Society | Altenpflege

Eine wenig weitsichtige Entscheidung

In wenigen Tagen soll das Seniorenwohnheim St. Josef in Tisens geschlossen werden – obwohl zwei Jahre lang alles versucht wurde, um es zu verhindern.
St. Josef Tisens
Foto: Fotos: Deutschorden
„Die Realität lässt augenscheinlich verschiedene Betrachtungsweisen zu“, erklärt Sepp Haller, Geschäftsführer des Deutschen Ordens. Je nach Standpunkt würden sich die verschiedenen Sichtweisen auf die Realität hin unterscheiden – in diesem Fall scheiden sich die Geister beim Thema Seniorenwohnheim St. Josef in Tisens, das mit Anfang April geschlossen wird.
Das Seniorenheim, das von den Deutschordens-Schwestern kurz Deutschorden geführt wird, war bereits Gegenstand mehrerer Zeitungs- und Online-Berichte sowie Thema von Landtagsanfragen. Während Landesrätin Waltraud Deeg darauf beharrt, dass es für den Deutschorden „keine Sonderschiene“ geben wird, wie sie kürzlich in einem Salto-Interview erklärte, ist Sepp Haller vollkommen anderer Ansicht. Wie der Geschäftsführer des Deutschordens erklärt, erfülle das Seniorenwohnheim in Tisens eine wichtige Puffer-Funktion, „die allerdings von der Sozialpolitik vollkommen ignoriert wird“.
 
 
 
 
Während die Plätze von gemeindeeigenen oder von Bezirksgemeinschaften geführten Strukturen mehr oder weniger den Bürgern und Bürgerinnen der Anteilsgemeinden vorbehalten sind, stehen die Einrichtungen, die vom Deutschorden geführt werden, auch Bürgern von Außerhalb offen – ausgenommen von dieser Regel ist das neue St. Josefsheim in Meran, für welches eine Konvention mit der Stadtregierung besteht.
Wie Haller erklärt, liege der Vorteil eines privaten Trägers darin, dass es nicht nur eine Konvention mit einer Gemeinde gebe. So besteht in Tisens mit St. Michael nicht nur ein reguläres Altenheim, das vom Konsortium Alters- und Pflegeheim „St. Michael“ geführt wird, sondern auch St. Josef. Die 41 Heimplätze standen dabei sowohl den Bewohnern der Umgebung zur Verfügung, als auch beispielsweise Brunecker Bürgern oder aus anderen entfernten Landesteilen, die in ihren Gemeinden keinen Heimplatz gefunden haben. Auf der bereinigten Warteliste für das Völlaner Heim und St. Josef in Tisens befanden sich vor Kurzem 325 Personen aus 13 Herkunftsgemeinden. „Wir haben einen lokalen Auftrag, erfüllen aber auch eine Art Pufferfunktion“, so Haller, der berichtet, dass das Haus während der vergangenen Jahre aufwendig saniert und renoviert worden sei. Das Gebäude, das sich im Gemeindebesitz befindet, sei zwar in die Jahre gekommen und weise bestimmte strukturelle Defizite auf, erfülle aber sämtliche Sicherheitsbestimmungen und biete das geeignete wohnliche Ambiente für die Heimgäste.
 

Rechenspiele

 
Das Haus wurde vor etwa zwölf Jahren wieder in Betrieb genommen und als Ausweichquartier für St. Josef in Völlan genutzt, wo in der Zwischenzeit eine neue Pflegestruktur errichtet wurde. Als das Völlaner Pflegeheim eröffnet wurde, herrschte jedoch in Meran ein Bettennotstand, weshalb mit der Stadtgemeinde eine unentgeltliche Konvention abgeschlossen wurde; zuerst über 40 Betten, dann über 60. Damit wurde den Meraner Bürgern das Vorrecht auf einen Platz eingeräumt. Anschließend wurde das Projekt zum Bau des neuen Pflegeheimes St. Josef in Meran in Absprache mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrätin Martha Stocker auf den Weg gebracht. „Es sei nie darüber gesprochen worden, dass nach der Eröffnung des Heimes in Meran St. Josef in Tisens geschlossen werden muss“, betont Haller.
Das Tisner Seniorenwohnheim sei immer nur als Übergangsstruktur gedacht gewesen und eine finale Akkreditierung habe man zu keinem Zeitpunkt angestrebt, auch deshalb nicht, weil das rund 40 Jahre alte Gebäude „ein Ablaufdatum“ habe. Dem Deutschorden wurde jedoch mitgeteilt, dass eine Verlängerung der Nutzung als Übergangsstruktur nicht möglich sei, sondern es könne nur um eine finale Autorisierung angesucht werden.
„Wir sind der Meinung, dass diese Struktur noch gut fünf bis zehn Jahre als Seniorenheim genutzt werden kann“, erklärt der Geschäftsführer. Das zuständige Landesamt habe dem Deutschorden jedoch 2019 mitgeteilt, dass die Struktur bis spätestens Ende 2022 zu schließen sei. „Daraufhin haben wir uns zwei Jahre lang um den Fortbestand bemüht“, erklärt Haller.
 
