"Erstmal nur Berlin"
Auch in Berlin wurde letzten Sonntag gewählt. Bundestagswahl, Berliner Wahlen und ein Volksentscheid zur Enteignung großer Mietkonzerne. Beim Volksentscheid sprachen sich rund 56 % aller Beteiligten für eine Enteignung und somit für die Vergesellschaftung von 240.000 Mietwohnungen in Berlin aus. "So etwas hat es in Deutschland noch nie gegeben. Aber wir erwarten uns, dass der Volksentscheid in nächster Zukunft in ein entsprechendes Gesetz gegossen wird", so der Aktivist Johannes Krabbe von Deutsche Wohnen und Co. enteignen!. Salto.bz hat ihn in Berlin angerufen.
Salto.bz: Berlin hat entschieden: 240.000 Wohnungen von Konzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen sollen vergesellschaftet werden. Habt ihr mit diesem Erfolg gerechnet?
Johanner Krabbe: Wir haben damit gerechnet, dass wir gewinnen. Das Mietproblem ist in Berlin so weit verbreitet, dass es viel Rückendeckung gibt. Über 80 Prozent aller Menschen hier wohnen in Miete! Und die große Mehrheit von ihnen kann eine Geschichte davon erzählen wie schwierig es ist; hohe Mieten, problematische Vermieter, keine Aussicht auf eine neue Wohnung, wenn sie sich vergrößern oder verkleinern wollen… Aber, dass das Ergebnis dann so deutlich ausfallen würde, mit 56,4 % die dafür gestimmt haben!, das war nicht vorauszusehen.
Was bedeutet dieses Ergebnis ganz konkret? Was werden die nächsten Schritte sein?
Es handelt sich um einen Beschlussvolksentscheid. Das heißt, der Berliner Senat ist jetzt aufgefordert, ein Gesetz zu erarbeiten, das die Ziele des Volksentscheids, also die Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne, umsetzt. Wir rechnen damit, dass in den Koalitionsverhandlungen ein Fahrplan entwickelt wird, wie dieses Gesetz erarbeitet wird und dann mit der nächsten Regierung ein solches Vergesellschaftungsgesetz tatsächlich auch kommt.
Dieses Gesetz würde dann aber nur Berlin betreffen.
Genau. Es geht um eine Landesgesetzgebung und einen Landesvolksentscheid. Deswegen betrifft es jetzt erstmals nur Berlin.
Ist das überhaupt möglich, innerhalb Deutschlands eine Vergesellschaftung nur für Berlin zu entscheiden?
Absolut. Auch Landesregierungen haben – laut Artikel 15 des Grundgesetzes – die Möglichkeit, eine Vergesellschaftung durchzuführen.
Brechen wir dieses Gesetz mal herunter: Wie sieht denn so eine Vergesellschaftung überhaupt aus?
Das muss der Gesetzgeber nun erarbeiten. Wir haben in der Kampagne einen Vorschlag gemacht, wie das konkret aussehen könnte. Dieser Vorschlag kann als Grundlage dienen. Wir haben uns aber bewusst dagegen entschieden, ein ausgearbeitetes Gesetz zur Abstimmung zu geben. Es handelt sich hier um eine komplexe juristische Frage und es ist auch das erste Mal in Deutschland, dass der Artikel 15 aus dem Grundgesetz angewendet werden soll. Deshalb sollte sich in diesem Fall auch der Gesetzgeber darum kümmern.
Es gibt aber noch einige rechtliche Hürden, die vorher überwunden werden müssen, oder?
Das hängt ganz davon ab, wen man fragt. Von einigen politischen Parteien wird immer wieder betont, dass die Umsetzung problematisch sein könnte, auch Gutachten aus der Bauwirtschaft heben gewisse Schwierigkeiten hervor. Gleichzeitig gibt es eine Reihe neutraler Gutachten vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages und des Abgeordnetenhauses zum Beispiel, die deutlich sagen, dass die Ausarbeitung und Umsetzung des Gesetzes möglich ist. Es wird aber einen juristischen und verfassungsrechtlichen Prozess geben.
Wir haben 350.000 Unterschriften gesammelt. Das sind so viele, wie bei noch keinem anderen Volksbegehren in Berlin.
Nehmen wir an, das Gesetz wird umgesetzt. Was sind denn ganz konkret die Folgen für Konzerne wie Deutsche Wohnen und Co.?
