1917
Krieg. Krieg bleibt immer gleich. Ob in alter oder neuer Zeit, ob in Europa, Asien oder Afrika, ob Groß gegen Klein, ob Sieg oder Niederlage, Krieg bleibt immer gleich. Und Krieg erzählt, egal wie oft er vorkommt, nichts Neues. Trotzdem wird er immer aus der Mottenkiste gekramt, nicht nur von den Regierenden dieser Welt, sondern auch, und das ist umso verwunderlicher, von den Filmemachern. Dem Krieg wohnt eine Faszination inne, der sich auch das Kino nicht entziehen kann. Wie heißen sie doch alle, die großen Werke der Filmgeschichte, die den Schrecken des Krieges auf die eine oder andere Art und Weise, aber doch immer recht unterschiedlich inszenierten. Was gleich blieb ist die Sinnlosigkeit des Dargestellten, wobei nicht der Versuch des Darstellens, sondern dessen Inhalt gemeint ist. Der US-Regisseur Sam Mendes widmet sich in seinem neuen Film, Jahre nach seinem „Jarhead‟ erneut dem Krieg. Und er tut es auf ungewöhnliche Weise. Zwar erzählt „1917‟ wie so viele Genrevertreter vor ihm von der Spezial-Mission einer Gruppe Soldaten, man denke an „Der Soldat James Ryan‟ oder „Apocalypse Now‟, doch steckt er einen Rahmen ab, der kaum Spielraum für ausufernde Erzählung lässt. Sam Mendes inszeniert „1917‟ nämlich als vermeintlichen One-Shot, das heißt einen Film, der in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt gedreht wurde. Dass das nur die halbe Wahrheit ist, sollte klar sein, versteckte Schnitte gibt es einige und einen sehr offensichtlichen in der Mitte des Films. Doch bevor man sich dem Handwerk widmet, sollte man sich die Geschichte ansehen. Die spielt im April des titelgebenden Jahres 1917. Zwei junge Soldaten der britischen Armee sind an der nordfranzösischen Westfront stationiert. Nur wenige Kilometer weiter bereitet sich ein verbündetetes Bataillon auf einen Angriff auf die Deutschen vor. Was der befehlshabende General nicht weiß: Die Deutschen wissen von dem Manöver und wollen den Briten eine Falle stellen. Tausende Tote sind zu befürchten, wird man es nicht schaffen, das Bataillon rechtzeitig über die Sache zu informieren und den Angriff abzusagen. Die Protagonisten des Films, besagte junge Soldaten, die auf die Namen Blake und Schofield hören, sollen sich auf den Weg durch das gefährliche Niemandsland machen, um die Verbündeten zu warnen. Als Druckmittel für Blake dient dabei die Tatsache, dass sein eigener Bruder Teil jenes Bataillons ist und mit einem Fuß bereits im Grab steht. So machen sich zwei blutjunge Soldaten auf eine von Leichen, Blut und Stacheldraht gesäumte Reise. Es ist ein trostloser Fußmarsch, hinab in die Gräben und wieder hinauf, durch Bunker und vorbei an Sprengfallen, über weite Wiesen und vorbei an den schönsten Blumenfeldern. Sam Mendes zeigt eine Natur, die von der Wucht des Krieges langsam aber sicher vereinahmt wird. Der Stacheldraht schneidet sich durch Sträucher, die Erde ist von Einschlägen durchlöchert und in den Sümpfen bilden leblose Körper Brücken für die Wahnsinnigen, die darüber hinwegschreiten. „1917‟ erzählt mehr oder weniger in Echtzeit von der Reise der beiden Soldaten. Die Kamera schwebt stets hinter, vor oder neben ihnen, manchmal über ihnen. Schnitte gibt es bis zur Hälfte des Films keine, zumindest keine Sichtbaren. So entsteht ein Mittendrin-Gefühl, das viel zur Intensität beiträgt und das Gesehene atemloser erscheinen lässt. Beeindruckend und hervorzuheben ist dabei die Regie-Arbeit von Mendes in Verbindung mit der virtuosen Kameraführung von Roger Deakins. Immer wieder schaffen die beiden Künstler Bilder, die kraftvoller kaum sein könnten, und besonders in einer Szene erzeugt der ausgeklügelte Einsatz von Licht und Schatten einen Bilderrausch, der in seiner Schönheit entlarvend ist. Er lässt die Leichen und braun-grauen Landschaften vergessen und staunen. Ob das der Sinn eines Kriegsfilms ist, darf diskutiert werden. Trotzdem ist „1917‟ vor allem aus handwerklicher Sicht ein bemerkenswerter Erfolg. Der Aufwand, der in den minutenlangen Einstellungen steckt, ist riesig. Das fällt besonders auf, wenn die Action einsetzt und die Kamera ohne dass es vom Zuschauer bemerkt wird, von einem Kamerasystem auf das nächste bewegt wird, etwa von einer Steadycam (Schwebestativ) auf einen Kran. Das sind Dinge, die von den meisten vermutlich nicht bemerkt werden, doch sie sind da und erfüllen ihren Zweck im Unterbewusstsein des Zuschauers. Auch das Zusammenspiel von visuellen und praktischen Effekten ist derart gut verwoben, dass ein Unterschied nicht auffällt. Da stürzt schon mal ein Flugzeug vom Himmel und landet krachend nur wenige Meter vor der Kamera und den Protagonisten. Besonders im Kino dröhnt dann die überzeugende Geräuschkulisse, die in vielen Momenten von der bleiernen Stille des Niemandslandes lebt, plötzlichen Lärm in Form von Schüssen dann aber umso erschreckender wirken lässt.
Die Schauspieler fügen sich der Inszenierung und bleiben eher im Hintergrund, ebenso wie es die eigentliche Geschichte tut, die, dem zeitlichen Rahmen der Erzählung geschuldet, eher schmal daherkommt. Das größte Problem von „1917‟ ist wohl sein vorhersehbares Pacing, das heißt die Taktung von ruhigen und actionreichen Momenten. Sie wechseln sich in einem Muster ab, dass am ehesten an das von Videospielen erinnert. Auf eine ruhige, dialogreiche und erzählerische Passage folgt Action und Lärm. Und das immer und immer wieder, was mit der Zeit leicht ermüdet.
Sam Mendes bekommt für diesen Filme so viele Preise wie seit „American Beauty‟ nicht mehr, und auch die Oscars werden in ihrer Vorhersehbarkeit wohl von „1917‟ bestimmt werden (Bester Film, Beste Regie, Beste Kamera...). Das ist in einem ohnehin guten Filmjahrgang durchaus akzeptabel.