Chronicle | Gerhard Mumelter aus Rom

Der Cavaliere zwischen Hoffen und Bangen

Blüht Italien bei den Parlamentswahlen 2015 erneut ein Spitzenkandidat Silvio Berlusconi? Ein Blick hinter die Kulissen des römischen Palazzo di Giustizia, wo Journalisten aus aller Welt auf die Urteilsverkündung im Mediaset-Prozess warten.
IntoXication live 2010
Foto: rhd

Es ist heiß im Gerichtssaal des römischen Palazzo di Giustizia. Der alte Ventilator ist überfordert. Auf den engen Bänken drängen sich frustrierte Journalisten, denen das Gericht die Benützung elektronischer Medien streng untersagt hat. Die Kamerateams aus aller Welt harren der Dinge draußen am Tiberufer - in der unsicheren Hoffnung, wenigstens zur Urteilsverkündung vorgelassen zu werden. Das Medientheater lässt Staatsanwalt Antonio Mura kalt. Der prominente Vertreter der konservativen Richtervereinigung Magistratura indipendente  macht keinen Unterschied zwischen dem Verfahren gegen Silvio Berlusconi und den Prozessen um Scheckfälschung und Schwarzbauten, die er kurz vorher zu bestreiten hatte. Der Mediaset-Prozeß sei in den ersten Instanzen rigoros der Gesetzgebung gefolgt. Das Urteil zu vier Jahren Haft für den Cavaliere vollauf gerechtfertigt.

Doch gegen Ende seines Plädoyers wartet Mura unerwartet mit einer überraschenden Forderung auf: „Berlusconis Ausschluss von allen Ämtern muss von fünf auf drei Jahre reduziert werden, weil dafür keine ausreichende gesetzliche Grundlage bestehe." Damit zeichnet sich bereits vor dem für Donnerstag erwarteten Urteil eine Wende ab. Würde Berlusconi nur für drei Jahre von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, könnte er 2015 als 80-jähriger erneut als Spitzenkandidat bei den kommenden Wahlen antreten.

Berlusconis Anwälte Franco Coppi und Niccoló Ghedini begrüßten Muras Forderung, wollen sich damit aber nicht zufriedengeben. Coppi peilt eine Annullierung des Berufungsurteils an, dessen Begründung „juristisch keineswegs stichhaltig" sei. Der prominente Strafverteidiger, der am Nachmittag spricht, gibt sich zuversichtlich, den entscheidenden Vorwurf des „absichtlichen Steuerbetrugs" entkräften zu können. Berlusconis Verteidigung hat das Urteil des Mailänder Berufungsgerichts in rund 50 Punkten angefochten. Halten die Richter auch nur einen dieser Einsprüche für begründet, könnte das Rennen für Berlusconi gelaufen sein. Auch ein „compromesso all'italiana" wird nicht ausgeschlossen: eine Haftstrafe unter drei Jahren für den Cavaliere, aber kein Ausschluss von öffentlichen Ämtern. Damit wäre Berlusconi erstmals rechtskräftig verurteilt, aber ohne unmittelbare politische Folgen.