Revolutionäre Worte – junge Stimmen
I’m drawn to the hidden stories of people that aren’t represented in history; to the issues that get swept under the carpet and camouflaged in the landscape
(Mrova Ivette Zub)
Die Blende öffnet sich: Ein strahlendblauer Himmel mit Schäfchenwolken, darunter der sagenumwobene Rosengarten, seit jeher Symbol der Wehrhaftigkeit der Tiroler. Davor Schloss Sigmundskron und das hügelige Landschaftspanorama in sattem Grün. Auf steiler Felswand weht eine Tiroler Fahne und die Kamera schwenkt über eine paar Apfelbäume und Reben. Abrupt vergrößert sich der Bildausschnitt. Im Sucher ein Haufen Steine, eine Mauer mit rechteckiger Öffnung. So beginnt das Video der Installation „learning solidarity and resistance, (Solidarität und Widerstand lernen) der Künstlerin Mrova Ivette Zub.
Das zerfallene Bauwerk im Hintergrund ist ein Bunker des sogenannten Alpenwalls, der in den Jahren 1938 bis 1942 als befestigter Schutzwall gegen das Deutsche Reich gebaut wurde. An die 350 Bunker - gegen den damals wichtigsten Verbündeten Italiens allein in Südtirol. Die erweiterte Landschaft selbst wurde Teil der Verteidigungsmaschinerie.
Viele dieser Bauten existieren heute noch, werden aber kaum wahrgenommen, da sie hervorragend ins Gelände eingepasst sind. (Siehe: Bunkerologie)
So auch der Bunker auf einer Anhöhe in St. Pauls. Hier positioniert sich der Jungendchor des Dorfes unter der Leitung von Hansjörg Menghin und stimmt das Lied Bella Ciao an, über dessen Ursprünge und Entwicklung Salto in Teil 1 berichtete. Das Arbeiterkampflied, dass später zur internationalen antifaschistischen Hymne wurde, hatte die Künstlerin zuvor mit dem Chor eingeübt und die Proben mit der Kamera begleitet. Als der Chorleiter den Jugendlichen das Lied zum ersten Mal vorstellte wurden auch Bedenken laut: Sollte der Chor von St. Pauls ein italienischsprachiges Lied vor einem Kriegsrelikt singen? Was würde man im Dorf darüber denken? Erst als erklärt wurde, dass auch die italienischen Partisan_innen gegen den Faschismus kämpften, waren alle - mehr oder weniger - mit dem Titel einverstanden. Im Unterschied zu anderen (nord-)italienischen Provinzen gab es in Südtirol keine nennenswerte linke oder anarchistische Widerstandsbewegung gegen den Faschismus und den Nationalsozialismus. Es ist gut möglich das Bella Ciao noch nie rundum diese Bunker gesungen wurde. Skeptizisums und Vorurteile gegenüber der jeweils anderen Sprachgruppe hingegen hallen bis heute, sogar in den Köpfen von Südtirols Jugend nach. Der lange Schatten der Geschichte. Ein knappes halbes Jahr später sorgte das Lied Bella Ciao für Schlagzeilen. In Bozen kommt es zu einem gewalttätigen Übergriff. Vor dem Sitz der neofaschistischen Bewegung Casa Pound wird ein 17-Jähriger brutal zusammengeschlagen - weil er Bella Ciao gesungen hatte.
In der Videoinstallation singt der Jugendchor St. Pauls noch eine weiteres deutschsprachiges Lied - Bertold Brechts Solidaritätslied – und trägt dieses vor der faschistischen Fassade des Bahnhofs in Bozen vor. Ein revolutionärer Apell zu mehr Solidarität, gegen soziale und politische Ausgrenzung der Ankommenden – heute!