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Der ‘Homo Oeconomicus‘ in der Klimafalle

Werden dem Menschen die eigenen Verhaltensmuster zum Verhängnis oder gelingt es ihm noch rechtzeitig, seine Entscheidungskriterien neu zu sortieren?
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Foto: Free on Pixabay

Externe Effekte nennen sich in der Volkswirtschaftslehre negative Auswirkungen auf Außenstehende (Dritte, die Allgemeinheit, die Umwelt), die Private durch ihr Handeln verursachen, ohne für die entstandenen Kosten aufkommen zu müssen. Betriebswirtschaftlich handelnde Unternehmen und Private Haushalte erhalten dadurch falsche Anreize, denn meist sind Produktion und Konsum, die für Dritte Schäden verursachen, billiger und damit attraktiver. Nun haben verhaltensökonomische Studien die Theorie des stets wirtschaftlich rational handelnden Menschen, des sog. „homo oeconomicus“, letzthin relativiert, da Menschen häufiger irrational handeln als ursprünglich angenommen. Oft beeinflussten Trends, Moden und Gruppenzwänge, aber auch Ideale und Altruismus wirtschaftliche Entscheidungen mehr als nüchterne Nutzen-Kosten-Analysen. Da Trends, Moden und Statussymbole großteils ein konsumistisches Verhalten voraussetzen (stets die neuesten Handys und Spielkonsolen, Fernreisen, Geländewagen, modische Kleidung mit kurzer Lebensdauer, etc.) laufen ihre Wirkungen letzten Endes überwiegend in dieselbe Richtung wie jene der rationalen Entscheidungen: Eigene Kosten zu Lasten Außenstehender Sub- oder Objekte (Umwelt) verringern, um den eigenen Nutzen bzw. Profit zu maximieren.
Möglichkeiten für diese Optimierung begegnen den Wirtschaftssubjekten allenthalben und beispielhaft ganz banal in Form von Outlet-Centern auf der grünen Wiese, üblicherweise an Autobahnausfahrten gelegen, die aktuelle Top-Marken-Ware zu niedrigsten Preisen anbieten. Erreichbar nur per Privatfahrzeug, macht die Ersparnis bei größerem Einkauf die Fahrtkosten vernachlässigbar, weil diese nicht die durch den Straßenverkehr hervorgerufenen Schäden für die Gesundheit der Bevölkerung durch Luftverschmutzung und die Kosten der Verschmutzung der Landschaft durch Mikroplastik des Reifenabriebs und vor allem der Erderwärmung beinhalten.
Die mittlerweile als selbstverständlich angesehene Tatsache, dass Fliegen günstiger ist als Bahnfahren, setzt für die Massen von Verbrauchern dieselben verzerrenden Entscheidungsanreize wie Steuerbefreiungen (auf Tickets und Kerosin) und Subventionen (regionaler Flughäfen als strukturelle Voraussetzungen für den privaten Betrieb) für die Investitionsentscheidungen der Fluggesellschaften.

Von der technisch-wissenschaftlichen Seite aus, hätte die Menschheit wahrscheinlich das Wissen und die nötigen Instrumente in der Hand, um die schlimmsten Szenarien des Klimawandels (Così nel 2050 la civiltà umana collasserà per il climate change) abzuwenden, es sind die verhaltensökonomisch und psychologischen Aspekte, die an der sonst so formidablen Problemlösungskompetenz des Menschen zweifeln lassen. Der Mensch hat in großen Gefahrenlagen stets unglaubliche Kreativität und Lösungsstrategien an den Tag gelegt und mit bis dahin undenkbaren, weil un-gedachten, Methoden neue Wege gefunden, um aus ihnen gestärkt herauszufinden. Es scheint jedoch, dass der Mensch auf eine Gefahr erst dann mit wirksamen Handlungen reagiert, wenn sie spürbar wird. Man möchte meinen, dieses Verhalten stehe im Widerspruch zum rational handelnden Wirtschaftssubjekt, das Kosten und Nutzen abwägt, um dann eine, ökonomisch messbare, vernünftige Entscheidung zu treffen. Dass Kosten und physische Gefahren des Nicht-Handelns in der Klimakrise mit jedem Jahr steigen, ist mittlerweile – mit Ausnahme einiger Unbelehrbarer – allgemein anerkannt (hier einige Links zu Artikeln einer ideologisch unverdächtigen Quelle: Climate change, a rischio mille miliardi di dollari per le Blue Chips, Più caldo, meno Pil: il climate change pesa su economia e quotazioni). Dass der Mensch angesichts der wissenschaftlichen Evidenz weder in Person ihrer Entscheidungsträger noch als Masse der Individuen wirkungsvoll zu handeln vermag, liegt nicht daran, dass er vor der Gefahr erlahmt wie das Kaninchen vor der Schlange oder plötzlich ausschließlich irrational denkt. Die Tücke liegt im Zeithorizont begründet, der den Rahmen für seine rationalen Entscheidungen bildet. Aus Studien mit Primaten ebenso wie mit menschlichen Probanden ist bekannt, dass ein kleinerer kurzfristiger Vorteil einem größeren längerfristigen bevorzugt wird. Im Kampf um die Verteilung der knappen Ressourcen, in den tagtäglich alle verwickelt sind, wägen wir in unseren Entscheidungen andauernd zwischen verschiedenen Optionen ab. Dabei messen wir deren Auswirkungen umso größere Bedeutung zu, je näher sie an der Gegenwart liegen. Anliegen mit sofortiger Wirkung (Nutzen, Gewinn, Abwendung von Verlusten) wird eine immense Bedeutung zugeschrieben, kurzfristigen eine große und mittelfristigen immer noch eine gewisse. Den langfristigen Auswirkungen heutigen Handelns messen wir jedoch eine nur sehr geringe bis gar keine Bedeutung bei, daher fließen sie so gut wie gar nicht in die Entscheidungen des freien Individuums ein. Ganz nach John Maynard Keynes, laut dem wir langfristig (sowieso) alle tot sind.

