Politics | Haushaltsgesetz

"In der Wirklichkeit angekommen"

Vouchers, Flat-Tax und die Frage nach der Gerechtigkeit. Alfred Ebner über das Haushaltsgesetz der Regierung Meloni.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
alfred ebner
Foto: Cgil Agb

salto.bz: Herr Ebner, was war Ihre erste Reaktion auf das Haushaltsgesetz der Regierung Meloni?

Alfred Ebner: Mit diesem Haushaltsgesetz ist die Mitte-Rechts-Regierung in der Wirklichkeit angekommen. Man hat etliche Versprechungen gemacht, von denen jeder wusste, dass diese nicht realisierbar sind. Und man merkt auch eine gewisse ideologische Haltung, die für Rechts und Mitte-RInterechts typisch ist.

 

Was sind Ihre größten Kritikpunkte?

Das Erste, wo wir sagen „Das geht nicht“, ist die Flat-Tax bis 85.000 Euro für Selbstständige, die wir als sehr ungerecht empfinden. Auch ist die Anhebung der Bargeldgrenze nicht nachvollziehbar. Und das eigentliche Problem, jenes der Steuerhinterziehung, wird immer noch nicht angegangen, im Gegenteil: Es gibt eine Steueramnestie. Auch ist die Rentenanpassung für Renten ab 2.100 Euro brutto nur teilweise erfolgt.

Die Wiedereinführung der Vouchers sehen wir ebenfalls kritisch, weil hier wiederum nicht an die feste Anstellung gedacht wird.  Wir sind auch der Meinung, dass im Bereich der Inflationsbekämpfung nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden. Beispiel Sanität: Wenn wir eine Inflation von 10 Prozent haben, die Ausgaben in diesem Bereich aber fast gleich bleiben, bedeutet das letztlich eigentlich Einsparungen – ebenso im Bildungsbereich.

 

Der Südtiroler Unternehmerverband vermeldete neulich, im Industriesektor seien die meisten der Arbeitnehmer*innen fest angestellt und würden auch anständig entlohnt

Das mag zum Teil schon stimmen, aber auch in diesem Sektor ging Kaufkraft verloren; andererseits haben wir in Südtirol vor allem einen sehr großen Dienstleistungssektor, wo die Situation schon eine völlig andere ist. Hier reichen die Löhne und Gehälter meistens für die Lebenshaltungskosten nicht aus.  Hier haben wir es Großteiles auch mit befristeten Arbeitsverhältnissen zu tun, was zum Teil natürlich mit den Sektoren Tourismus oder Landwirtschaft zusammenhängt, die beide gewissen Phasen unterworfen sind.

Die Hälfte der Rentenbezieher bekommt unter 1.000 € Rente. Und die Inflation ist zusätzlich höher als auf dem restlichen Staatsgebiet.

Und wir sprechen ja nicht nur über die Arbeitnehmer*innen, sondern müssen auch an die Pensionist*innen denken. Junge Menschen können sich ja noch eine besser bezahlte Arbeit suchen, aber jemand, der/die z. B. 75 Jahre alt ist, findet keine Arbeit mehr – der/die muss sich mit der Rente abfinden. Und die Renten sind im Durchschnitt in Südtirol gar nicht so hoch: im Privatsektor etwa durchschnittlich 13.000-14.000 Euro im Jahr, bei Männern wiederum höher als bei den Frauen. Die Hälfte der Rentenbezieher bekommt unter 1.000 € Rente. Und die Inflation ist zusätzlich höher als auf dem restlichen Staatsgebiet.

 

Angesichts der höheren Lebenshaltungskosten in Südtirol nicht viel…

Ja, wobei wir differenzieren müssen: In Südtirol sprechen wir meist von relativer Armut. Und in vielen Fällen hilft das familiäre und soziale Umfeld etwas aus, Großteils auch die öffentliche Hand. Umso schwieriger wird die Situation aber für all jene, die bisher noch etwas oberhalb dieser Grenze lagen und jetzt akut vom sozialen Abstieg bedroht sind. Das sind meistens Menschen, die zur Mittelschicht gehörten und eigentlich nie damit gerechnet hätten, dass sie von Armut betroffen sein könnten. Die kommen zu uns, sind enttäuscht und frustriert und haben schlichtweg Angst.

