Wenn’s gut geht, bist a Held...
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Zunächst wurde noch einmal ein zeitlicher Abriss der Ereignisse und Beweggründe gegeben, die zur Auflösung des Vereins geführt hatten. Allen voran die unglückliche Verkettung der Fehleinschätzung des Einsatzleiters bei gleichzeitigem Materialversagen, erschwert durch den Ausfall der Kommunikation während eines extremen Wetterumschwungs, die am 2. August 2024 zum Tod von Mario Rossi, während seiner Bergung führten. Näher beleuchtet wurde auch das anschließende Gerichtsverfahren, das zur Verurteilung aller an der Aktion beteiligten Bergretter führte, deren Erstwohnungen daraufhin für die absurd hohen Schadensersatzzahlungen beschlagnahmt wurden. Seit jenem verhängnisvollen Freitag vor genau vier Jahren „musste das Wort Eigenverantwortung aus dem Wortschatz gestrichen werden“, bemerkte bitter der ehemalige Landesleiter Sepp Hintertoler. „Schuld sind heutzutage immer die anderen - niemals der Betreffende selbst“, fügte Hintertoler hinzu. Dass sich für diese Umkehrung der Verantwortlichkeit auch noch ein Richter finde, sei der eigentliche Skandal. Dabei hätte das viral gegangene Video von Rossi, der mit seinem Sohn auf dem Arm ohne Klettersteigset, Helm oder sonstige Ausrüstung den Quergang am Toni-Egger-Klettersteig entlangbalancierte klar bewiesen, wie verantwortungslos sich da jemand selbst in Gefahr gebracht hatte. Schon der Fall des Bergführers Kuno Kaserer, der für das Auslösen einer Lawine (ohne Opfer) im Skigebiet Schnals am 19. November 2000 rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt worden war oder die diversen Prozesse um Rodelunfälle in Skigebieten hatten aufgezeigt, dass es einen Trend gab, die Regeln und Haftbarkeiten vom Tal auf den Berg zu übertragen. „Mit einer Vollkasko-Mentalität sollte man keine Bergschuhe schnüren“, bemerkte dazu lakonisch Hintertoler.
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2.000 m ü. M.
Die Auflösung der Bergrettung im Selbstschutzweg, 78 Jahre nach ihrer Wiedergründung am 6. März 1948, da keine Versicherung mehr bereit gewesen war, den Verein gegen Schadensansprüche zu versichern, sei daher nur folgerichtig gewesen, betonten die ehemaligen Vorstandsmitglieder unisono. Es sei traurig, dass dies der einzig gangbare Weg gewesen sei, die Bergwelt über 2000 Meter Meereshöhe den Klauen der Winkeladvokaten, Staatsanwälte und Richter zu entreißen. Wer sich heute in die Berge begibt, tut dies im Wissen, dass im Ernstfall niemand zu Hilfe kommen wird - nachdem auch der Aufbau eines privaten Rettungsdienstes durch ehemalige Bergretter an den Versicherungskosten gescheitert war.
Karabiner und Abseilachter an den Nagel zu hängen, sei natürlich ein Schock für manche Retter gewesen und der Skandal um die Landesnotrufzentrale im Sommer 2026, müsse durch diese Optik betrachtet werden. „Es menschelt halt immer“, kommentierte Hintertoler die Praxis einiger 112er Hilferufe heimlich an befreundete Bergretter durchzustechen, anstatt wie vom Protokoll vorgesehen, einfach zu registrieren und den Anrufer darauf hinzuweisen, dass niemand zu seiner Rettung kommen werde. So gut gemeint es gewesen sei, die Retter hätten mit ihrem rücksichtslosen Helfersyndrom gegen die erste Regel der Rettung verstoßen: Selbstschutz. Diese Männer und Frauen - glücklicherweise an zwei Händen abzuzählen - hätten bei einem Unfall während der Bergung ihre finanzielle Zukunft gefährdet. Das sei kein verantwortungsbewusstes Verhalten und eines vormaligen Bergretters unwürdig, unterstrich der Landesreferent der Hundeführer Goggel Totsch auf Nachfrage. Es sei für niemanden im Verein ein Leichtes gewesen von 1.550 Einsätzen mit 18.570 Einsatzstunden im Jahr 2023 (das letzte Jahr für das es verlässliche Zahlen gibt) auf null zu bremsen - aber nach allen Abwägungen sei dies der einzig mögliche Ausweg für den Verein gewesen. Denn wohin der Klagewahn der Menschen führe, zeigen die Episoden rund um die Rechtsstreitigkeiten des AVS mit Nutzern ihrer Wander-App „Alpenvereinaktiv“, welche die Warnungen, man habe die geplante Route verlassen, einfach ignoriert hatten, da jemand in der Gruppe eine Abkürzung kannte und wusste, dass „das Auto tausendprozentig hinter der nächsten Biegung“ stehe. Dass man sich dann verlaufen habe und die Nacht im Freien verbringen musste, weil die 112 den Anruf zwar registriert, aber niemanden geschickt habe, sei in erster Linie Schuld des AVS: Erstens hätte die App intensiver, quasi hysterisch warnen müssen, zweitens sei „§ 13 Haftung der Anbieterin“ unter den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“: „Dies gilt nicht, sofern der Schaden Leben, Körper oder die Gesundheit betrifft, vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde, aus dem Nichtvorhandensein einer garantierten Beschaffenheit oder aus der schuldhaften Verletzung einer vertragswesentlichen Pflicht resultiert, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages überhaupt erst ermöglichen und auf deren Einhaltung der Vertragspartner regelmäßig vertrauen darf (Kardinalpflichten)“, in so verklausuliertem Juristendeutsch formuliert gewesen, dass man daraus nie hätte ablesen können, dass … -
2.001 m ü. M.
