Culture | Uraufführung

„Kochtöpfe im goldenen Schnitt“

Bei einer Pressekonferenz wurde heute noch einmal auf die morgige Uraufführung von Georg Friedrich Haas’ „11.000 Saiten“ hingewiesen. Beide Aufführungen sind ausverkauft.
11.000 Saiten PK
Foto: Privat
Selten sieht man eine Pressekonferenz, bei welcher das Panel von Sprecher:innen in etwa gleich groß ist, wie die Menge anwesender Journalist:innen. Zugegeben, die für einen Vortrag aufgestellte, den Rahmen der Präsentation sprengende Bestuhlung verstärkte den Eindruck noch einmal und für das Zustandekommen des komplexen Projekts galt es vielen Seiten zu danken.
Als erstes ergriff der Bürgermeister von Bozen, Renzo Caramaschi das Wort, bekundete, dass er die Gustav Mahler Academy unterstützen werde so lange er im Amt sei und teilte anekdotische Erinnerungen an das Gründungsjahr der Gustav Mahler Academy (1999).
Die Präsidentin der Stiftung Ferruccio Busoni – Gustav Mahler, Patrizia Spadafora wies noch einmal auf die Vorzüge eines seit heuer als Bienium stattfindenden Academy Programms hin, welches sich so mit den Aktivitätshöhepunkten des Klavierwettbewerbs abwechseln kann.
Als Höhepunkt wertete auch Sylvia Hofer, seit kurzem Mitglied im Verwaltungsrat, den morgigen Konzertabend: „Das hat es in Bozen noch nie gegeben.“, meinte sie schlicht und dürfte Recht behalten. Allein räumlich dürfte es für die Aufführung den in der großen Messehalle zur Verfügung stehenden Raum für die 50 Klaviere mit ihren rund 11.000 Saiten (die Kammer-Orchester-Delegation der Gustav Mahler Academy ist bei diesen noch nicht einmal mitgezählt) brauchen. Dennoch nahm sich Messedirektor Thomas Mur die Zeit, darauf hinzuweisen, dass das Interesse am Klavierspiel im Jubiläumsjahr (die Bozner Messe wird heuer 75 Jahre alt) keineswegs ein Einzelfall sei: 1949 hatte ebendort der erste Internationale Klavierwettbewerb Ferruccio Busoni stattgefunden, bereits damals mit namhafter Beteiligung am Ehrenkomitee: Unter anderem waren Wilhelm Backhaus, Alfred Cortot und Arturo Benedetti Michelangeli Teil des Gremiums.
Prominent ebenfalls die Vertretung von Wien Modern, durch den Künstlerischen Leiter Bernhard Günther, der Erinnerungen an eine andere Uraufführung eines Werkes von Georg Friedrich Haas erinnerte, bei der ebenfalls sechs mikrotonal zu einander gestimmte Klaviere zum Einsatz kamen. „Je experimenteller die Konstellation, umso mehr fällt Georg Friedrich Haas ein.“, zeigte er sich überzeugt. Von einer rein technischen Deutung des Stückes, welches auch die kommende Saison von Wien Modern eröffnen wird, riet er ab. Er habe das Stück als ein „Klangschwimmbad“ erlebt und verstanden, riet dazu das Stück nicht technisch, sondern emotional zu erleben und sich damit nicht auf die Dimensionen und die Farbe einzelner Schwimmbadkacheln zu versteifen.
Peter Paul Kainrath, künstlerischer Leiter des Busoni, teilte seine eigene Assoziation zum Stück, welches er als einen „Wind aus der Tiefe des Universums“ erlebt habe.
Stefano Bozolo, der für die Koordination der bis vor Kurzem fieberhaft gesuchten 50 Pianist:innen zuständig war, zeigte sich nicht nur durch die vordergründig im Fokus stehenden Klaviere, sondern insbesondere durch die Orchestrion beeindruckt, da diese dem Klavierspiel Farbe und Struktur verleihe.
Der Komponist selbst ergriff das Wort nachdem Sisi Ye sich in Bescheidenheit geübt hatte. Sie war in Vertretung der chinesischen Klavierfabrik Hailun anwesend, aus welcher die 50 baugleichen Klaviere stammen, die für das Projekt ein Jahr lang zur Verfügung stehen werden. Er, Georg Friedrich Haas, kannte die Zurückhaltung von Sisi Ye nicht. Nachdem er versichert hatte, Musik für „50 Klaviere und noch ein paar Instrumente“ zu komponieren sei „nicht sehr schwer“, ging er zum Lob für die Partner aus China über, allen voran die beiden aus der Volksrepublik angereisten Klavierstimmer, dann für den „wunderbaren Klang“ der oft als „anrüchig“ geltenden Pianini, welche bei der Klangprobe vor Ort seine „größte Angst“ um den Klang von Akkorden und dem Zusammenspiel mit dem Orchester zerstreut hätten. Wäre das Ganze ein Werbegag für die Firma, so wäre er gern bereit diese Werbung zu machen: „Ich unterstütze diese Werbeaktion aus künstlerischen Gründen zu 100%, weil die Instrumente wirklich großartig sind“. Abschließend wies Georg Friedrich Haas noch einmal darauf hin, dass auch die Zahl 50 keine einfache Kuriosität sei, sondern eine musiktechnische Begründung habe: „Wenn ein Geiger sein Instrument stimmt, dann stimmt er es nach der Quint. Wenn man ganz genau hinhört, dann sind diese Quinten nicht ganz rein, sondern weichen um den 50. Teil eines Halbtons ab.“ Oder, so meinte Haas auch im Laufe der Konferenz: „Die Theorie ist für das Publikum irrelevant, wichtig ist die Wirkung.“ Wir haben das Thema mit dem Komponisten auf dem Weg in die Messehalle, in welcher der eindrucksvolle Konzertaufbau bereits auf den morgigen Abend wartet, noch einmal in bildhaften Metaphern vertieft.
 
