Politics | Gastkommentar

Wahlen in Österreich: Viel Fadesse und ein wenig NEOS

Die ewige Große Koaliton steuert in Wien auf weitere fünf Jahre im Amt zu. Von Christoph Prantner, derStandard.at

Österreich hat gewählt und alles bleibt beim Alten. Das ist das, was nach einem ersten, flüchtigen Blick auf die Ergebnisse leicht über die Lippen ginge. Aber bleibt tatsächlich alles beim Alten? Ein wenig schon, ja. Aber hinter dem Phrasennebel des Wahlabends hat sich doch einiges Neues getan.

Die Große Koalition aus SPÖ und ÖVP ist mit zwei blauen Augen davon gekommen. Beide Parteien haben die schlechtesten Ergebnisse ihrer langen Geschichte eingefahren, dennoch geht sich eine absolute Mehrheit für das erschütternd visionslose Bündnis aus Rot und Schwarz aus. Es wird vermutlich quälend lange dauern, aber es besteht kein Zweifel daran, dass das Land weitere fünf Jahre von einem Klientelverein für Gemeindebeamte und Pensionisten (SPÖ) und einer Lobby für Bauern, Wirtschaft und Lehrer (ÖVP) regiert werden wird. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl und der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll, die beiden heimlichen Parteichefs, haben sich bereits dafür ausgesprochen. Auch Bundespräsident Heinz Fischer ist dafür. More of the same, mehr vom Gleichen, sagen die Amerikaner dazu.

Beide Partner dieser abgewirtschafteten Koalition sind auf ihre Kernwähler reduziert und haben teils dramatisch verloren: Die SPÖ in den Arbeiterbezirken der Steiermark, die ÖVP zum Beispiel in Vorarlberg oder auch Wien. Gewandert sind die Stimmen zur neuen "Arbeiterpartei" FPÖ (national und sozial waren auch schon in der Vergangenheit Begriffe, die durchaus zusammengingen) und zu den NEOS, die aus dem Stand einen sensationellen Sprung in den Nationalrat geschafft haben. Dort vertreten sie nun die urbane, bürgerliche, (wirtschafts-)liberale Bevölkerungsschicht, die von den klassischen Konservativen nicht mehr angesprochen werden und denen die Grünen zu viel linksdrehenden Dirigismus verbreiten.

Für die kommenden Jahre wird das bedeuten, dass Rot-Schwarz - sofern sich die NEOS nicht zur Dummheit hinreissen lassen, in die Bundesregierung zu gehen - das Land weiter mit wohltemperierter Fadesse und politischer Bewegungslosigkeit ver- und zerwalten wird. Große Reformen sind auch deswegen unwahrscheinlich, weil das Bündnis neben den Grünen nun auch noch eine vierte Partei für eine verfassungsgebende Mehrheit braucht.

Die Opposition dagegen wird vom erstarkten rechtspopulistischen Rand (wenn man das überhaupt noch als Rand bezeichnen kann) dominiert werden. FPÖ, das trotz massiven Geldeinsatzes enttäuschend performende Team Stronach und die aus dem Parlament gefallene ehemalige Haider-Partei BZÖ kommen auf insgesamt beinahe 31 Prozent. Dahinter stehen die Ängste der Modernisierungs-verlierer oder "politischer Analphabetismus", wie es Beobachter formulieren.

Wenn die Koalition so weiter macht wie bisher, wird der Anteil an Nicht- und Protestwählern in den kommenden Jahren wohl nicht kleiner werden. Bundespräsident Fischer sagt, dass auch "Politiker lernfähig sind". Wollen wir hoffen, dass er Recht hat. Angesichts der Erfahrungswerte aus der Vergangenheit darf man sich ganz so atemberaubend viel Neues, Lernfähigkeit zum Beispiel, dann aber vermutlich doch nicht erwarten.

derStandard.at//r6020/Christoph-Prantner
derStandard.at/r1348284167306/Prantners-Perspektiven

Bild
Profile picture for user Benno Kusstatscher
Benno Kusstatscher Mon, 09/30/2013 - 11:19

Nun zählt bei den Nationalratswahlen sicherlich das Österreich-weite Ergebnis, aber man kann die Botschaften der Wähler aus den einzelnen Bundesländern nicht unberücksichtigt lassen.
-
In Osttirol etwa haben bei einer Wahlbeteiligung von unter 60% sowohl ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen auf Kosten der BZÖ dazugewonnen:
http://wahlen.tirol.gv.at/nationalratswahl_2013/bezirke/lienz.html
-
In Vorarlberg aber haben alle mit Ausnahme von FPÖ (+5%) und NEOS (+13%!!!) verloren. Kollektiv abgestraft! ÖVP und SPÖ haben mit zusammen nur knapp 40% der Stimmen sicher nicht den Auftrag für eine große Koalition bekommen. Ob es in Wien jemand schert? Eine Regierungsbeteiligung der NEOS könnte für länderübergreifenden Wählerfrieden sorgen. ...sonst könnten sich auch die gerade einmal 57% der 268.723 wahlberechtigen Vorarlberger den Weg zur Urne das nächste Mal wegen Nichterhörung gleich ganz sparen.
http://www.vorarlberg.at/wahlen/nr.asp

Mon, 09/30/2013 - 11:19 Permalink