 

Und wenden sich dann den Populisten zu?

Ja, viele Menschen sind inzwischen desillusioniert. Es gab in den vergangenen Jahren ja unzählige Regierungen mit verschiedenen Regierungschefs, aber faktisch geändert hat sich nicht viel. Die Menschen sind etwas pragmatischer geworden und sagen sich: „Wenn die Regierung das Versprochene nicht einhält, dann wählen wir sie eben wieder ab“. Wer dann mehr verspricht, bekommt die Stimmen. Das ist auch kein rein italienisches Phänomen, sondern international zu beobachten.

 

Dabei dachten viele, die Zeit des Rechtspopulismus sei vorbei?

Ich glaube, die neoliberalen Theorien und Ansichten sind in Schwierigkeiten. Die Corona-Pandemie hat dieses ganze System ja eindrucksvoll infrage gestellt. Aber es gibt natürlich immer noch gewisse Kreise, die nach jeder Krise für mehr Freiheit für die Privatwirtschaft plädieren. Widersprüchlich wird es dann aber, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wieder zunehmen: Dann sind es gerade diese Kreise, die nach der Unterstützung seitens der Allgemeinheit rufen. Auch gibt es wenige Gewinner und viele Verlierer, die dann für populistische Parolen empfänglich sind. Ich glaube und hoffe, dass sich in dieser Hinsicht in den Köpfen der Menschen endlich etwas ändern wird.

Wir können aber nicht etwas versprechen, was sich nicht umsetzen lässt. Populismus ist für uns einfach keine Strategie.

 

Ist es nicht auch immer eine Frage der Alternative? Wie kann man das verhindern, dass die Menschen nicht wieder denselben Versprechen auf den Leim gehen?

Indem man dagegen ankämpft. Seit ich bei der Gewerkschaft bin, kämpfen wir für mehr Rechte für Arbeitnehmer*innen, für gerechtere Löhne und Gehälter und für ein gerechtes Steuersystem. Nur sind wir von der Gewerkschaft keine politische Partei. Wir müssen Ergebnisse liefern, und wir werden an dem gemessen, was wir imstande sind, durchzusetzen. Hier stoßen wir aber vermehrt auf den Widerstand der Gegenseite. Wir können aber nicht etwas versprechen, was sich nicht umsetzen lässt. Populismus ist für uns einfach keine Strategie.

 

Wie wird es in Italien weitergehen mit dieser Regierung? Was kommt da auf die Italiener*innen zu?

Nun, der Haushalt steht, natürlich wird es noch einige Nachbesserungen geben und auch geben müssen. Aber die großen Themen in naher Zukunft sind sicher die Pensionsreform, die überfällig ist, weil es nicht sein kann, dass sich jedes Jahr die Regeln ändern. Andererseits werden wir uns auch mit der Steuerreform auseinandersetzen müssen. Hier haben wir von der Gewerkschaft natürlich völlig andere Ansichten als die Regierung. Das wird ein harter Brocken werden. Was wir außerdem genau beobachten, sind die Zivilrechte, etwa der Frauen und ihre Rolle in der Familie oder das Recht auf Abtreibung. Aus Regierungskreisen hört man immer wieder, es ginge ihnen um Familien, dabei gibt es ja inzwischen vielerlei Ansichten darüber, was eine Familie ist und wie sie sich zusammensetzt. Also, da sind schon ein paar heikle Themen dabei, wir werden sicher genug zu tun haben!

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Josef Fulterer Fri, 02/10/2023 - 09:23

Eine Gesellschaft die duldet, dass sich besonders Rücksichts-lose Bürger unangemessen dicke Scheiben vom Bruttosozial-Produkt abschneiden und Sklaven-ähnliche Zustände mit elender Bezahlung der vielen Arbeiten hin nimmt, die auch zu verrichten sind oder ohne Entgelt für die Gemeinschaft eingefordert werden, schaufelt sich das eigene Grab.

