Kompatschers 2015
Das Setting für das Mediengespräch zum Jahreswechsel war offensichtlich selbst gewählt. Landeshauptmann Arno Kompatscher im Foyer des Bozner Stadttheaters, im gepflegten Dialog mit dem Redakteur des österreichischen Qualitätsblattes Der Standard Christoph Prantner, der trotz seiner Meraner Wurzeln den Blick für die große weite Welt mitbringt. In solch einem Umfeld ist ein Politiker in seinem Element, der trotz harter Schule immer noch darunter leidet, wenn seine sorgfältig elaborierten Gedanken verzerrt oder gar nicht wiedergegeben werden. „Sono pignolo“, gestand Arno Kompatscher auf Nachfrage einer Kollegin nach seinem Verhältnis zur Presse ein. „Und ich sollte wahrscheinlich endlich lernen, meine Botschaften in twitter-Länge zu kommunizieren.“
Das Jahr 2016 wird dem Landeshauptmann zweifelsohne viele Übungsfelder dafür schenken. In seinem Neujahrsgespräch konnte er sich dagegen noch einmal ganz seiner Leidenschaft hingeben, seine Herzensthemen ausführlich darzulegen: von der Autonomie bis zum Flughafen, von seinem Verhältnis zur Bevölkerung bis zu seinen Visionen für das Land. Da fallen Ausdrücke wie „Autonomiepatriotismus im Sinne von Habermas“, da wird über Südtirols führende Rolle im Verbund der alpinen Makroregionen geschwärmt. Auf weiten Strecken ist Kompatscher dabei immer noch dabei, sich selbst zu erklären, sein eigenes Bild zurechtzurücken und zu schärfen. Ein Landeshauptmann, der vor allem ein braver Verwalter ist? Stimmt nicht, widerspricht Kompatscher. Er sei dazu gezwungen gewesen, in seinen ersten Jahren so einiges aufzuräumen, von der Energie bis hin zum Europäischen Sozialfonds. Doch seine Visionen für das Land habe er seit seinem Wahlkampf immer wieder dargelegt, sie fanden sich im Wahlprogramm seiner Partei, im Koalitionsprogramm seiner Regierung und nun in deren Entscheidungen wieder.
Flüchtingsaufnahme als Erfolgsgeschichte
„Südtirol-Europa“ oder „glocal“ versuchte er den Kern in twitter-Form auf den Punkt zu bringen. Im Kompatscher-Original war es dagegen ein mehrminütiger Diskurs über eine Provinz, die den Anspruch hat mehr als provinziell zu sein. Über eine dynamische Autonomie mit einem Maximum an Selbstverwaltung, die sich jedoch nicht dem Selbstzweck und dem „Mir-san-Mir“ verschreibt, sondern offen gegenüber Europa und der Welt ist. Über eine besondere Identität und starke Wurzeln, die dafür sorgen, dass Südtirol keine Angst vor dem Neuen, vor einer globalen Welt und erst recht nicht vor einer Mehrsprachigkeit haben muss. Die Aufnahme der Flüchtlinge in vielen Südtiroler Dörfern ist für den Landeshauptmann dafür ein Beweis – und gleichzeitig eine der Erfolgsgeschichten des Jahres 2015. „Das große Engagement, das dabei von vielen Menschen und Vereinen an den Tag gelegt wird, zeigt, wie stark gefestigt unsere Gemeinschaft ist und wie viel wir gemeinsam erreichen können“, sagt er.
Keinesfalls auf sich sitzen lässt der Landeshauptmann auch die Unterstellung, dass er nicht gerne entscheide. „Ich möchte sehen, wie viele Menschen die Verantwortung auf sich genommen hätten, das Finanzabkommen mit Rom zu unterschreiben, mit dem die Grundsätze der Autonomiepolitik der vergangenen Jahrzehnte verändert wurden“, erklärte er. Auch das Flughafen-Referendum, das ihm so mancher als Beweis für seine Entscheidungsschwäche vorhalte, sei genau das Gegenteil, unterstrich Arno Kompatscher. „Das ist allein meine Entscheidung, die ich bereits vor drei Jahren angekündigt habe und bis heute verteidigen muss.“ Vor allem sei es das erste Mal, dass die politische Mehrheit Südtirols Bevölkerung ein Referendum vorlege. Ob es für ihn aufgeht, wird das neue Jahr zeigen. Doch wie Kompatscher selbst meint: „Führen heißt für mich nicht der Meinung der Mehrheit nachzurennen, sondern selbst mit Visionen vorauszugehen“. Klarerweise müsse dabei darauf geachtet werden, dass „die Armee nicht zu weit hinten bleibt“. Eine Aufgabe, bei der er ebenfalls noch Verbesserungspotential habe, wie der Landeshauptmann einräumte.
Und Benko?
Als einen der schwierigen Momente des auslaufenden Jahres beschrieb Kompatscher jenen, in dem er das Mail über den Rauswurf des Landes aus der Brennercom erhielt. „Das war das einzige Mail, das ich nicht beim ersten Lesen verstanden habe“, erzählte er. „Denn ich konnte es einfach nicht glauben.“ Verteidigen musste Kompatscher in seinem Neujahrsgespräch noch einmal die personelle Besetzung des neuen Sonderbetriebs IDM. Impulse für die Neuausrichtung in der Positionierung und Vermarktung des Landes sollen dort weniger vom Verwaltungsrat, sondern von verschiedenen Beiräten kommen, in die unter anderem Unternehmer oder Wissenschaftler berufen werden, unterstrich er. Bereits für 14. Jänner kündigte der Landeshauptmann die Unterzeichnung der A22-Konzession an, mit der auch die angesparten Querfinanzierungen gesichert seien. Beim heißen Eisen Gesundheitsreform würden nun die Leistungsrofile der einzelnen Krankenhäuser anstehen. "Zu tun gibt es in allen Häusern weiterhin genug, nun müssen wir das nötige ärztliche Personal gewinnen", spielte Kompatscher auf den Ärztemangel an. Im schlimmsten Fall müssten in den Bezirken einzelne Leistungen eingeschränkt werden. "Gestrichten wird nichts, aber vielleicht können wir nicht alles sieben Tage und 24 Stunden bieten."
Einmal mehr stellte sich Kompatscher hinter die Entscheidung des ehemaligen Bozner Bürgermeisters Luigi Spagnolli, die Dienststellenkonferenz ein zweites Mal mit einem überarbeiteten Benko-Auftrag zu befassen. „Das ist ein absolut übliches Procedere, das in Südtirols Gemeinden bei Bauleitplanänderungen immer wieder so gemacht wird.“ Da Bozens Bürgermeister allerdings unmittelbar darauf sein Amt niederlegte, wünscht sich der Landeshauptmann für eine definitive Entscheidung über das Projekt „entweder eine breite Legitimation durch den Gemeinderat oder durch die Bürger“. Eine Möglichkeit, die mit der nun aufs Tapet gebrachten Bürgerbefragung ausgeschöpft werden könnte. Obwohl Kompatscher unterstrich, dass die Entscheidung darüber allein Kommissär Michele Penta zustehe, gab er zu verstehen, dass er dieser Variante durchaus positiv gegenübersteht. Denn, wie er meinte: „Es wäre schade, wenn ein zweiter Wahlkampf nur von diesem Thema dominiert wird.“