Dieses kollektive Verhalten wird von einem weiteren Prinzip der verhaltensökonomischen Theorie verstärkt, nämlich der Spieltheorie. Da ein Vorangehen bei klimaschonender Produktions- und Lebensweise unmittelbare Nachteile gegenüber den Konkurrenten mit sich bringt (höhere Produktionskosten-teurere Produkte-Verlust an Marktanteil; teurere Konsumgüter, weniger Kaufkraft-weniger Nutzen; Abwahl politischer Entscheidungsträger und Ersatz durch Populisten), wagt kein großer Player den ersten Schritt (Macron musste seinen kleinen Schritt sofort wieder zurückziehen, um die Gelbwesten zu besänftigen), jeder verweist auf andere („ohne Indien und China bringt das sowieso nichts“), wartet deren Aktion ab, man belauert sich gegenseitig, um nicht die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Auch die meisten der kleinsten Player, der Individuen, sind diesen spieltheoretischen Zwängen unterworfen und hindern sich dadurch, ihr Verhalten zu verändern (wenn es jedes Jahr neue Rekordpassagierzahlen im Flugverkehr gibt, dann bringt es nichts, wenn ich aufs Fliegen verzichte).
Natürlich treffen viele Menschen (werden es wirklich immer mehr?) ihre Entscheidungen auch nach weitsichtigen und uneigennützigen Kriterien. Aber es sind viel zu wenige, um für das Schicksal des Weltklimas ins Gewicht zu fallen. Ohne starke Anreize und Verbote wird die große Mehrheit, die ausschlaggebende Masse für dieses hausgemachte chemisch-physikalische Problem, ihr Verhalten nicht ändern. Denn es ist davon auszugehen, dass die allermeisten Menschen erst dann ernsthaft handeln, wenn sie persönlich von einer konkreten und unmittelbaren Gefahr betroffen sind. Dann aber könnte es aufgrund der stark verzögerten Wirkung von Maßnahmen und dem beschleunigenden Beitrag der Kippfaktoren zu spät sein. Haben wir einer in der Steinzeit geprägten Programmierung eines menschlichen Gehirnareals wirklich nichts entgegenzusetzen? Es müssen endlich kluge Entscheidungsträger das Risiko eingehen, voranzuschreiten in der Hoffnung, die anderen mitzuziehen. Angesichts rechtspopulistischer Machthaber mit autoritären Anwandlungen kein leichtes Unterfangen: Aus den USA, Großbritannien, Russland und Brasilien ist diesbezüglich nichts zu erwarten. Die Klimakanzlerin hat in dieser Hinsicht komplett versagt und für Italiens starken Mann ist das Klima ebenso wenig Thema wie für den recken Kurz. Momentan kommt mir nur ein Duo Macron-Habek in den Sinn, das die EU an die Hand nimmt, die nationalen Egoismen bändigt und die Welt gemeinsam mit China in eine, den Klimawandel zu bremsen suchende Lebensweise führt. Und dann John-Maynard Keynes.