Culture | Salto Afternoon

Zeitgemäßer Mayr

Zeit und die daraus abzuleitende Größe des Rhythmus gaben beim Albert Mayr Konzert am gestrigen Abend den Takt an. Musikalität als Grenzerfahrung in musealer Kulisse.
Albert Mayr
Foto: Privat
Der Abend, aus einer Idee von Andreas Hapkemeyer hervorgegangen, wurde in zwei Teilen von Weggefährten des Südtiroler Klangforschers und Pioniers im Ambient-, wie auch Elektronikbereich bestritten. Vor Beginn hatte man am Eingang zu Handgong-Schlägen Zettel mit einem Statement Mayrs verteilt:
 
Nei prossimi minuti lasciate che i nostri colpi di strumenti a percussione diano la forma temporale ai vostri pensieri, alle vostre sensazioni, alle vostre attività. - Albert Mayr: „Arredo ritmico“ (1995)
 
Der Abend begann nichtperkussiv. Im ersten Teil „Tape for Live Musicians“ (von 1971) traten Francesco Canavese an der E-Gitarre und Francesco Giomi an der Live-Elektonik in Erscheinung. Die beiden Musiker von „Tempo Reale - Centro di Ricerca, Produzione e Didatica Musicale“ befassten sich damit rund 20 Minuten lang (zu Füßen des Gitarristen lief eine Stoppuhr mit), mit dem improvisierten Zusammenspiel zwischen einem 50 Jahre alten Magnetband, welches gewisse Audio-Artefakte aufwies, und ihren Instrumenten. Vom Band kamen repetitive Anweisungen Mayrs ins Museion, aber auch Möglichkeiten der Manipulation ins Spiel: Das offene Wiedergabegerät gab zum einen den Blick aufs Band frei, zum anderen wurde es vor- und zurückgespult, lauter oder stumm gestaltet, gestoppt und neugestartet. Die Aufgabe kam meist Canavese zu, der in seinem Gitarrenspiel eklektisch Sounds einfügte, während Giomi einen direkteren Dialog mit Mayrs Stimme pflegte.
Die in der Hauptsache wiederkehrende Anweisung ist dabei - neben „Stop!“ Und „Continue!“ dermaßen ambivalent, dass hierrin die Pionierarbeit des Stückes von Mayr lag: Sein „and/or from any sound you make go towards another.“, suchte damals das rigide Verhältnis zwischen Live-Musikern und einer voreingespielten Komponente neu zu definieren. In dieses Verhältnis setzte Giomi andeutungsweise auf an Tanzmusik Erinnerndes, immer wieder den aufkommenden Rhythmus unterbindend. Canavese hingegen ging in eine klangliche Dimension, erkundete erst seine Gitarrensaiten längs, gegen deren Oberflächenstruktur, nach Kratzklängen suchend, um später zu verstärktem oder unverstärktem, Shredding zu wechseln. Alle. Klänge manipulierte er mit einer Reihe von Effekt-Pedalen, das Ende der Darbietung war antiklimaktisch: Gerade als sich aus weißem Rauschen heraus von Neuem etwas aufzubauen begann, sogar mit einigen gezupften Tönen, wurde der Schlussstrich gezogen.
Es sollte allerdings nicht das Letzte sein, was in nächster Zeit von Albert Mayr und Tempo Reale zu hören sein wird: Für den 29. April ist mit „Nel Contesto“ ein von Simone Faraci geführter klanglicher Spaziergang zu Albert Mayr angesetzt (dessen Uhrzeit bei Bekanntgabe an dieser Stelle nachgetragen wird). Aus dem Archiv von Tempo Reale stammen im übrigen auch einige der derzeit in der Museion Passage ausgestellten Exponate.
 

Fünf minimal Miniaturen

 
Was von Francesco Michi, Stefano Zorzanello und Luca Miti folgen sollte, waren Mayrsche Klangminiaturen, welche sich in mehr oder weniger expliziter Weise mit Rhythmen befassten, die ein klassisches Verständnis von Musikalität hinter sich ließen.
Das war im ersten Fall eine Übung in Ausdehnung, vorgetragen an Mini-Xylophonen, die in Plastikköfferchen aufgetragen wurden, denen man in Verfärbungen die Zeit auch bereits ansah. Das Instrumentarium verstärkte den spielerischen Eindruck, welchen das Stück hatte. Mit nur drei Tönen und variabel langen Abständen konnte das Publikum seine Fähigkeit im Erkennen von Tonrelationen erproben, welche teils nur in Erinnerung noch nachhallten. Gemeinsame Anschläge wurden von der Mitte heraus an dirigiert, ansonsten schwieg man und spielte konzentriert für sich.
 
