Dolor Y Gloria
Almodóvar macht kein Geheimnis daraus, dass der Protagonist in „Dolor y Gloria“ ein Abbild seines Selbst ist. Das wird schnell klar. Salvador Mallo, gespielt von Antonio Banderas ist Regisseur und bereits etwas in die Jahre gekommen. Wir lernen ihn als nachdenklichen, reflektierenden Menschen kennen. Seine große Karriere liegt hinter ihm, ebenso die Lieben, die, Almodóvar entsprechend, homosexueller Natur sind. So blicken wir aus der Gegenwart in die Vergangenheit.
Das europäische Kino lebt weiterhin, und wie dieser Film zeigt, nicht zuletzt dank immer wieder starker Beiträge von der iberischen Halbinsel.
Welche Entscheidungen haben Salvador an dem Punkt gebracht, an dem er sich nun befindet? Welche Schalter wurden umgelegt, welche Menschen hat er im Laufe seines Lebens getroffen? Eine wichtige Rolle spielt dabei seine eigene Mutter. Wir sehen Salvador als aufgeweckten Jungen und als Sohn einer Mutter, die weder besonders viel Zeit noch Liebe für ihr Kind mitbringt. Mit ihr tritt er auch in der Gegenwart in den Dialog. Es sind milde Worte, die die beiden austauschen. Mild ist generell ein gutes Wort, um den Film zu beschreiben. Pedro Almodóvar entfernt sich von jeglichem Exzess, nur der ebenfalls autobiographische Heroin-Konsum seiner Figur lässt daran erinnern. Er ist nachdenklich, stimmt diese und jene Töne an und spielt alle Seiten seines Instruments. Mit sicherer Hand führt der Regisseur durch seine Erzählung. Dabei wirkt alles so souverän und sicher, ja so ohne Zögern, dass man beinahe vergisst, wie viel Gefühl und Hingabe in diesem Film steckt. Er wirkt an vielen Stellen und auch insgesamt wie eine Fingerübung, wie ein kurzes Schnipsen, aus dem ein großartiger Film entsteht. Man muss nicht mehr über die Handlung wissen, denn sie ist im Grunde nicht wichtig. „Dolor y Gloria“ ist kein Film, der über seine Geschichte funktioniert, vielmehr eine Momentaufnahme seines Protagonisten. Wir sehen in sein Inneres, zu dem er uns dankenswerterweise Zutritt gestattet. Zu großen Teilen ist der intime Einblick in die Gefühls-und Gedankenwelt dieses Menschen auch seinem Darsteller zu verdanken. Antonio Banderas spielt leise und zeigt so Seiten, die man kaum von ihm erwartet hätte. Er weiß, sicher auch unter der guten Schauspielregie Almodóvars, niemals vom richtigen Weg abzukommen. Zu jedem Zeitpunkt verschmilzt er mit dem Alter Ego des Regisseurs, in sprichwörtlichem Sinne. Seine Figur ist demütig, nostalgisch und sanft zugleich. „Dolor y Gloria“ ist kein Film des großen Dramas. Das hat er auch nicht nötig, sind es doch die Ereignisse der Vergangenheit, die zur Stunde Null, zum Jetzt, zum Resümee eines Lebens und einer Karriere geführt haben. Gemäß seiner Geschichte verhält sich auch Almodóvars Inszenierung. Ruhig wie eh und je, präzise und unaufgeregt leitet der Regisseur durch die Laufzeit von knapp zwei Stunden. Die Kameraarbeit besticht durch satte, farbenfrohe Bilder. Almodóvar macht klar: Obwohl wir hier mit nostalgischem Blick zurück sehen, ist die Gegenwart dennoch lebendig und nicht der Grund für die Flucht in die Erinnerung. Um den Status Quo seines Protagonisten zu verdeutlichen greift er auch schon mal zu unkonventionellen Mitteln. So erläutert Almodóvar die Leiden seines Alter Ego anhand von animierten Szenen und bricht so bewusst mit der Sehgewohnheit. Stringenz ist ohnehin nicht das Ziel des Films, der immer wieder vor und zurück springt und so wie ein Gedankenstrom seines Protagonisten anmutet.
Nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes galt „Dolor y Gloria“ schnell als einer der Favoriten auf die Goldene Palme. Das ist für Pedro Almodóvar, der mit diesem Film bereits zum siebten Mal im Wettbewerb vertreten war, zwar nichts Neues, doch standen die Chancen in diesem Jahr ungleich höher. Zur reinen filmischen Qualität gesellte sich der autobiographische Aspekt und die Tatsache, dass der spanische Filmemacher spätestens jetzt sein Spätwerk eingeläutet hat. Noch dazu ist der Film, ähnlich wie der Cannes-Sieger „Amour“ von Michael Haneke eine Reflexion über das Älterwerden und fasziniert durch seine milde Art der Erzählung. Gern gesehene Faktoren in Cannes. Dennoch hat es auch dieses mal nicht für den Hauptpreis gereicht. Lediglich Banderas wurde zurecht mit dem Preis für die beste männliche Schauspielerleistung ausgezeichnet. Neben ihm sticht vor allem Penélope Cruz in ihrer reduzierten, aber erinnerungswürdigen Rolle als Mutter des jungen Salvador hervor.
Almodóvar, Banderas, Cruz – Spanien schickt die Creme de la Creme auf die Leinwand – und es lohnt sich, das titel-gebende Leid und die darauf folgende Herrlichkeit auf sich zu nehmen. Das europäische Kino lebt weiterhin, und wie dieser Film zeigt, nicht zuletzt dank immer wieder starker Beiträge von der iberischen Halbinsel. Klare Empfehlung.