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Politics | Neuerscheinung

Tourismus in Maßen statt in Massen

Südtirol liegt beim Tourismus im Spitzenfeld europaweit.Doch wissen wir nicht schon alles über den overtourism hierzulande? In der Zusammenschau an Argumenten noch nicht.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Einige Autorinnen und Autoren des neuen Sammelbands zum Tourismus in Südtirol
Foto: Heimatpflegeverband Südtirol
  • Ausgangspunkt für diese Publikation war der Ärger und Unmut, den viele Südtiroler mit der Bevölkerung der touristisch überbelasteten „Ferienregionen“ in ganz Europa und anderswo teilen: das Gefühl nur mehr Destinationsbewohner zu sein, die Lebensqualität den Interessen der Tourismuswirtschaft unterordnen und die Zumutungen des Übermaßes an Tourismus ertragen zu müssen, weil schließlich „unser Wohlstand davon abhängt“. Das hat mit Heimat im umfassenden Sinn zu tun, ein Lebensraum, den man als Zuhause empfindet, gleich ob Südtirol oder ein Kiez in Berlin, ob Nordtirol oder ein Stadtviertel von Barcelona. Ein Ort, wo man gerne lebt und Gäste begrüßt, auch viele, aber halt in Maßen, nicht in Massen.

    In Südtirol wird man als Einheimischer durch die touristische Überbeanspruchung Stück für Stück in einer Art „schleichenden Enteignung“ verdrängt. Wer fährt schon als Einheimischer noch zu Hotspots vom Pragser Wildsee über die Seceda bis zum Karersee? Wer begibt sich als Einheimische freiwillig ins Ötzi-Museum, abgesehen dass man beim Eintritt gegenüber Urlaubsgästen diskriminiert wird? Wer riskiert es, an Wochenenden zur Hochsaison die Brennerautobahn zu benutzen? An welchen Passstraßen kann man sich noch aufhalten, ohne einen Gehörschaden zu bekommen? Wer fühlt sich wohl beim Gedanken, dass dieser Dichtestress im Zuge der neuen IDM-Werbestrategie zur Streckung der Saisonen auf Herbst und Frühling ausgedehnt wird? Welche Südtiroler Familie auf Wohnungssuche ist amüsiert, wenn sie merkt, dass man im Netz an die 6.000 Wohneinheiten in Kurzzeitmiete buchen kann? 

    Der neue Sammelband ist noch aus einem anderen Grund entstanden. Schon seit der Debatte aus dem Jahr 2021 um das Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ ist man eigentlich zur Einsicht gekommen, dass es auch im Südtiroler Tourismus kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Erkenntnisse dazu, was im Tourismus falsch läuft, hat einer der Autoren des LTEK 2030+, Harald Pechlaner, soeben in der Tagespresse nochmals dargelegt (DOLOMITEN, 27.8.2024, 15). Einer der wenigen Folgen des LTEK war der Bettenstopp, der bekanntlich keiner ist. Wenn diese Einsicht seit Jahren vorliegt, warum gibt es keine Kehrtwende in der Tourismuspolitik? Es geht eher in die Gegenrichtung:

    • Trotz „Bettenstopp“ (2022 eingeführt) wird in der Hotellerie eifrig weitergebaut. Dank Ausnahmen und bis 2019 angereifter „Bettenrechte“ werden zu den bestehenden 250.000 Betten noch Tausende dazukommen.
    • Ankünfte und Nächtigungen steigen seit Jahren, mit dem kurzen Intermezzo der Pandemie. Dennoch wird die Hotellerie vom Land noch direkt subventioniert (70 Mio. Euro im Jahr 2023) genauso wie UaB.
    • Die IDM investiert heuer wieder 20 Mio. Euro in Werbekampagnen, auch um neue Quellmärkte zu bearbeiten und die Nebensaisonen stärker auszubauen.
    • Der Klimaplan sieht die Senkung des motorisierten Individualverkehrs um -30% bis 2035 vor. In Südtirol kommen alljährlich 3,8 Mio. Fahrzeuge von Urlaubsgästen an und zirkulieren dann vor Ort. Wann wird mit dieser Senkung begonnen, jetzt oder erst 2034?
    • Das LTEK 2030+ hat 8 konkrete Maßnahmenvorschläge zum Klimaschutz im Tourismus vorgelegt. Keiner davon hat es in den Klimaplan Südtirol 2040 geschafft. 

    Diese und andere Widersprüche waren mit Anlass für diese Publikation, herausgegeben vom Heimatpflegeverband Südtirol und POLITiS. Der Band trägt die Analysen und Einschätzungen von 19 Autoren und Autorinnen aus Südtirol, Nordtirol und dem Trentino zusammen und gibt einigen Stimmen aus Tourismushochburgen Raum. Sie sind geeint in der Sorge, dass unser Land nicht mehr lebenswerte Heimat bleibt, sondern immer mehr zur bloßen Tourismusdestination degradiert wird.

    Das Buch: Heimatpflegeverband Südtirol/POLITiS (Hg.), Heimat oder Destination Südtirol? Tourismus in Maßen statt in Massen, Verlag arcaedizioni Lavis, 2024, 208 Seiten, ISBN 978-88-88203-95-9, Euro 20,00