Society | Interview mit Abdel El Abchi

"Im Ramadan nehm' ich zu"

Der Ramadan, der muslimische Fastenmonat, hat am Wochenende begonnen. Für Abdelouahed El Abchi ist es eine Zeit der (wortwörtlichen) Umkehrung, mit Essen in der Nacht, Zunehmen statt Abnehmen und der Begegnung mit sich selbst.

Herr El Abchi, wann haben Sie heute gefrühstückt?

Abdelouahed El Abchi: Mein Frühstück hab ich eigentlich bereits gestern abend um 21 Uhr zu mir genommen, im Ramadan berechnen wir die Mahlzeiten umgekehrt, da wird bei Sonnenuntergang gefrühstückt, gegen Mitternacht die Hauptmahlzeit eingenommen und bei Sonnenaufgang das Abendbrot verzehrt. Um 2 Uhr hab' ich das letzte Mal gegessen für heute und ab 21 Uhr 12, wenn heute am Montag die Sonne wieder untergeht, werde ich mit einer Dattel und anderen nicht gekochten Speisen den Fastentag brechen.

Ist es im Sommer, wenn die Tage so lang und heiß sind, besonders schwierig auf Trinken und Essen zu verzichten?

Das kommt auf die Einstellung an; mir passt der Ramadan-Essrhythmus im Sommer recht gut, so komme ich wenigstens auch zu etwas Schlaf, denn im Winter wenn die Sonne um 5 oder 6 Uhr aufgeht, muss ich extra aufstehen, um etwas zu essen, und jetzt gehe ich nach der letzten Mahlzeit um 2 Uhr zu Bett. Natürlich achte ich untertags darauf, nicht extra zu schwitzen oder mich anzustrengen. Obwohl ich gestern vormittag Fußball gespielt hab', aber auch da hab' ich drauf geschaut, mich nicht total zu verausgaben. Es ist so, wenn du mit 2 Euro über den Tag kommen musst, dann geht das schon, und so musst du auch mit deinen Körperkräften im Ramadan haushalten.

Was erleichtert den guten Umgang mit den Körperkräften im Ramadan?

Ich denke zum Beispiel so wenig wie möglich ans Essen oder Trinken; das verschiebe ich auf den Abend. Der Ramadan ist für mich eine Zeit der Körperreinigung, da hat das Körperliche kaum Platz, ich denke viel nach und halte innerliche Einkehr. Obwohl ich alle jene Dinge tue, die ich sonst auch mache. Ich gehe zur Arbeit, ich kaufe ein, ich spiele Fußball, der Ramadan verbietet in dieser Zeit nichts, nur das Essen und Trinken von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Verzichtet werden sollte im Ramadan aber auch auf alle sonstigen Genüsse, wie Sex, Rauchen, Alkohol, es ist insgesamt eine Zeit der Enthaltsamkeit.

Wieviele Muslime halten in Südtirol den Ramadan ein?

Ich denke, dass alle Muslime mehr oder weniger den Ramadan einhalten, es leben an die 15.000 Muslime hier im Land. Der Beginn des Ramadan kann jedoch für die Einen oder Anderen unterschiedlich sein, je nachdem aus welchen Ländern sie stammen. Die Golfstaaten bzw. Saudi Arabien beginnen den Ramadan einen Tag früher, weil sie "die neue Mondsichel" als erste sehen, die nordafrikanischen und europäischen Länder hingegen sichten diesen Mond später. Das islamische Jahr ist ein Mondjahr und damit um etwa 11 Tage kürzer als das Sonnenjahr; deshalb verschiebt sich auch der Ramadan um diese Anzahl von Tagen und kann in allen Jahreszeiten liegen.

In welcher Jahreszeit ist Ihnen der Ramadan am liebsten?

Für mich ist das Frühjahr oder der Winter gut, denn natürlich ist es angenehmer, wenn ich den sommerlichen Urlaub auch richtig genießen kann, das geht zur Zeit eben nicht.