 
Miniatur Zwei stand exemplarisch für Mayrs Interesse an Rhythmen in der Natur. „SQRT 2“ (was für Square Root, also Quadratwurzel steht) verweist auf ein in der Geologie wiederkehrendes Muster, welches in bestimmten geologischen Abläufe wiederholt auftritt. 1.4142… näherte Mayr für das Stück in vielfachen von Zehn an, welche vom Klangholz sporadisch geschlagen wurden, Melodica und ein an eine Bluetoothbox angeschlossener Mini-Controler führten am nicht mehr zu erkennenden Takt vorbei ein Gespräch.
Das dritte Stück, 1982 für Francesco Michi von Mayr als Solostück geschrieben, sah ihn am Taschenradio und, zwischen Rauschen, italienischen Radiosprechern und einigen Takten Schlagermusik, Atmen. Nicht um den zufälligen Radio-Lärm ging es in dem Stück, verriet der Musiker vorab, sondern um die je zehn Atemzüge, welche er in den Pausen nahm. Sie waren die eigentliche Musik, welche trotz großer Konzentration seitens des Publikums, in der Passage leiser blieben als der von außen eindringende Grundpegel. Der Blick zählte den Rhythmus an der sich hebenden und senkenden Brust des Musikers mit.
Hatten sich die ersten drei Miniaturen auf die Rhythmuswahrnehmung des Publikums gerichtet, so kann man zu Recht behaupten, dass „Übung“ an die Musiker selbst gerichtet war. Mit Klanghölzern schlugen sie, alle drei von einander abgewandt immer wieder Töne und entschuldigten sich vorab, dass das Stück sein Publikum perplex zurücklassen würde. Wenngleich von links Schläge in variabler Stärke zu hören waren, war der Sinn oder die Auswirkung auf das taktische Paradoxon „Übung“ nicht ersichtlich. Mit diebischer Freude im Gesicht wandten sich die Musiker dann nach getaner Arbeit wieder dem Publikum zu.
Als Abschluss der Musikstücke setzte man ein deutsch/italienisches Sprechstück auf den Plan, welches durch eine Überlagerung der inhaltlich gleichen Sprachpartituren den Inhalt verschleierte. Es ging um Taktverhältnisse, welche vom dritten Musiker mal mit Hilfe eines Metronoms, dann mit Hilfe einer Blockflöte (zu hören ein mittleres C, welches einer Frequenz von 256 Hertz entspricht) physisch umgesetzt wurde, bis der letzte Sprechakt auf die Zeit verwies, welche das Licht für eine Strecke von 4,2 Kilometern braucht.
Das Ende des konzeptuellen Konzerts ging in einen - fast - normalen Donnerstagabend über. Bei der Begehung der Ausstellungen, welche neben Albert Mayrs Time Aspects derzeit Dan Grahams Sonic Youth Pavilion und Asad Razas Arbeit „Plot“ zeigen. Über die Ausstellungsräume verteilt, ein weiteres, in Halbsätze zerteiltes Mayr-Mantra mit Anweisungen und dazwischen Menschen, die mal schneller, mal langsamer werdend, ihren Takt bewusst änderten.
Am Nachhauseweg wurde mir dann noch ein anderer Takt bewusst. Sucht man beim Streaming Dienst Spotify nach Albert Mayr, so findet man ihn auch, mit einer Statistik: In den letzten 28 Tagen haben im Schnitt drei Personen auf Musikstücke von ihm zugegriffen, eine Statistik, die im Tagestakt aktualisiert wird. Wenngleich das sicherlich demographische Gründe hat, ist sich zu wünschen, dass, auch bei einem großen Streaming Dienst, dieser 3 zu 28 Polyrhythmus ein Accelerando erfährt.