Society | Gastbeitrag

Let's talk about depression

Gut 20.000 Menschen leiden in Südtirol an der häufigsten Erkrankung. Ein Gastbeitrag vom Primar der Psychiatrie Roger Pycha zum heutigen Tag der Depression.
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Foto: upi

Wolfgang Amadeus Mozart, Abraham Lincoln, Winston Churchill und Prinzessin Diana litten daran. Ernest Hemingway, Adalbert Stifter, Marilyn Monroe, Heinrich von Kleist und Robin Williams verstarben daran. Tom Waits, Jean Claude van Damme und Sting können ein Lied davon singen. Und Cara Delevigne erklärte vor einem Jahr: “Ich war suizidal. Ich wollte, dass alle Moleküle meines Körpers sich auflösten.“ Gemeint ist die wichtigste seelische Erkrankung, die Depression. Die Prominenten sind keine Einzelfälle.

Fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung krankt in der westlichen Welt in jedem Augenblick an Depressionen, das sind in Südtirol gut 20.000 Menschen, doppelt so viel Frauen wie Männer. In den Großstädten sind Depressionen noch häufiger: 10 Prozent ihrer Bewohner leiden daran. Allein schon dieser Umstand beweist, dass Depressionen auch mit der Leistungsgesellschaft zusammenhängen, mit dem hektischen Lebensrhythmus und den vielen sozialen Verpflichtungen, denen wir ausgesetzt sind. Darüber hinaus spielen erbliche Einflüsse und frühkindliche Erfahrungen bei ihrer Entstehung eine große Rolle.

Die Erkrankung Depression hat von 1990 bis 2013 um 50% zugenommen und kostet die Menschheit laut einer Studie der WHO jährlich 1.000 Milliarden Dollar. Dabei sind die Behandlungskosten vergleichsweise gering, die wirtschaftliche Hauptlast entsteht durch Fehltage und Produktivitätsminderung, wenn Betroffene krank zur Arbeit gehen statt zu Hause zu bleiben und sich gezielt behandeln zu lassen.

Eine in der renommierten Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlichte Studie weist erstmals nach, dass sich Investitionen in die Behandlung von Depressionen unmittelbar lohnen. Jeder investierte Dollar führt zu vier Dollar Gewinn durch bessere Arbeitsleistung und Gesundheit. „Wir wissen, dass Therapien gegen Depressionen helfen“, sagt die WHO-Generaldirektorin Margareth Chan. „Die neue Studie zeigt nun, dass das auch ökonomisch sinnvoll ist.“ Und Weltbank-Präsident Jim Yong Kim ergänzt: “Wir müssen jetzt handeln, weil sich die Weltwirtschaft die verlorene Produktivität nicht leisten kann.“ Depression verschlingt in hoch entwickelten Ländern 1% des Bruttosozialproduktes, was ungefähr der Hälfte des Ausmaßes der Weltwirtschaftskrise entspricht.

Allerdings fristen diese Erkenntnisse noch ein Schattendasein. Laut dem Atlas der psychischen Gesundheit 2014 investieren die Regierungen weltweit nur ca. 3% ihres Gesundheitsbudgets in die psychische Gesundheit. Einkommensschwache Länder rangieren bei 1%, einkommensstarke bei bis zu 5%. Einzig die Schweiz widmet fast 10% ihrer Gesundheitsausgaben psychiatrischen Therapien.

“Ich war suizidal. Ich wollte, dass alle Moleküle meines Körpers sich auflösten.“

Die Depression ist laut einer anderen Studie der WHO die Volkskrankheit, die der Menschheit am meisten gesunde Lebensjahre raubt. Laut Schätzungen der Weltbank und der WHO wird sie 2020 für Frauen die weltweit bedeutendste aller Erkrankungen sein, für Männer die zweitbedrohlichste nach Herzinfarkt und Hirnschlag.

Ein Drittel aller depressiv Erkrankten sucht keine Hilfe. Nur die Hälfte aller depressiven Patienten wird von Ärzten als solche erkannt und richtig behandelt. 40 bis 70 Prozent aller Selbsttötungen sind laut internationalen Schätzungen auf die Erkrankung Depression zurückzuführen.