Fastet auch die jüngere Generation von Muslimen hier in Südtirol?

Ich arbeite mit Jugendlichen und kenne daher die Angelegenheiten auch der zweiten Generation von Einwanderern in Südtirol. Viele sagen mir, dass sie etwas später mit dem Ramadan beginnen möchten, normalerweise ist es üblich, mit 14 oder 15 Jahren den Fastenmonat mitzumachen, aber die Jugendlichen wollen erst mit 17 anfangen. Es gehört jedoch auf alle Fälle zur familiären Tradition, den Ramadan einzuhalten, kein Jugendlicher würde sich dagegen wehren oder in der Öffentlichkeit während des Ramadan essen. Diese Loyalität ist schon da.

Gibt es spezielle Speisen und Getränke im Ramadan?

Ja, natürlich, es gibt die klassische Suppe oder wie gesagt, die Datteln bzw. das nichtgekochte Essen zum täglichen Fastenbrechen; ansonsten hat jede Familie die speziellen Rezepte und Speisen, je nach Region verschieden mit oder ohne Fleisch, mehr oder weniger reichhaltig. Ich trinke viel Tee besonders bei der letzten nächtlichen Mahlzeit, damit der Durst nicht gar zu schnell kommt. Komischerweise nehme ich im Ramadan immer zu, so an die 4 bis 5 Kilo. Das ist mir ein Rätsel, aber wahrscheinlich achte ich wirklich nicht so sehr auf meinen Körper wie sonst unterm Jahr!  Wichtig sind auch besondere Tag im Ramadanmonat selbst: zur Hälfte hin, am 15. Tag gibt es einen Feiertag und auch der 26. Tag wird hochgehalten, da wurde der Koran niedergeschrieben. Am Ende des Ramadan gibt es das Zuckerfest, das Fest des Fastenbrechens. Das ist heuer am 28. Juli und da feiern und essen und trinken wir dann gemeinsam.

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Mensch Ärgerdi… Mon, 06/30/2014 - 13:18

Schön das auch andere Kulturen weit Weg von der Heimat ihre eigene Tradition, Kultur und Tradition am leben erhalten. Mal sehen ob es hier auch negative Bewertungen und Kommentare über die ganzen Gefahren gibt die "in der Grundsubstanz" des Ramadans enthalten sind, gibt.

Mon, 06/30/2014 - 13:18 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Mon, 06/30/2014 - 18:51

Interessant, wie verschieden man Fasten verstehen kann. Wie ich bei Wiki lese, leitet sich das muslimische Fasten vom jüdischen und christlichen ab. Es hat sich aber sehr unterschiedlich entwickelt. In unserer religiösen Tradition heißt Fasten in etwa Askese und Reinigung. Heut zu Tage wird Fasten meistens auch mit Entschlacken und Abnehmen verbunden. Also wäre eine Gewichtszunahme nicht denkbar. Dass im Ramadan bei Tag gefastet und bei Nacht gefeiert wird, war mir bekannt. Dass aber das Ganze umgedreht wird und während der Nacht gleich drei Mahlzeiten zu sich genommen werden, ist mir neu. Rein physiologisch kann dadurch eine Körperreinigung wohl nicht stattfinden. Ob das geistige Innehalten so funktionieren kann, kann ich nicht abschätzen. Ich bin aber skeptisch. So wie ich den Beitrag über den Ramadan im Wiki verstehe, ist das Fasten also eine Glaubenssache und hat weniger als in unserer christlichen Tradition auch einen rationalen und gesundheitlichen Aspekt.
Ein kollektives Fasten aller Gläubigen kennen wir schon lange nicht mehr. Zum Glück aber auch kein gesetzlich überwachtes, wie in mehreren muslimischen Ländern.

Mon, 06/30/2014 - 18:51 Permalink