Franz Tumler - Vorliebe für Freiheit
Darin ist mir ein Kapitel aufgefallen, in dem der bekannte Autor über seine Vorliebe für die Freiheit schreibt und dabei das Haus seines Vaters und die nächste Umgebung beschreibt. Ich habe dieses Haus, das inzwischen abgerissen wurde, noch gekannt.
„Warum zieht es mich immer hinaus auf die Straße, wo ein Stück Leben ist: Autos, die parken und in der Zeile der Häuser die Geschäfte, man kann immer noch einkaufen, sie haben keine ganz feste Sperrstunde. Wir waren an dem Abend von meinem Vaterhaus gekommen, vor der Haustür aus weißen und grauen Marmorsteinen eine Art Mosaik im Halbkreis gelegt, und die weißen Steine in einer Anordnung, dass man aus ihnen die Anfangsbuchstaben und die Jahreszahl lesen konnte: 1906; und von meinem Vetter wusste ich, damals nach dem Brand, hatten sie das Haus neu gebaut. Dann ein Erdweg die Scheune entlang, und am Torbogen des Hofes der Weinstock, ein dicker Knüppelstamm, ausgehöhlt, bloß noch Rinde fast wie Papier, aber durch ihn ernährte er das weitverzweigte sprossende, fruchttragende und welkende Laubdach, tritt unter seinen Schatten, bist du zu Hause.
Zum ersten Mal hatte ich mir vorstellen können, wie mein Vater jeden Tag diesen Weg hinausgegangen war – einfach gegangen, die Gasse hinunter, an der Spitalkirche und dem Deutschordenspital vorbei, das jetzt Armenhaus war. Da hatte uns der Mann mit den Holzstockbeinen erschreckt, Fetzen um die Stöcke gewickelt, und behend. Da hatte ich zum ersten Mal auch etwas Ungesagtes von meinem Vater verstanden: Bleib nicht, geh hinaus auf die Straße, geh weiter hinaus, komm zurück, aber geh wieder hinaus; und immer so: Nichtbleiben, Hinausgehen, da kommst du zu Leben. Geh, geh; wenn du gehst und sprichst, schneiden deine Wörter die Luft entzwei, und so weit die Luft von Wörtern durchschnitten ist, ist der Mensch gekommen. Die Müdigkeit hält dich nicht auf, Krankheit hemmt dich nicht, und so weit deine Wörter schneiden, bist du voran. Geh nicht schön, wisch dir den Rotz ab , eines Tages bist du in Rom. Schau dir den Fluss an, graues Gebirgswasser, aber es ist Wasser wie zerriebener Stein. Geh, bis dir die Meereswelle den Fuß berührt, den Sand durchfeuchtet, geh zu Schiff, dann ist das Land ein gefurchtes Terrain, wo du nicht mehr wohnst, das Land ist voll Namen, aber du hast deinen Weg von den Kursen, Leuchtfeuern, die Türme wie ein Pilz aus Kalk, die Feuer ein Stern, der sich dreht.
So habe ich es mir notiert, als Schluss meiner Arbeit über Südtirol.
Zuletzt aber noch etwas von dem Haus, aus dem mein Vater weggegangen war. Ein gewöhnliches Haus, wäre nicht seine Lage besonders gewesen, und das dachte ich schon oft: in seinem kleinen Bild habe ich etwas von dem Bild des ganzen Landes . Es liegt am Ausgang der Schlucht, wo der Schlandraunbach ins Freie tritt, und hart an der Mauer, die gegen seine Hochwasser, um den Ort zu schützen, bis in die Obstgründe hinaus geführt ist; die Mauer ist höher als das Haus und ist aus demselben grauen dichten Stein, mit dem die Wildnisschlucht den Platz überschattet.
Aber besonders ist auch noch ein anderes Merkmal von Grenze: das Haus schneidet die Linie, unterhalb der noch Wein wächst, so dass zu dem Besitz zwei Weingärten gehören, sie sind mit ein paar anderen die letzten im Tal: zwei oberste Terrassen auf dem Hang, und eine geräumig mit Platz für einen Edelkastanienbaum, auch einem der letzten im Tal, mit denen dieser Wuchs dann aufhört; und deshalb auffällig – eine üppig grüne Laubkugel vor der kahlen Felswand. Aber sonst nichts von Schönheit an dem Ort: unterhalb der Weinbergterrassen und auf der anderen Seite der hohen Wasserschutzmauer liegt der „Sand“, trockene Schotterstreifen mit ungenutzten Weidenbäumen, in deren Blätter etwas vom Ölbaum heraufschimmert, und dazwischen Rinnsale, aufgefüllt nur bei Hochwasser. Aber auch diese unfruchtbare Sandstrecke, die jeder Schluchtbach vor sich hat, gehört zum Bild des Landes wie die Grenze des Weinstocks und der südlichen Pflanzen vor dem hoch aufsteigenden Stein des Gebirges."