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Sepp.Bacher Fri, 02/10/2023 - 19:50

Was die Rentner betrieft, die Ihre Renten nicht mit der Gegenseite aushandeln können, finde ich das Verhalten der Rentnergewerkschaften unverständlich. Man zeigt die Probleme zwar auf, formuliert aber keine Lösungsvorschläge und stellt keine Forderungen. Wir Rentner werden nicht nur von der Politik sondern auch von den Gewerschaften links liegen gelassen.

Fri, 02/10/2023 - 19:50 Permalink
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Josef Perkmann Sat, 02/11/2023 - 08:08

Zu Sepp Bacher: Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass die Renten nicht mit der Gegenseite ausgehandelt werden. Alle Renten und Löhne sind das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Staat. Der Ablauf dieser Verhandlungen ist seit 1945 immer wieder derselbe: Die Gewerkschaften fordern (höhere Löhne, mehr Rechte), dann wird mit den Unternehmerverbänden oder mit dem Staat (Region, Land, Gemeinde...) je nach Bereich, verhandelt und nach einem längeren Tauziehen (mit Streiks und Kundgebungen) kommt es zu einem Verhandlungsergebnis, meistens zu einem Kompromiss, selten zur vollen Zufriedenheit der Gewerkschaften und ihrer Basis. So entstanden nicht nur die Löhne und Gehälter, sondern auch die Renten.
Deshalb ist der Lohn von gestern der Vater der Rente von heute.
Die Verhandlungspartner, die Löhne ausgehandelt haben, waren sich alle einig, dass Lohn und Renten zusammengehören und über beides gleichzeitig zu verhandeln ist. Diese Verhandlungspartner haben auch bei der INPS letztlich das Sagen, denn die INPS kassiert die Sozialabgaben und zahlt die Renten aus.
Also sind auch unsere Renten das Ergebnis von Verhandlungen. Wenn die heutigen Renten nicht mehr reichen und in Gefahr sind, dann ist es die Aufgabe der Gewerkschaften am Ball zu bleiben und die Probleme aufzuzeigen, so wie es Alfred Ebner gerade immer wieder tut.

Sat, 02/11/2023 - 08:08 Permalink
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rotaderga Sat, 02/11/2023 - 10:05

In reply to by Josef Perkmann

@Perkmann
Die Theorie der Sonntagsreden, gut aufgelistet.

Nur haben sie dabei die Verwaltungskosten und viele andere "gesetzlich mehr oder weniger Berechtigte" Gratis-Mitesser nicht angeführt.

Wie lange ist es her als Rentner noch einen Inflationsanpassung erhalten haben, wie viele Anpassungen haben sich die Politiker in der gleichen Periode genehmigt ?

Sat, 02/11/2023 - 10:05 Permalink
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Josef Perkmann Sat, 02/11/2023 - 13:18

In reply to by rotaderga

Nochmals zu Sepp Bacher: Einverstanden, Aufzeigen allein reicht nicht. Aber das braucht es auch. Die Rentnergewerkschaften haben eine umfangreiche Plattform vorgelegt und hatten mit der Draghi Regierung bereits einen brauchbaren Inflationsausgleich vereinbart. Die Meloni Regierung hat die Zusagen Draghis wieder zurückgenommen und lediglich für Renten bis zu 2.100 Euro im Monat 7,30 % Inflationsausgleich akzeptiert. Alle anderen Renten werden durch die Inflation Tag für Tag gestutzt. 7,30 % sind für die heutige Regierung bereits mehr als genug, für die Rentnergewerkschaften aber zu wenig. Ich frage mich aber auch, wie viele Rentnerinnen und Rentner wissen, wofür sich die Rentnergewerkschaften einsetzen, wer will eigentlich wissen, was sie fordern, und wie viele stehen hinter den Gewerkschaften, wenn verhandelt wird? Es ist halt viel leichter über offensichtliche Mängel zu lästern, als zu schauen, was Sache ist und sich für etwas einzusetzen.

Sat, 02/11/2023 - 13:18 Permalink