Economy | Glücksforschung

Das Streben nach Glück

Ist jeder seines Glückes Schmied oder macht ein fairer Sozialstaat die Menschen glücklich? Sollte „Glück" gar an Südtirols Schulen unterrichtet werden? Antworten auf diese Fragen, glaubt der Volkswirt Karlheinz Ruckriegel parat zu haben.
Karlheinz Ruckriegel Vortrag
Foto: Karlheinz Ruckriegel
  • Karlheinz Ruckriegel ist Volkswirt und war von 1995 bis 2023 Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg. Seit 2005 beschäftigt er sich intensiv mit interdisziplinärer Glücksforschung – einem Forschungsbereich, der laut Ruckriegel ein zentraler Teil der Volkswirtschaftslehre ist. Warum? Weil die Volkswirtschaftslehre die grundlegende Frage stelle, wie mit knappen Ressourcen umzugehen sei, um möglichst sinnvolle Ziele zu erreichen. Die knappste Ressource, die uns zur Verfügung steht, ist - laut Ruckriegel - unsere Zeit. Deshalb geht es letztlich darum, wie wir unsere Lebenszeit so nutzen, dass daraus ein gelingendes, zufriedenes und glückliches Leben entsteht.

  • Karlheinz Ruckriegel: Der Glücksforscher erklärt, dass Strukturbedingungen und persönlichen Entscheidungen ein glückliches Leben bedingen. Foto: Karlheinz Ruckriegel
  • „Wie verwende ich meine Zeit so, dass am Ende des Tages ein glückliches Leben dabei rauskommt?“, lautet also die grundlegende Frage. Bereits Aristoteles hat sie gestellt und zum höchsten menschliches Streben erhoben. Karlheinz Ruckriegel verweist darauf, dass auch viele Ökonomen unserer Zeit diese Maxime übernehmen: „Der UN-World-Happiness-Report, der seit 2012 erscheint, sowie die OECD mit ihrem Better Life Index beschäftigen sich mit der Frage, wie Politik gestaltet werden kann, um das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen zu verbessern.“

  • Starker Sozialstaat, wenig Ungleichheit = Glück

    Wieder einmal liegen die skandinavischen Länder im internationalen Ranking der Lebenszufriedenheit seit Jahren an der Spitze. Die Gründe sind laut Ruckriegel vielfältig: ein starker Sozialstaat mit guter öffentlicher Daseinsvorsorge, geringe Ungleichheiten in Bildung, Gesundheit, Einkommen und Geschlechterverhältnissen, ein hohes Vertrauen in staatliche Institutionen und Mitmenschen sowie ein ausgeprägtes Gefühl persönlicher Freiheit. All diese Faktoren würden dazu beitragen, dass Menschen dort glücklicher lebten.

  • Glück, eine strukturelle oder individuelle Frage?

    Die Glücksforschung unterscheidet grundsätzlich zwischen Zufallsglück – etwa einem Lottogewinn – und dem sogenannten Wohlfühlglück, also dem subjektiven Wohlbefinden. Letzteres setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: dem emotionalen Wohlbefinden und dem kognitiven Wohlbefinden.  Das emotionale Wohlbefinden entspringt aus dem Verhältnis von positiven und negativen Gefühlen im Alltag. Das kognitiven Wohlbefinden ist Lebenszufriedenheit, die sich am Verhältnis zwischen Erwartungen und der Realität ablesen lässt.

    Studien zeigen, dass etwa 40 Prozent unseres Glücksniveaus durch eigenes Verhalten und Einstellungen beeinflusst werden können. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang vom PERMA-Modell, das fünf Säulen des Wohlbefindens benennt: Positive Emotionen, Engagement, gelingende Beziehungen (Relations), Sinn (Meaning) und Zielerreichung (Accomplishment). 

    Wichtige Faktoren, die ein Mensch zur Glückserfüllung in seinen Alltag integrieren kann, seien demnach: Dankbarkeit, Optimismus, Engagement, gesunde soziale Beziehungen, eine sinnvolle Tätigkeit und ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit. Werden diese Aspekte beispielsweise von einem Unternehmen gefördert, steige die intrinsische Motivation, das Arbeitsengagement und die Loyalität des Personals, so Ruckriegel.

     

    „Die bloße Vermittlung von Fachwissen reicht nicht aus – es geht darum, Kinder zu stärken und ihnen Werkzeuge für ein gelingendes Leben mitzugeben.“ 

     

    Im Bildungsbereich scheint Glück ein immer wichtigeres Thema zu werden, so Ruckriegel. In Nürnberg wurde an einer Berufsschule das Schulfach Glück eingeführt. Ruckriegel kennt den Initiator, Ernst Fritz-Schubert aus Heidelberg, persönlich. Ziel des Faches ist es, soziale und emotionale Kompetenzen zu stärken. Das komme nicht nur dem Wohlbefinden der Schüler zugute, sondern verbessere auch ihre Lernbereitschaft und schulische Leistung, so Ruckriegel. 

    Dabei ist er überzeugt: „Die bloße Vermittlung von Fachwissen reicht nicht aus – es geht darum, Kinder zu stärken und ihnen Werkzeuge für ein gelingendes Leben mitzugeben.“ In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das Fach bereits an vielen Schulen präsent. Auch für Südtirol sieht der Glücksforscher großes Potenzial, ähnliche Ansätze einzuführen.