Es verwundert daher wenig, dass in den App-Stores von Google oder Apple keine Wander-Apps mehr zu finden sind und alle großen Anbieter wie Komoot, Outdooractive oder Bergfex ihre Produkte vom Markt genommen haben, um keine langwierigen und existenzgefährdenden Prozesse zu riskieren. Derartige Bedenken haben offensichtlich auch die Entscheidung der Kompass-Karten GmbH beeinflusst, ihr Geschäftsfeld zu verlagern und keine neuen Wander-, Fahrrad- und Skitourenkarten mehr aufzulegen. Bis jetzt hatte der Grundsatz „Wer eine Karte nicht lesen kann, sollte sie nicht benutzen“ Bestand, doch darauf scheint man in Innsbruck nicht weiter zu vertrauen. Unbestätigten Gerüchten zufolge stellt man bei Casa Editrice Tabacco in Friaul ähnliche Überlegungen an, was Wanderfreunde in naher Zukunft ohne Kartenmaterial zurücklassen könnte. Schon heute werden gebrauchte Wanderkarten von 2027 in Online-Auktionshäusern zu absurden Preisen versteigert. Dabei wäre gutes Kartenmaterial Grundvoraussetzung für eine entspannte Bergtour - vor allem jetzt, wo die Wegepaten des AVS nach harter, zweijähriger Arbeit, alle Wegweiser und Markierungen von jenen 6.000 km Wander- und Bergwegen entfernt haben, welche die einzelnen AVS-Sektionen und Ortsstellen betreuen. Mit dem Auslaufen des Abkommens zwischen Land Südtirol, AVS, CAI, Landesverband der Tourismusvereine und Südtiroler Bauernbund zur Aufwertung, Instandhaltung, Verwaltung und Nutzung der Wanderwege in Südtirol mit Ende dieses Jahres, beschränkt sich die Instandhaltung der Wege dann auf das Entfernen von Steinmännchen, die manche Wanderer widerrechtlich errichten, bestätigte auf Nachfrage der Südtiroler Alpenverein. Man darf gespannt sein, ob das Land Südtirol dann das offizielle Verzeichnis der Wanderwege aus seinem Geobrowser nimmt. Unter Insidern wird dieses derzeit als das einzig verbliebene Tool gehandelt, um Touren außerhalb der Heimatgemeinde zu planen, wo nicht auf ortskundige Freunde zurückgegriffen werden kann und sich keine Karte im entsprechenden Maßstab in der - wie ein Augapfel gehüteten - Hausbibliothek finden lässt.
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224 m ü. M.
Die Entscheidung der Südtiroler Zivilgesellschaft, allen voran die ehemalige Bergrettung, das Wandern und Bergsteigen auf den ursprünglichen Charakter des ultimativen Abenteuers zurückzustufen, hat aber auch positive Seiten: Das Wort Overtourism, vor wenigen Jahren noch in aller Munde, ist ab 224 Metern Meereshöhe - auf denen Salurn bekanntlich liegt - heute ein Fremdwort. Ein früher völlig überlaufener Friedrich-August-Weg am Sellajoch ist heute verwaist. In der Steinernen Stadt unterm Langkofel begegnen Ihnen an guten Tagen nur eine Handvoll Wandergesellen. Liftprojekte wie die Erschließung der Cunfin-Böden wurden zu den Akten gelegt; fast alle anderen Aufstiegsanlagen haben im Sommer wegen Unrentabilität geschlossen. Jetzt macht sich die Investition der Südtiroler Hotellerie in überdimensionierte Wellnessbereiche bezahlt: die Lebensgefahr am Pool ist unendlich kleiner, als in der unwirklichen Todeszone der Südtiroler Bergwelt.