 
 

Weshalb sollte jedoch eine funktionierende Struktur geschlossen werden?

 

Laut derzeit geltendem Landessozialplan ist für die stationären Einrichtungen im Seniorenbereich insgesamt ein Parameter von 89 Plätzen je 1.000 Einwohner über 75 Jahren festgelegt. Nach der Fertigstellung des Meraner St. Josef-Heimes mit seinen rund 150 Plätzen verfügte das Burggrafenamt nun plötzlich über zu viele Betten. Damit die „Statistik“ wieder stimmt, wurde zwischen dem Deutschorden und der Gemeinde Bozen eine Konvention abgeschlossen, „Dank des Einsatzes von Landeshauptmann Kompatscher und Bürgermeister Caramaschi“, so Haller. Darauf wird auch ausdrücklich im Beschluss Nr. 801 der Landesregierung vom 20. Oktober 2020 Bezug genommen. Darin heißt es:
 
„Daraufhin wurde festgestellt, dass in Südtirol in den Städten Bozen (14.218 über 75- Jährige) und Meran (5.071 über 75-Jährige) die meisten Menschen im Alter von über 75 Jahren leben. Aus den Pflegelandkarten sowohl des Sozialdienstes Burggrafenamt als auch der Stadt Bozen geht hervor, dass nach Ansicht der zuständigen Stellen dringend zusätzliche Plätze erforderlich sind.
Vor allem die Stadt Bozen hat einen enormen Bedarf an Betreuungsplätzen, da sie erst mit der Errichtung von etwa 400 Betreuungsplätzen den im Sozialplan angeführten Bedarfsparameter erfüllen würde, kurz- bis mittelfristig jedoch nicht in der Lage ist, diese zu errichten.
Daher hat die Stadt Bozen mit Beschluss des Gemeindeausschusses Nr. 619 vom 28.09.2020 ihr konkretes Interesse an der Übernahme der Betreuungsplätze des Seniorenwohnheims Tisens (41 Plätze) und des Seniorenwohnheims St. Anna in Lana (46 Plätze) bekundet und den Vereinbarungsentwurf mit den Deutschordensschwestern von Lana genehmigt, um ihren Bedarf an zusätzlichen Betreuungsplätzen zu decken.
Die am 30.09.2020 zwischen der Gemeinde Bozen und der Deutschordensschwestern von Lana abgeschlossene Vereinbarung sieht im Wesentlichen vor, dass insgesamt 75 Betreuungsplätze der Einrichtungen Seniorenwohnheim St. Josef in Tisens und St. Anna in Lana der Gemeinde Bozen zur Verfügung gestellt werden: 40 Plätze ab 1.10.2020 und die restlichen 35 Plätze ab 1.10.2021, die den Bürgern und Bürgerinnen über die Warteliste des Betriebs für Sozialdienste Bozen angeboten werden können; die Vereinbarung hat eine Gültigkeit von sechs Jahren ab dem 1.10.2020 und kann verlängert werden.“
 
 
 