  • Karlheinz Ruckriegel (1957) ist Volkswirt und war von 1995 bis 2023 Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg. Seit 2005 widmet er sich der interdisziplinären Glücksforschung, die er als zentrales Feld der Volkswirtschaft versteht. Neben seinen Lehrtätigkeiten veröffentlichte Ruckriegel zahlreiche Fachbeiträge zur Verbindung von Lebenszufriedenheit, wirtschaftlichem Denken und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Gemeinsam mit Günter Niklewski und Andreas Haupt publizierte er 2014 das Buch „Gesundes Führen mit Erkenntnissen der Glücksforschung“, das sich an Unternehmen richtet und Wege zu einer menschenorientierten Arbeitskultur aufzeigt. Laut Profilseiten der TH Nürnberg hält Ruckriegel regelmäßig Vorträge für Unternehmen, Verbände und Hochschulen zu Themen der Glücksforschung, Behavioral Economics sowie Positive Leadership.

  • Hält die Glücksforschung der Kritik stand?

    Der Kritik an der Glücksforschung, etwa aus der Soziologie, dass sie dazu diene, strukturelle oder gesellschaftliche Probleme auf das Individuum zu übertragen und neoliberale Systeme zu stabilisieren, hält Ruckriegel entgegen: „Die Glücksforschung dient nicht dazu, strukturelle Missstände zu verschleiern, sondern sie will Menschen befähigen, mit ihrer Situation besser umzugehen. Natürlich braucht es gute Rahmenbedingungen. Aber gleichzeitig kann der Einzelne auch selbst etwas zu seinem Wohlbefinden beitragen.“  Jeder ist seines Glückes Schmied - sozusagen.

    Dabei liefere die Forschung wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, um das Leben Einzelner, aber auch das gesellschaftliche Zusammenleben positiv zu beeinflussen. Etwa, dass regelmäßige positive Erfahrungen zu mehr Lebensfreude, besserer Gesundheit und höherer Lebenserwartung führen.

     

    „Individuen werden zum positiven Denken angeleitet, aber Unternehmen auch dazu, würdevolle Arbeitsumfelder für Angestellte zu schaffen. Es handelt sich also um eine Win-Win-Situation." 

     

    Die Kritik, Unternehmen instrumentalisierten die Erkenntnisse der positiven Psychologie, sei, so Ruckriegel, zu oberflächlich. Ruckriegels Argument: „Individuen werden zum positiven Denken angeleitet, aber Unternehmen auch dazu, würdevolle Arbeitsumfelder für Angestellte zu schaffen. Es handelt sich also um eine Win-Win-Situation." Für alle Beteiligten sei es besser, wenn Menschen motiviert und freiwillig mitarbeiteten, als dass sie sich frustriert durch den Tag schleppten.

  • Glück: Besonders Ziele, die auf persönliches Wachstum, soziale Beziehungen oder einen sinnvollen Beitrag abzielen, erhöhen das Wohlbefinden, so Karlheinz Ruckriegel. Foto: Helena Lopes/unsplash
  • Checkliste für ein glückliches Leben

    Ein wichtiger Aspekt, der sich auf das Glücksempfinden auswirkt, ist der Konsum von Medien. Ruckriegel warnt vor einem Übermaß an Nachrichtenkonsum: „Unser Gehirn ist evolutionär darauf programmiert, negative Reize stärker zu beachten. Wer sich permanent schlechten Nachrichten aussetzt, nimmt die Welt dementsprechend verzerrt negativ wahr.“ Sein Tipp: maximal einmal täglich Nachrichten lesen oder schauen – das reiche, um informiert zu sein. 

    Parallel empfiehlt er das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs: Zwei- bis dreimal pro Woche sollte man sich bewusst machen, wofür man dankbar ist. Das verändere zwar nicht die Welt – aber die Wahrnehmung der Welt. Studien zeigen, dass sich die Lebenszufriedenheit dadurch deutlich steigern lässt.

     

    „Natur und Gemeinschaft sind grundlegend. Südtirol bietet dafür ideale Voraussetzungen“ 

     

    Auch das Setzen sinnvoller Ziele spielt eine Rolle: Besonders Ziele, die auf persönliches Wachstum, soziale Beziehungen oder einen sinnvollen Beitrag abzielen, erhöhen das Wohlbefinden. Auch wer lerne, sein Gefühlsprogramm bewusster zu steuern – etwa sich im Stau nicht unnötig aufzuregen – und sich auf das Wesentliche fokussiere, stärke nicht nur seine Resilienz, sondern auch seine Gesundheit. Untersuchungen zeigten: Menschen mit höherem subjektivem Wohlbefinden leben im Schnitt fünf bis zehn Jahre länger.

    In Südtirol findet Glück einen reichhaltigen Nährboden: „Natur und Gemeinschaft sind grundlegend. Südtirol bietet dafür ideale Voraussetzungen: eine beeindruckende Landschaft, überschaubare Städte, ein gutes Maß an sozialem Miteinander. Das sind perfekte Bedingungen, um das eigene Wohlbefinden aktiv zu fördern.“ 

  • Veranstaltungshinweis

    Glücksforscher Karlheinz Ruckriegel spricht heute und morgen Abend im Raiffeisen InvestmentClub in Tramin und Meran.