Georg Friedrich Haas
Georg Friedrich Haas: Der Komponist verfolgt die Aufbauarbeiten mit großer Konzentration, sein größten Sorgen hat er bereits hinter sich. | Foto: Privat
 
Salto.bz: Herr Haas, Sie haben der Konferenz aufmerksam aber bis zuletzt schweigend beigewohnt. Immer wenn das Stichwort „Emotion“ fiel, haben Sie zustimmend genickt. Ist die Stückentwicklung in der Komposition von einer solchen Emotion ausgegangen, oder muss man bei 50 Pianini doch bei der Technik anfangen?
 
Georg Friedrich Haas: Man darf als Interpret und als Zuhörer nicht mit der Technik beginnen. Es kommt in der Musik immer darauf an, wie es wirkt. Wenn Sie in ein Restaurant gehen um dort zu essen, dann interessiert es Sie nicht, ob die Kochtöpfe am Herd im goldenen Schnitt angeordnet waren. Da kommt es darauf an, wie es schmeckt. Umgekehrt muss aber der Mensch, der kocht sehr genau wissen, was er macht. Als Komponist bin ich absolut rational aber das Ergebnis muss emotional wirken.
Ich habe gestern in meinem Vortrag für die Studierenden der Gustav Mahler Academy mit Anton Webern ein historisches Beispiel gemacht. In allen Schulbüchern wird er als der schlimmste Konstrukteur der Musikgeschichte dargestellt, war aber als Musiker ein sentimentaler Romantiker. Ich habe vorgeführt, wie dasselbe Stück von Webern und einem großen zeitgenössischen Interpreten einstudiert klingt, das sind zwei verschiedene Stücke.
Es gilt also Emotion für den Hörer, Technik für den Komponisten. Ein Schauspieler, der den Romeo gibt und als Mensch in die Julia verliebt ist, der wäre wahrscheinlich ein schlechter Schauspieler.
 
Es wurde auch davon gesprochen, dass das einzelne Pianino selbst in seiner Hörbarkeit zurücktritt und bei der Aufführung eine Art „Metaklavier“ entsteht. Wie gehen Sie mit dieser Paradoxie um?
 
Jetzt muss ich doch zum Technischen kommen: das ist das Zusammenwirken von vielen Ereignissen, in denen das Einzelereignis nicht mehr individuell hervorsticht. Das ist etwas, was zur Kompositionstechnik gehört. Ich vergleiche es am ehesten mit einem Ameisenhaufen: Jede Ameise hat ihren genau definierten Weg, trotzdem wird niemand die Ameisen einzeln verfolgen, man sieht die Bewegung als Ganzes am Ameisenhaufen. Die Vorstellung, die sie von einem solchen Haufen haben ist sehr präzise, obwohl sie nicht feststellen können, wo sich die einzelne Ameise bewegt. Gleich ist es mit dem Stück.
 
Um auf die Emotionalität zurückzukommen: Wir haben bei der Konferenz von zwei sehr bildhaften Stückerfahrungen gehört, zu welchen ich Sie nicht zwingen möchte. Gibt es eine Emotion, welche Sie mit dem Stück assoziieren?
 
Das kommt mir ein bisschen so vor, als wenn man bei der Beschreibung eines Rotweins von einem Abgang mit Schokoladenaromen spricht. Das kann man natürlich machen, aber wenn jemand ein Glas Wein trinkt, dann wird er nicht nach der Schokolade fragen.
 
Ich möchte Sie gar nicht nach dem Abgang, sondern nach dem vordergründigen Geschmack fragen…
 
Ja. Dieses Stück hat etwas von Macht, dem Willen und dem Materiellen, von dem wir umgeben sind und dieses handhaben zu können. Ich glaube, das führt zu Emotionen der Stärke, Weite und kosmischer Verbundenheit, oder wie immer man das nennen möchte. Wenn so etwas entsteht, dann freue ich mich aber ich will niemandem vorschreiben, welche Geschmacksnuancen er oder sie in meinem Stück zu finden hat. Es ist nicht so, dass das eine konkrete Geschichte, wie etwa eine Liebesgeschichte oder ein Protest gegen den Klimawandel ist… Aber es ist schon der Aufschrei eines Menschen, der in einer Welt lebt, die aus den Fugen gerät und der in dieser Halt sucht. Auf diesen Punkt denke ich kann man das Stück bringen.