Im Beschluss der Landesregierung wurde also festgelegt, dass die Bettenkontingente erhalten bleiben dürfen“, so Haller.
Im Gegenzug dafür erhalten die Bürger der Landeshauptstadt, die in den dortigen Strukturen keinen Platz bekommen, ein Vorrecht bei der Heimaufnahme. 75 Betten wurden dafür reserviert. Diese Konvention ist im Oktober letzten Jahres in Kraft getreten und sollte eigentlich bis 2026 gelten. Damit wäre St. Josef in Tisens weiterhin eine Übergangsstruktur geblieben und die Absicht des Deutschordens wäre es gewesen, das Haus mindestens bis Ende 2026 zu betreiben. „Wenn in der Zwischenzeit Strukturen in Bozen entstanden wären und das Haus nicht mehr als zulässig erachtet worden wäre, dann hätten wir es geschlossen“, so Haller.
Allerdings ist im Beschluss auch Folgendes festgehalten:
„Aufrecht bleibt die Pflicht des Trägers, das Seniorenwohnheim in Tisens und das Seniorenwohnheim St. Anna in Lana an die geltenden Akkreditierungsrichtlinien anzupassen.“
und …
„Ersteres (St. Josef in Tisens) verfügt über eine provisorische Eignungserklärung und eine Akkreditierung, die 2021 verfällt, während das Wohnheim St. Anna bis zum 30. April 2022 akkreditiert ist.“
 

Der eigentliche Knackpunkt

 
Wider Erwarten sei der Deutschorden trotz des Beschlusses der Landesregierung zur Bereitstellung von Betreuungsplätzen vor eine rigorose Auflage gestellt worden: Im Dekret des Amtes für Senioren und Sozialsprengel Nr. 24642/2021 heißt es nämlich, dass von den 41 auf 29 Betten reduziert werden muss, um besagte Autorisierung zu erhalten. Es sei nämlich festgestellt worden, „dass drei Einbettzimmer und neun Zweibettzimmer für eine definitive Nutzung als Betten eines Seniorenwohnheims nicht geeignet sind. Diese Zimmer sind sehr klein und weisen architektonische Barrieren auf, die es den dort lebenden und pflegebedürftigen Senioren nicht ermöglichen, den vorhandenen Raum angemessen zu nutzen.“
„In Anbetracht der derzeitigen dringenden Nachfrage nach Pflegeplätzen wollten wir eigentlich nur Gutes tun und nun kippt das ganze Haus“, zeigt sich Haller enttäuscht und erklärt, dass man nicht in der Lage sei, das Heim mit 29 Bewohnern gut zu führen“. Das Problem sei in erster Linie ein organisatorisches, erst in zweiter Linie ein ökonomisches. Beim derzeit geltenden Betreuungsschlüssel sind bei einem Bettenkontingent von 41 Personen 4,6 Vollzeit-Krankenpfleger vorgesehen. Aus eigener Tasche habe man auf fünf Vollzeit-Stellen aufgestockt, erklärt Haller und betont: „Wir haben ein ganz tolles Team und eine tolle Pflegedienstleiterin, die zugleich auch Krankenpflegerin ist. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, auch schwerst pflegebedürftige Menschen zu betreuen, die in der terminalen Phase sind.“ Wird die Bettenanzahl reduziert, ändert sich gleichzeitig auch der Betreuungsschlüssel und man hätte nur mehr Anrecht auf drei Vollzeit-Krankenpfleger. „Das ist der eigentliche Knackpunkt“, erklärt Haller. Denn damit könne man keine gute krankenpflegerische Betreuung mehr garantieren. „Wir verlieren mit 29 Betten sowohl die Betreuungs- und Pflegequalität als auch die ökonomische Basis“, so der Geschäftsführer, der betont, dass hier vom Landesamt für Soziales wenig umsichtig vorgegangen worden sei. „Aus ihrer Perspektive mögen Landesrätin Deeg und die Abteilung für Soziales sicher recht haben, aber die Realität ist eine andere: Um eine gute Pflegequalität garantieren zu können, werden bestimmte Leistungen benötigt, die erbracht werden müssen.“
Das Interesse des Deutschordens liege im guten Funktionieren des Teams, in der Schaffung eines Ambientes, das Wohlbehagen zulasse, Nutzen stiften und darin, dem Auftrag des helfens und heilens gerecht zu werden. „Bevor wir riskieren, dass wir diesen Auftrag nicht mehr erfüllen können, schließen wir lieber“, so Haller und betont: „Wir verzichten bei unseren Heimgästen sicher nicht auf die Pflegequalität, das kommt nicht in Frage!“