Bei diesen Sachverhalten ist Handlungsbedarf gegeben: Aufklärung der Bevölkerung, Schulung der Fachleute, Stärkung der Selbsthilfe. Denn Depression ist eine häufige, ernst zu nehmende Erkrankung, die heute sehr gut behandelt werden kann.

Die drei wichtigsten Kennzeichen der Depression sind dauerhaft gedrückte Stimmung, der Verlust von Freuden und Interessen und ein kompletter Mangel an seelischer Energie. Betroffene haben manchmal nicht mehr die Kraft, Entscheidungen zu treffen, sich Hilfe zu holen oder zu klagen. Viele beschreiben sich als so leer, dass sie nicht einmal mehr weinen können. Andere sind innerlich unruhig, verspannt und voller körperlicher Symptome. Kopf- oder Rückenschmerzen, Druck auf der Brust, unerträgliches Kribbeln im Bauch, Schwindel und Schwäche bei allen Bewegungen sind die häufigsten körperlichen Merkmale einer Depression. Aber auch Mundtrockenheit, Sehstörungen und Haarausfall können auftreten.    

Heilung ist möglich - aber wie? 

Die Säulen der Behandlung stellen Psychotherapie, antidepressive Medikamente und Teilnahme an Selbsthilfegruppen dar. Psychotherapie ist Behandlung und Heilung durch das Wort, durch Gespräche, durch Übungen und das Erlangen neuer Einstellungen zu alten Problemen. Bis Psychotherapien wirken, können allerdings Monate vergehen. Medikamentöse Behandlungen mit Antidepressiva sind hilfreich, um innerhalb weniger Wochen die Energie und die Stimmung wieder zu normalisieren. Häufig wird beides kombiniert, um rasche Besserung und nachhaltige Veränderung zu erreichen. Aber auch Schlafentzug, Lichttherapie oder die Elektrokrampftherapie können in bestimmten Fällen zu besten Heilerfolgen führen.

Seit 10 Jahren wird in Europa der „Tag der Depression“ begangen. Er fällt auf den 1. Oktober und gewährleistet breit gefächerte Aufklärung über das Krankheitsbild und mögliche Hilfen. Zu diesem Zweck hat die „Europäische Allianz gegen Depression“ beschlossen, an allen Krankenhäusern Südtirols einen Informationsstand Depression einzurichten. Den ganzen Tag über werden im Eingangsbereich die Broschüren „Depression - was tun?“ zum Mitnehmen aufliegen. Sie bieten einen verständlichen Überblick über die wichtigste psychische Krankheit des 21. Jahrhunderts.

Das Projekt wird vom Südtiroler Gesundheitsbetrieb, vom Verband der Angehörigen „Ariadne“ und von der Selbsthilfevereinigung psychisch Kranker „Lichtung/Girasole“ gemeinsam getragen.

Als beste Anlaufstellen für depressiv Erkrankte gelten Hausärzte, Zentren Psychischer Gesundheit und Psychologische Dienste, aber auch privat praktizierende Psychiater, Psychotherapeuten und Lebensberater. In Notfällen, die mit schwerer Erkrankung oder Suizidgefahr verknüpft sind, soll man sich an die Ersten Hilfen der Krankenhäuser von Bozen, Meran, Brixen und Bruneck wenden. Dort besteht rund um die Uhr ein psychiatrischer Bereitschaftsdienst.

Ein Netzwerk der Beratung im Vorfeld besteht auch. Die „Telefonseelsorge“ der Caritas, „telefono amico“ und „Young and direct“ stellen wertvolle Anlaufstellen und Gesprächspartner in seelischen Krisen dar. Selbsthilfegruppen für Betroffene werden von der Vereinigung „Lichtung/Girasole“, Tel. 0474 530266, im ganzen Land angeboten. Angehörigengruppen können beim Verein „Ariadne“, Tel 0471 260303, kontaktiert werden.

Roger Pycha  im Namen der „European Alliance Against Depression“ und „European Depression Association“.