Chronicle | Verbrechen

„Hatten alle Angst vor Benno“

Carla Perselli, die Schwester der getöteten Mutter, spricht vor Gericht über ihren Neffen Benno Neumair. Der mutmaßliche Mord sei für sie „ein doppelter Schmerz“.
carla_perselli.jpg
Foto: Salto.bz
Im Mordprozess gegen Benno Neumair spricht am 31. Mai Carla Perselli im Zeugenstand. Am 4. Januar 2021 soll der 31-Jährige seine Eltern Laura Perselli und Peter Neumair in ihrer Wohnung in Bozen erdrosselt haben. Carla Perselli, die Schwester von Laura Perselli, ist gemeinsam mit Madé Neumair Nebenklägerin im Prozess.
Der vermutliche Todestag der beiden Eltern ist auch der Tag, an dem Carla Laura zum letzten Mal gesehen hat. Sie hatten ihre pflegebedürftige und demenzkranke Mutter aus dem Krankenhaus in ihre Wohnung gebracht. „Laura war sehr müde und ging um 18:10 Uhr nach Hause“, sagt Carla. Ihre abgeschickten Nachrichten an sie hat Laura nicht mehr erhalten.
Bei der Polizei wechselte Benno den Ton und sagte, es seien seine Eltern und wir sollen ihn reden lassen - Carla Perselli
 

Das Verschwinden des Elternpaars

 
Am Tag darauf erschien Laura auch nicht wie vereinbart in der Wohnung der Mutter. „Ich dachte, sie hat beim Organisieren des Physiotherapeuten für die Mutter die Zeit vergessen.“ Als Benno am Haustelefon ihrer Mutter anrief, um sich nach ihrem Zustand zu erkundigen, klang er fröhlicher als sonst. Wenig später erhielt sie einen Anruf von Madé. „Sie weinte am Telefon, weil sie ihre Eltern nicht erreichte und sie auf ihre Nachrichten nicht antworteten“, sagte Carla. Zudem habe Madé das Gefühl, dass Benno sie anlügt. Carla habe sie vergeblich zu beruhigen versucht.
Nun selbst beunruhigt ging Carla mit ihrem Mann zu der Wohnung der Eltern, in der zu dieser Zeit auch Benno wohnte. Anfangs dachte sie, dass ihre Schwester mit ihrem Partner vielleicht eislaufen war und verdächtigte Benno noch nicht. Als er ihnen die Tür öffnete, bemerkte sie kleine, noch frische Verletzungen an seinen Händen. „Er sagte, er sei mit dem Rad gestürzt“, so Carla.
 
 
„Benno wollte uns beruhigen und ich wurde misstrauisch. Außerdem hatte er das Auto der Eltern benutzt, was sie ihm eigentlich nicht erlaubten. Das wunderte mich.“ Benno hatte das Auto angeblich wegen dem Schnee in einer anderen Straße geparkt. Als sie gemeinsam im Auto nachsahen, ob dort die Schlittschuhe des verschwundenen Elternpaares waren, nahm Benno eine gelbe Decke mit. Zurück in der Runkelsteinstraße war die Decke verschwunden, so Carla.
Mein Sohn sagte mir, er sei gefährlich. Wir hatten alle Angst vor Benno - Carla Perselli
Carla und ihr Mann überzeugten Benno anschließend, eine Vermisstenanzeige aufzugeben. „Bei der Polizei wechselte Benno den Ton und sagte, es seien seine Eltern und wir sollen ihn reden lassen“, sagt Carla vor dem Schwurgericht. Je mehr Zeit verstrich, desto geringer wurde Carlas Hoffnung die beiden lebend wiederzufinden – und sie wurde Benno gegenüber misstrauischer.
 

