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Abessinische Kriegsspiele

Alpinidenkmal, Südtiroler Dorfbücher, Zeitzeugen - der Schweizer Historiker Sebastian De Pretto beschäftigt sich mit der Südtiroler Erinnerungskultur zum Abessinienkrieg.
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Foto: Foto: Salto.bz

salto.bz: Woher kommt Ihr Interesse für den Abessininenkrieg?
Sebastian De Pretto:
Mein Interesse am Abessinienkrieg entwickelte sich während meinem Masterstudium der Globalgeschichte an der Universität Heidelberg. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte bin ich auf den bis dahin mir kaum bekannten italienischen Imperialismus gestoßen - bei welchem der Abessinienkrieg ein wichtiges Schlüsselereignis darstellt, dem ich in einer weiterführenden Dissertation gerne nachkommen wollte.

In der Schweiz wird erstaunlich viel zu diesem lange vergessenen Krieg geforscht. Warum ist das so?
In der Schweiz hat sich vor allem mein Doktorvater Prof. Aram Mattioli sowie Claudia Brogini-Künzi in einer Dissertation mit dem Abessinienkrieg auseinandergesetzt. Nachher wurde an Schweizer Universitäten allerdings kaum noch etwas zum Abessinienkrieg geforscht. Meines Wissens bin ich zurzeit auch der einzige Doktorand, der zur Erinnerung an diesen lange vergessenen Angriffskrieg eine Doktorarbeit verfasst. Es wäre aber durchaus wünschenswert, wenn weitere Arbeiten von anderen Forschern folgen würden. Noch offene Forschungslücken bestehen dazu jedenfalls noch zu genüge. Zudem erscheint der Abessinienkrieg zumindest in der deutschen Geschichtswissenschaft bisher eher als ein marginales Thema.

Ein nicht immer unfreiwilliger Fahnendienst für die verhassten Faschisten passt hier von vornherein nicht ins Bild.

Sie haben auch dazu geforscht wie der der Abessinienkrieg in Südtiroler Dorfbüchern betrachtet wird. Was können sie erzählen?
In den Südtiroler Dorfbücher erscheint der Abessinienkrieg erst relativ spät Ende der Siebziger Jahre. Dabei sind die Ausführungen erst noch zurückhaltend, bevor weitere Bücher sich in den Neunziger Jahren mit der Thematik vertieft beschäftigen. Je nach Erscheinungsjahr sind dabei verschiedene Erzählweisen feststellbar. Generell dominiert aber der Opferdiskurs, der die Südtiroler entweder als gegen ihren Willen in einen fremden Angriffskrieg hineingezogen schildert oder aber sie neben den Abessiniern als ebenso geknechtetes Volk darstellt. Eine kritische Auseinandersetzung, welche kritisch und differenziert nach den jeweils individuellen Gründen der Beteiligung der Südtiroler an diesem spätkolonialen Krieg fragt, hat bis heute allerdings nicht stattgefunden.

Wie ist es zu erklären, dass Südtiroler Abessinienkämpfer von ihren Mitmenschen belächelt wurden, lediglich die Soldaten an der Ostfront als Helden galten?
Generell lassen sich die Abessinienkämpfer nicht einfach in die Kollektiverzählung der wehrhaften Südtiroler einordnen, die sich angeblich pauschal gegen jeglichen faschistischen bzw. italienischen Kultureinfluss gestellt haben. Ein nicht immer unfreiwilliger Fahnendienst für die verhassten Faschisten passt hier von vornherein nicht ins Bild. Deshalb wurden wohl auch schon die Kriegsrückkehrer aus Ostafrika mit Spott anstatt mit Ehrbekundungen zurück in ihrem Heimatdorf begrüßt – wogegen diejenigen Südtiroler, welche für das nationalsozialistische Deutschland in den Krieg gezogen sind, ungleich ehrenvoller und herzlicher aufgenommen wurden. Schließlich hatten diese nicht für die Walschen gekämpft.

Welchen Unterschied sehen sie bei ladinisch-, italienisch-, und deutschsprachigen Südtirolern im Abessinienkrieg?
Inwiefern Angehörige dieser drei Sprachgruppen den Krieg anders wahrgenommen haben, habe ich bisher leider nicht untersucht. In meiner Arbeit befasse ich mich vornehmlich mit der Herausbildung eines kollektiven Gedächtnisses in Südtirol um den Abessinienkrieg nach 1945. Zeitgenössische Wahrnehmungen des Abessinienkriegs verlangen dazu nach einer anderen Forschungsanlage. Es ist aber anzunehmen, dass die Südtiroler Soldaten sich je nach Situation und sozialem Umfeld verschiedenen Gruppen mehr oder weniger zugehörig fühlten: Mal dominierte die Sprachgruppe- mal Selbstzuschreibungen wie Südtiroler, Italiener, Europäer, Mann, Weiß etc.

Wie kritisch sahen die Soldaten in Abessinien die Diktatur des Faschismus?
Dazu müsste ich ebenfalls erst noch Nachforschungen betreiben. Wichtig erscheint mir aber, dass man sich keinen Pauschalaussagen bedient, sondern so tief wie möglich in die Quellen geht, um die Entscheidungen und Wahrnehmungen der Soldaten innerhalb ihrer spezifischen Lebensentwürfen im Einzelnen zu betrachten. Ansonsten droht die Gefahr infundierter Pauschalaussagen, die gerade vor dem Hintergrund der Südtiroler Geschichtspolitik stets mit Vorsicht zu genießen sind.

 

In seiner Dissertation geht Sebastian De Pretto der Frage nach, wie sich das kollektive Gedächtnis in Südtirol rund um den Abessinienkrieg nach 1945 formierte. In diesem Zeitraum stehen verschiedene öffentliche Räume und Medien im Fokus, die bis heute als zentrale Aushandlungsorte eben jener Erinnerungsbildung fungieren. Der Blick richtet sich etwa auf das Alpinidenkmal in Bruneck. Von Interesse sind hier die genauen Gründe, weshalb dieses 1938 errichtet wurde und ob der Abessinienkrieg dabei tatsächlich von primärer Bedeutung war. Danach wendet sich die Analyse mit dem Denkmal den Jahren von 1943 bis 2011 zu: Von wem wurde dessen Aussage zu welchen Zeiten beansprucht und wann kam der Abessinienkrieg jeweils ins Spiel? Zweitens werden im Zuge des Forschungsprojekts die verschiedenen Entwicklungsphasen der Bozner Straßennamen untersucht. In Form welcher Toponyme taucht der Italienisch-Äthiopische Krieg in den einzelnen Umbenennungskampagnen sonach auf und weshalb dienten mitunter gerade diese dazu, das Stadtbild der Provinzhauptstadt mehrmals neu zu überschreiben? Drittens werden die nach 1951 veröffentlichten Südtiroler Dorfbücher betrachtet: Anhand welcher Narrative wird der Abessinienkrieg darin erzählt und was für Funktionen nimmt er in der Südtiroler Kommunalgeschichtsschreibung folglich ein? Viertens geht die Arbeit den Möglichkeiten und Chancen nach, welche die beginnende wissenschaftliche Aufarbeitung des Abessinienkrieges in Südtirol ab den 2000er Jahren mit sich brachte. Die daraus hervorgegan­genen, historischen Erkenntnisse werden schließlich mit einer Veteranenbefragung aus dem Jahr 2005 abgeglichen. Stimmt das durch Forschungsresultate fixierte kulturelle Gedächtnis demnach mit dem kommunikativ-kollektiven Gedächtnis der Erlebnisgeneration überein und worin bestehen demgegenüber etwaige Divergenzen?