Konkret heißt das, dass die großen Konzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt vergesellschaftet werden. Ihnen wird die Wohnung also abgenommen und in eine neu zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts übergeführt. Diese wird die Wohnung dann verwalten. Das heißt, die Wohnungen werden nicht einfach verstaatlicht, sondern es gibt eine neue, demokratisch kontrollierte Anstalt, die auch den Mieter*innen ein großes Mitspracherecht einräumt. Konkret bedeutet das, dass diese großen Konzerne aus Berlin verdrängt werden und Wohnraum geschaffen wird, bei dem es nicht nur um Profit geht, sondern vor allem um langfristig finanzierbaren Wohnraum und Vermieter, die sich auch darum kümmern, dass die Heizung repariert wird.
Und der Konzern wird entschädigt.
Es muss eine Entschädigung geben. Diese wird jedoch deutlich unter dem Marktwert liegen. Der Kredit, den Berlin dafür aufnehmen würde, kann dann aus den laufenden Mieteinnahmen refinanziert werden.
240.000 Wohnungen sollten sich auf grob geschätzte 15 Prozent der gesamten Wohnungen belaufen. Wie kann sich denn diese Zahl auf die Wohnungspreise in Berlin auswirken?
Erstens gibt es den unmittelbaren Effekt auf die Mietpreise von diesen 240.000 Wohnungen. Das ist nicht zu unterschätzen. Aber über den Mietspiegel werden auch die Preise der Wohnungen drumherum fallen. Langfristig würde sich der Berliner Wohnungsmarkt dann durch das Wegfallen der Preismacht der großen Konzerne erholen.
Kurz zurück zur Kampagne: Wie haben die Menschen anfangs auf eure Forderungen reagiert?
Wir haben 350.000 Unterschriften gesammelt. Das sind so viele, wie bei noch keinem anderen Volksbegehren in Berlin. Schon damals war klar, dass es Rückendeckung für diese Forderung gibt. Alle Berlinerinnen und Berliner, wissen wie schwierig es ist, noch bezahlbare Wohnungen zu bekommen und sichere Wohnverhältnisse zu haben.
Eure Forderung – Enteignung – stößt aber auch auf großen Widerstand.
Es gab Leute, denen das zu radikal war. Aber die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner empfindet die Handlungen und Aktionen der Immobilienkonzerne und den Berliner Wohnungsmarkt als enorm radikal. Und dann ist die Enteignung ein angemessenes Mittel.
Ich glaube, wir haben einen Wahlkampf gemacht, von dem viele Parteien nur träumen könnten.
Immer wieder wurde der Vorwurf – wenn man so will – von kommunistischen Methoden laut. Zu Recht?
Nein.
Wirklich nicht?
Nein. Es geht hier um eine im Grundgesetz verankerte Idee der Vergesellschaftung, die somit eine demokratische Grundlage hat: Wir wollen im Gemeininteresse Wohnungen bezahlbar halten. Ich sehe nicht, was daran kommunistisch ist. Es ist ein grunddemokratisch verankertes Prinzip.
Aus welcher Richtung gab es denn Gegenwind?
Am meisten Gegenwind gab es natürlich vonseiten der Immobilienkonzerne. Aber auch die Parteien, die deren Interessen vertreten, also CDU und FDP, haben sich dagegengestellt.
Warum war der Volksentscheid schlussendlich mehr als nur der erwartete Erfolg?
Wir konnten in den letzten Monaten unglaublich viele Menschen mobilisieren. So viele Menschen sind auf die Straße gegangen. Wir haben in allen Berliner Bezirken Kiezstrukturen aufgebaut, haben Haustürgespräche durchgeführt… So haben wir ganz viele Berlinerinnen und Berliner direkt erreicht, viele haben sich bei uns beteiligt. Ich glaube, wir haben einen Wahlkampf gemacht, von dem viele Parteien nur träumen könnten. Dabei konnten wir wirklich viele verschiedene Menschen zusammenbringen. Menschen, die unterschiedlichen Parteien nahestehen, aus verschiedenen Altersgruppen, verschiedene Nationalitäten…. Menschen die zusammen das Problem kennen und sich vereint haben, um etwas dagegen zu tun. Auch deshalb waren wir so erfolgreich.