Und natürlich spart sich der Steuerzahler eine Menge Geld: Der 2010 offiziell aus der Taufe gehoben Verein Heli - Flugrettung Südtirol, der im Auftrag der Landesregierung den Flugrettungsdienst in Südtirol verwaltet und 2023 mit Pelikan 1, 2 und 3 sowie dem Aiut Alpin Dolomites 3.359 Einsätze geflogen und dabei 128.479 Flugminuten zurücklegte hatte, kostete 18.932.298,19 Euro. „Abzüglich der weiterverrechneten Kosten für Einsätze für Ausländer und Provinzfremde kostete die Landesflugrettung dem Südtiroler Steuerzahler aber nur 9.973.880,19 Euro“, ließ sich „Heli“-Direktor Ivo Bonamico in einer Pressemitteilung vom Mai 2024 zitieren: „Das sind knapp 20 Euro pro Südtiroler Bürger.“ Über die Jahre wurde jedoch nie erklärt, warum der Südtiroler Bürger finanziell überhaupt einen Dienst stemmen sollte, der zur Hälfte vor allem Ciabatte-Touristen und Flachlandtirolern zugutekam? Einkassiert wurden auch die Kosten für die ordentliche Instandhaltung der Wege, welche das Land mit 30 Euro/km vergütete, während für die Markierung 10 Euro/km bezahlt wurden. Last but not least die 195.930 Euro Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung für „alle Wanderwege, Spazierwege und Mountainbikewege inklusive Downhillstrecken“ die vom LTS - Landesverband der Tourismusorganisationen Südtirols bezahlt wurde, um Wegehalter und Grundbesitzer schadlos zu halten, wie der LTS seinerzeit auf seinem Webauftritt schrieb - dessen Tätigkeit und Führungskosten zusätzlich mit 150.000 Euro zu Buche schlugen.
Nicht zu vergessen die physisch und psychisch aufreibenden, tagelangen Suchaktionen von Vermissten, nach denen heute nicht mehr gesucht wird. Mit Glück werden die Unglücklichen von furchtlosen Pilzsammlern gefunden, die sich trotz der im großen Stil aus dem Trentino umgesiedelten Bären des Life Ursus Projekts in die Südtiroler Wälder wagen. Für alle anderen bleibt die Gedenkmauer mit den Vermisstenplakaten an der Talstation der Texelbahn, an der Traudl Vorderwieser - erste Abgängige nach der Auflösung der Bergrettung - zuletzt von den Überwachungskameras gesehen wurde und deren Angehörigen später mit Zetteln an der Wand um Hinweise baten. Überhaupt hat sich die Rettung/Bergung durch Freunde und Verwandte bewährt, was jedoch schnell an Grenzen stößt, wenn bei tödlichen Kletterunfällen die Lieben aus der Wand geschnitten werden müssen. Nur so ist der verstärkte Trend zum Free-Solo zu erklären, wo abgesehen vom größeren Adrenalin-Kick, bei einem Absturz der Verunglückte praktischerweise am Wandfuß zusammengeklaubt werden kann. Im besten Fall dienen die Verunfallten wie „Green Boots“ auf der Nordroute des Mount Everest anderen Extrembergsteiger als Wegmarke. Tatsächlich macht sich Südtirol und hier besonders die Gletscher am Alpenhauptkamm als herausfordernder Ersatz für den Himalaja einen Namen, in dem ein Fehler schnell zu tödlichen Folgen führen kann, weil Rettung ausgeschlossen ist.Der ehemalige Landesleiter schloss die Pressekonferenz neben dem traditionellen „Berg Heil“, mit einem weiteren Zitat von Hans Kammerlander, das perfekt die derzeitige Situation beschreibt: „Ein Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist - denn vorher gehörst du ihm.“
Gute Überlegungen Goggl…
Gute Überlegungen Goggl Totsch!
Ich schütle auch häufig den Kopf, wenn gemeldet wird, wieviele Organisationen mit teurer Technologie ausgerüstet an der Rettung/Bergung bzw. Suche einer Person beteiligt sind. Also nicht nur die Bergrettung, sondern auch die Feuerwehren, Polizeikräfte, Notärzte und Rettungssanitäter, Notfallseelsorgerinnen und wie sie alle heißen, setzen ihr Leben aufs Spiel; von der Zeit und Mühe, welche sie aufwenden, ganz zu schweigen.
Ich glaube man hat die Menschen verwöhnt bzw. ihnen ungewollt vermittelt, jeder hat das Recht auf Abenteuer oder Trend-Aktivitäten, denn an vielen Stellen warten schon eine Schar von Helfern darauf, dich, der du eine ganz besondere Person bist, zu retten oder deine schöne Leiche ab zu transportieren. Denn alle Helfer/innen warten nur auf diesen Kick?!