Die Zweifel

 
„An dem Tag, an dem Benno dabei angehalten wurde, wie er das Auto waschen wollte, hat es bei uns Klick gemacht“, sagt sie. „Das wäre unter normalen Umständen sein letzter Gedanke gewesen. Noch dazu gab er ständig Interviews. Darum habe ich begonnen, Telefongespräche mit Benno aufzuzeichnen.“ Sie hatten Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird und Laura und Peter nicht gefunden werden. Die Aufzeichnungen übergab sie der Polizei.
Obwohl Carla zuvor ein gutes Verhältnis zu Benno hatte, stritt sie am 16. Januar mit ihm. Der Grund dafür war ein Versuch ihrer Schwester Elisabetta Perselli und Benno Neumair, der pflegebedürftigen Mutter eine Infusion zu geben. „Meine Schwester Betti war sehr besorgt um unsere Mutter, aber niemand von uns ist ein Arzt. Sie waren schon auf der Suche nach der Vene. Ich rief an und habe komplett die Fassung verloren.“ Sie habe Benno angeschrien und gedroht, die Polizei anzurufen.
Benno ist mein Neffe, den ich geliebt und in meinen Armen gehalten habe - Carla Perselli
Nach dem Vorfall rief Benno sie an, um ihr vorzuwerfen, dass sie ihn angeschrien hatte und sie sich nicht um ihn kümmere. Er verlangte eine Entschuldigung. Auch dieses Telefongespräch hat Carla aufgezeichnet und es wird im Gerichtssaal abgespielt. Bennos Stimme klingt aufgebracht und verletzt, Carlas Stimme bleibt ruhig und streng. „Ich habe nichts, wofür ich mich entschuldigen müsste“, sagte sie am Ende des Telefongesprächs. Aus Angst vor Benno schickte sie ihm danach eine versöhnliche Nachricht. „Mein Sohn sagte mir, er sei gefährlich. Wir hatten alle Angst vor Benno.“
 
 

Die Sicht von Carla Perselli

 
„Die Charakterseiten von Benno sind immer dieselben“, sagt Carla, die ihren Neffen aufwachsen gesehen hat. Er sei hartnäckig, sportlich, engagiert, aber auch rechthaberisch und unehrlich. „Benno ist mein Neffe, den ich geliebt und in meinen Armen gehalten habe. Das ist ein doppelter Schmerz. Und wofür? Hätten sie einen Gehirntumor bei ihm gefunden, wäre das etwas anderes. Aber diese Kälte ist einfach zu viel“, sagt sie und kämpft mit den Tränen.
„Laura und ich hatten eine sehr enge Beziehung und wir verbrachten gemeinsam mit unseren Familien Urlaub in Bali.“ Sie vermisse ihre Schwester, sie sei eine offene, neugierige und direkte Person gewesen. „Sie hat viel geredet und viel gegeben.“ Auch zu Peter hatte sie eine gute Beziehung: „Er war ein ruhiger, gebildeter und ironischer Mensch.“
 
 
Die Eltern hätten ihre Kinder Madé und Benno gleichermaßen beim Studium finanziell unterstützt. Allerdings sei Benno nicht mit der vereinbarten Summe ausgekommen. „Laura hat einmal zu mir gesagt: ,Wenn Madé wüsste, wie viel Geld wir jeden Monat Benno geben…‘“, so Carla. Die Eltern hätten ihn immer wieder unterstützt. Allerdings war der Ärger groß, als sie erfuhren, dass Benno ein Jahr lang keine Prüfungen abgelegt hatte. Als er im Herbst 2020 als Supplent in einer Mittelschule in Bozen arbeitete, forderten sie von ihm einen monatlichen Beitrag von 300 Euro für den gemeinsamen Haushalt ein.
Benno schien sich in dieser Zeit nach seinem psychiatrischen Aufenthalt in Neu-Ulm in Deutschland zu erholen. „Er hat Laura einmal umarmt und sich für ihre Unterstützung bedankt, das hat sie sehr berührt“, so Carla. „Als er zur Weihnachtszeit aber sagte, er wolle die Supplentenstelle nicht weiterführen, war Laura besorgt, dass er wieder Rückschritte machen könnte.“ Gleichzeitig war es schwierig, Benno zu kritisieren. Die Eltern waren darauf bedacht, keine Diskussion eskalieren zu lassen. Am 4. Januar 2021 soll genau das aber nicht funktioniert haben – denn der Auslöser für den Doppelmord war laut Gerichtsgutachten ein Streit mit dem Vater.
Der nächste Prozesstermin findet am 8. Juni statt, um Zeug:innen der Nebenklägerinnen zu befragen. Benno Neumair soll erst am 5. oder 6. September selbst vor Gericht aussagen.