird, über die Veroneser putela, die im venezianischen Gebiet am häufigsten verwendete fiola, die vereinzelt auch ragasa oder ragaseta genannt wird; die mula, die in einigen Gebieten Bellunos typisch ist, bis zur ladinischen pizzola. Interessant ist auch die Analyse von Diminutiven wie tosata, toseta, tosatela, tosatiela für tosa, die in allen geographischen Gebieten verbreitet sind, und die Variante buteleta, die in der Gegend von Verona vorkommt.

    In den deutschen Dialekten Südtirols ist madl mit seiner Variante madele am weitesten verbreitet; auch gitsche ist vor allem in Bozen und in den östlichsten Gebieten der Provinz recht häufig. In den deutschen Sprachinseln des Trentino findet man hingegen den aus dem Mittelhochdeutschen stammenden Begriff diern

    Alle Interessierten sind eingeladen, über die Website alpilink.it am Projekt teilzunehmen.

    Im Bild: von links nach rechts, Gianmario Raimondi, Università della Val D’Aosta, Patrizia Cordin, Università di Trento, Stefan Rabanus, Università di Verona, Birgit Alber, Freie Universität Bozen, Livio Gaeta, Università di Torino.